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Brandenburg: Toter Junge lag seit Weihnachten 2001 in der Tiefkühltruhe

Warum versagten die Ämter im Fall Dennis? Diskussionen im Land über Mitschuld der Behörden

Von Sandra Dassler

Cottbus - Zweieinhalb Jahre lag die Leiche des zum Zeitpunkt des Todes sechsjährigen Dennis in der Tiefkühltruhe seiner Eltern. Nach erneuten Vernehmungen der Mutter geht die Staatsanwaltschaft nun davon aus, dass Dennis am 20. Dezember 2001 starb. Die 43-Jährige hatte zunächst behauptet, ihr Sohn sei kurz vor Weihnachten 2002 an einem Zuckerschock gestorben. „Für diese Version gibt es keine Beweise“, sagte der Cottbuser Staatsanwalt Tobias Pinder gestern dem Tagesspiegel: „Wir bezweifeln, dass der Junge zuckerkrank war. Er litt vielmehr an starker Unterernährung. Dieser Zustand kann auch dem Vater nicht verborgen geblieben sein. Deshalb wurde er wieder in Haft genommen.“

Die Leiche des Jungen war am Montag in der Tiefkühltruhe der elterlichen Wohnung im Cottbuser Stadtteil Sandow gefunden worden (der Tagesspiegel berichtete). Die Staatsanwaltschaft wirft den Eltern Misshandlung Schutzbefohlener und Körperverletzung mit Todesfolge vor. Die Ermittler gehen allerdings auch davon aus, dass der Vater nicht wusste, dass Dennis tot war. Die Mutter, die das Kind im Dezember 2001 in leblosem Zustand fand, hatte es nach eigenen Angaben zunächst im Bettkasten und dann in der Tiefkühltruhe vor ihrem Mann und den fünf noch in der Familie lebenden Geschwistern versteckt. Sie erzählte ihnen, dass sich Dennis wegen seiner „Zuckerkrankheit“ in der Berliner Charité befände. „Sie erfand gegenüber Angehörigen, Freunden und Behörden immer neue Ausreden über den Aufenthalt des Jungen“, sagt Staatsanwalt Tobias Pinder.

Die Tatsache, dass das Verschwinden von Dennis zweieinhalb Jahre lang unbemerkt blieb, obwohl die Familie seit 1993 kontinuierlich vom Jugendamt betreut wurde, hat heftige Debatten in Cottbus ausgelöst. Oberbürgermeisterin Karin Rätzel weist jede Schuldzuweisung an das Jugendamt zurück. Sie begründet das damit, dass ihre Mitarbeiter lediglich die älteren Geschwister betreuten, wenn diese die Schule schwänzten. Über Dennis sei „nur am Rande“ geredet worden. Aber auch die Mitarbeiterin des Jugendamtes habe der Mutter geglaubt, dass sich der Junge im Krankenhaus befinde.

Das brandenburgische Bildungsministerium prüft derzeit, wie es möglich war, dass die Familie jahrelang die allgemeine Schulpflicht ignorieren konnte. Schließlich hätte Dennis ab September 2001 die Schule besuchen müssen. Der Leiter des Cottbuser Schulamtes, Dietmar Wolter, sieht keine Versäumnisse seines Amtes: „Die Eltern hatten zunächst gebeten, Dennis ein Jahr später gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder einzuschulen. Für das Schuljahr 2002/2003 wurde er dann auch angemeldet. Später erschien seine Mutter und eine Mitarbeiterin des Jugendamtes in der Schule, um mitzuteilen, dass Dennis erkrankt sei. Wir hatten keinerlei Veranlassung daran zu zweifeln, zumal der Bruder eingeschult wurde und es keine Probleme mit ihm gab.“ Dass die Aussage einer Mutter ausreicht, um ein Kind zwei Jahre lang von der Schule fern zu halten, erklärte ein Sprecher des Bildungsministeriums damit, dass auch die Jugendamtsmitarbeiterin gesagt habe, dass Dennis krank sei: „Offensichtlich sah die Schulleitung deshalb keine Veranlassung, an der Krankheit des Jungen zu zweifeln.“

Viele Landespolitiker wollen sich mit dieser Begründung nicht zufrieden geben (Infokasten unten). Auch Verwandte, Nachbarn und Freunde der Familie in Cottbus fordern Aufklärung über die Verantwortung der Behörden. Sie selbst hatten den Jungen allerdings auch nicht vermisst – beziehungsweise ebenfalls den Lügen der Mutter geglaubt.

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