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Kopf an Kopf in Potsdam.

© dapd

Potsdam: Mäßige Politikbegeisterung

Die Oberbürgermeisterwahl in Potsdam lief am Sonntag nur schleppend an. Erwartet wurde ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Potsdam - Markus Wilhelmy blickt auf die graue Urne im Wahllokal in der Potsdamer Innenstadt: „Der langweiligste Tag eines Menschen ist ein Tag im Wahllokal“, sagt der Wahlvorstand. Die Oberbürgermeisterwahl in Potsdam kommt am Sonntag nur schleppend in Gang. 127 581 Wahlberechtigte hat die brandenburgische Landeshauptstadt, doch bis 16 Uhr hat mit 29,3 Prozent nicht einmal jeder dritte Potsdamer gewählt. Ein neuer Negativ-Rekord, selbst bei der kaum besuchten Kommunalwahl 2008 waren es zu diesem Zeitpunkt 35,4 Prozent. Die wenigen, die bis zum Nachmittag an die Wahlurne getreten sind, wollen meist ihrem Ärger Luft machen, hoffen auf Veränderung – oder wollen sie verhindern.

„Ich will kein Stasi-Potsdam“, sagt ein Wähler in der Nauener Vorstadt beim Betreten der Wahlkabine. Größter Herausforderer des sozialdemokratischen Amtsinhabers Jann Jakobs ist der Linke-Kandidat Hans-Jürgen Scharfenberg, Innenpolitiker im Landtag, Fraktionschef im Potsdamer Stadtparlament und ehemaliger Informeller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit. 123 Stimmen trennten Scharfenberg 2002 vom Oberbürgermeisteramt. Er will es nochmal wissen.

Die Sonne kratzt noch am morgendlichen Horizont, als Hans-Jürgen Scharfenberg in schwarzer Jeans und grauem Sakko sein Wahllokal im Kindertreff am Stern betritt. Mit seiner Frau Ursula und seinem Sohn Jens geht Scharfenberg Punkt neun Uhr wählen – wie immer. Scharfenberg zeigt sich betont locker. Kein Wunder, in seinem Wahlkreis kann er sich großer Unterstützung sicher sein: fast ausnahmslos Platte, viele Rentner. Man kennt sich, eine ältere Frau ruft dem Politiker zu: „Viel Glück, Herr Scharfenberg.“ Der Mund unter dem grauen Schnauzbart verzieht sich zu einem Lachen. Er habe „gut geschlafen“, sagt Scharfenberg. Der Berufspolitiker gibt sich unaufgeregt, hat sich für den Wahltag auch noch anderes vorgenommen. „Ich habe eine Menge zu tun. Alles, was in den letzten Wochen liegen geblieben ist.“ Die Dachrinne soll gesäubert werden, seinen Rasen will er mähen. Rasenmähen am Sonntag? „Sie können mich ja anzählen“, grinst er zurück.

Wenig Betrieb ist auch in einem Wahllokal der Nauener Vorstadt, einer jener Potsdamer Stadtteile, die prosperieren und gutverdienende Familien anziehen. Über 1500 Wähler könnten im größten Wahlbezirk abstimmen. Zwei Stunden nach Öffnung des Lokals sind erst 70 da gewesen. Ein Ehepaar kurvt auf seinen Rädern zur Stimmabgabe. Nach dem Urnengang fahren sie ins Umland, zum Schwielowsee. „Wir sind sehr sauer“, sagt die Radlerin. „Chaos“ herrsche in der Stadt. Neben der Verkehrssituation ist der gesperrte Uferweg am Griebnitzsee das größte Ärgernis für sie. „Das hat Jakobs verschlafen.“ Ihr Mann ergänzt: „Erstaunlich, dass ausgerechnet immer Nicht-Potsdamer wissen wollen, wie es besser geht.“ Ob er den amtierenden Oberbürgermeister, einen gebürtigen Ostfriesen, meint, lässt er offen.

Der steigt kurz vor dem Mittag die Stufen hinab in den Keller einer Kita. Gemeinsam mit Ehefrau Christine Albrecht-Jakobs und Tochter Karen erscheint er zur Stimmabgabe. „Karen ist Erstwählerin“, sagt Jakobs stolz. Wo sie ihr Kreuz setzt, bleibt ihr Geheimnis. Das Trio schlendert durch die Kolonie Alexandrowka mit den historischen Holzhäusern, von denen die Familie eines bewohnt. Und macht noch einen Abstecher zum Apfelfest, das an diesem Nachmittag mehr Potsdamer zu interessieren scheint als die Oberbürgermeisterwahl. Vielleicht liegt es am „Bärenfang“, einem Honigschnaps mit 40 Prozent. Eine Flasche davon kauft sich auch Jakobs. Ob er sie zum Herunterspülen des Frusts oder für den Siegestrunk öffnen wird, ist zu dieser Stunde noch nicht heraus. Die Wahllokale waren noch bis 18 Uhr geöffnet. Mit einem Ergebnis wurde frühestens gegen 20.30 Uhr, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe, gerechnet.

Kay Grimmer

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