zum Hauptinhalt

Brandenburg: Voll schuldfähig

Der wegen Vergewaltigung und Mordes an der zwölfjährigen Ulrike Brandt angeklagte Stefan J. ist laut einem Sachverständigen voll schuldfähig.

Der wegen Vergewaltigung und Mordes an der zwölfjährigen Ulrike Brandt angeklagte Stefan J. ist laut einem Sachverständigen voll schuldfähig. Die an dem Kind begangenen Verbrechen seien weder im Alkoholrausch begangen worden noch die Taten eines seelisch Kranken.

Der Psychiater und Neurologe Matthias Lammel saß vom ersten Verhandlungstag an auf seinem Platz zwischen Staatsanwältin und Nebenklägern. Zu Wort gemeldet hatte er sich fast nie; meist beobachtete er den Angeklagten und machte sich Notizen zu dessen Aussagen und denen der Zeugen. Schon vor Monaten hatte er Stefan J. gründlich untersucht, Beurteilungen aus Schule und Kinderheimen studiert. Gestern präsentierte er das Ergebnis: J. sei geistig nicht allzu beweglich, mäßig gebildet und habe einen IQ von etwa 80. Damit sei er "keinesfalls schwachsinnig", sondern vielmehr eine "egozentrische, bindungsschwache, introvertierte Persönlichkeit". Seine vom frühen Krebstod der geliebten Mutter und ständigen Prügeln des Stiefvaters geprägte Kindheit bewirkte laut dem Psychiater eine "soziale Fehlentwicklung", die aber allenfalls juristisch bedeutsam sei. Medizinisch spiele sie keine Rolle: "Es war kein Sich-nicht-anders-verhalten-können." Auch daraus resultiert die so genannte "volle Einsichts- und Steuerungsfähigkeit" - der Täter ist sich im Klaren darüber, was er tut und kann daher auch voll zur Verantwortung gezogen werden. Deshalb sieht der Sachverständige auch keinen Grund für eine Einweisung von Stefan J. in die Psychiatrie oder eine Klinik für Alkoholkranke. Auch zeige J. keine krankhaft pädophile Neigung. Zwar fühle er sich zu sehr jungen Frauen hingezogen und kümmere sich gern um Kinder. Grund dafür sei jedoch sein Bedürfnis nach unkomplizierten Beziehungen - und die seien mit jungen Mädchen eben leichter zu haben als mit erwachsenen Frauen.

Der Gutachter klärte noch einen zweiten, bedeutsamen Punkt zu klären: die Wiederholungsgefahr. Je nach "Gefährlichkeitsprognose" kann das Gericht zusätzlich zur Strafe Sicherungsverwahrung anordnen. Diese Möglichkeit wird etwa bei notorischen Vergewaltigern oder Bankräubern angewandt. Für Stefan J. könnte sie bedeuten, dass eine lebenslange Haftstrafe nicht nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Lammel sagte, er könne keine ausreichenden Anzeichen dafür erkennen, dass J. sich später erneut an Kindern vergehen werde. Allerdings muss das Gericht dieser Auffassung im Urteil nicht unbedingt folgen. Gregor Gysi, der Anwalt von Ulrikes Eltern, wollte gestern nicht sagen, ob er auf Sicherungsverwahrung plädieren wird. Die Plädoyers sind für nächste Woche geplant.

Bevor gestern der Gutachter zu Wort kam, musste das Gericht eine Zwangspause einlegen: Ein nur mit Shorts bekleideter 27-Jähriger war plötzlich im Saal erschienen und hatte gerufen: "Ich finde, der Angeklagte lügt so sehr, da wird einem ja ganz heiß!" Ein Justizbeamter drängte den Mann hinaus, wo er festgenommen wurde. Nach einer Beratungspause beschloss das Gericht ein Ordnungsgeld von 300 Mark oder alternativ drei Tage Haft für den Störer. Vor allem dem Opfer gegenüber sei solches Benehmen ungebührlich, sagte die Vorsitzende. Die Verhandlung wird voraussichtlich am kommenden Dienstag fortgesetzt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false