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Brandenburg: Rüber machen

Das geteilte Berlin hatte hier seinen toten Winkel. Nur Alliierte und Agenten durften über die Glienicker Brücke. Jetzt strömen die Ausflügler

Von David Ensikat

Eigentlich, man muss das schon mal sagen, gibt es doch nur einen würdigen Übergang zwischen Berlin, der Stadt, und Brandenburg, dem Land. Genau genommen ist es kein Stadt-Land-Übergang, sondern vielmehr einer zwischen Stadt und Stadt. Aber es handelt sich hier eben nicht um ein beliebiggelbes Ortsausgangsschild an tosender Ausfallstraße – es ist eine Brücke, und zwar eine, die auch aussieht wie eine Brücke auszusehen hat. Es handelt sich um eine „dreifeldrige Stahlfachwerk-Trägerbrücke mit unten liegender Fahrbahn“, erbaut in den Jahren 1905 bis 1907 von der preußischen Wasserbauverwaltung, zerstört im Krieg, noch einmal aufgebaut 1949 und prompt genannt: „Brücke der Einheit“. Gewiss, die Berlin-Brandenburger Länderhochzeit hatten die Neubenenner der Glienicker Brücke in diesen Jahren deutscher Teilung nicht im Sinn, aber warum sollte man in diesen Tagen so einen Namen nicht mal missverstehen.

Gestern, am Sonntag, vermeintlich dem letzten strahlend schönen Sonntag dieser langen Sonnensaison war die Brücke, welche Berlin-Südwest mit Potsdam-Nordost über die Havel hinweg verbindet, so viel besucht und überfahren, dass man meinen konnte: Wenn die alle hier nur rüber dürften, wenn sie mal eben ein Volksvotum für die Länderehe unterschrieben, dann wär’ die Sache schnell geritzt.

Es ist grad 14 Jahre her, da war die Gegend hier so tot, wie eine Gegend nur tot sein kann. Über die Brücke zwischen Osten (der hier im Westen lag) und Westen (ganz genau: hier im Osten) durften damals nur die Alliierten und ein paar Mal auch ein paar Agenten. Der Westen kümmerte sich liebevoll um die Lennéschen Parkanlagen von Klein-Glienicke – und die paar Besucher dieses Landzipfelchens erfreuten sich an den freigelegten Sichtachsen, während der Osten auf der anderen Seite seine Potsdam-Villen verfallen ließ – was soll’s, war ja eh Sackgasse hier.

Gestern, am 19. Oktober 2003, dem letzten Tag im Jahr, an dem die Stern- und Kreisschifffahrt ihre Dampfer auf Sieben-Seen-Tour mit Halt an der Glienicker Brücke schickte, parkten die Brücken- und Park-besuchenden Autofahrer die Straßen links und rechts der Havel auf hunderte Meter zu. Zu Dutzenden standen die Fußgänger auf der Brücke, starrten zum Schloss Babelsberg, zum Glienicker Schloss, zur Heilandskirche Sacrow übers Wasser und taten so, als machte ihnen das tosende Auto-Hin- und-Her nichts aus. Im Biker’s Café, der nächsten Verpflegungsstätte Potsdam einwärts überforderten die Hungrigen die Bedienenden maßlos, und wer einen Platz auf einer Parkbank ergatterte, gab ihn erst wieder auf, wenn der Hintern eisgefroren war. Es war ein Tag, ein Ort zum Länderhochzeitfeiern.

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