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Brandenburg: Von wegen geheim

Vor Gericht geht es um ein Familiendrama – dabei werden Verfassungsschutz-Interna offenbart

Potsdam - Ein skurriler Zivilprozess um einen Brandenburger Verfassungsschützer beschäftigt derzeit hiesige Gerichte: Der Kläger ist das Land, „vertreten durch Finanzminister Rainer Speer“. Die Geschichte ist verworren, das Verfahren teuer – und mittendrin steckt ein hochrangiger Verfassungsschützer.

Auslöser ist ein Familiendrama: Eine Beziehung geht in die Brüche. Ein Vater kann es nicht verwinden, dass sein Kind nach der Trennung bei der Mutter bleibt. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, bei der offenbar der Großvater des Kindes verletzt wird. Er wird zwei Wochen arbeitsunfähig geschrieben.

Das Pech für den wütenden Vater, den Tschechen Lubomir Ivancik, 72, der nach dem gewaltsamen Ende des „Prager Frühlings“ in die Bundesrepublik geflüchtet war: Der Mann, den er am 1. Februar 2003 in Caputh arbeitsunfähig geschlagen haben soll, ist Regierungsdirektor Peter G. vom Verfassungsschutz.

Die Landesregierung versucht seitdem, vom Schläger 4596,32 Euro Schadenersatz plus Zinsen einzutreiben – die Summe entspricht der während der zweiwöchigen Krankschreibung an den Beamten gezahlten Bezüge und Beihilfen.

Was dabei besonders merkwürdig ist: Finanz- und Innenministerium nehmen in Kauf, dass ein Mitarbeiter der sonst im Hintergrund wirkenden Verfassungsschutzbehörde durch das Verfahren in die Öffentlichkeit gerät. Als Geheimschutzreferent, der Firmen berät, wie die sich am besten vor Wirtschaftsspionage schützen können, reist Peter G. sonst eher unauffällig durchs Land.

Das Strafverfahren wegen Körperverletzung gegen Ivancik war vom Amtsgericht Potsdam im November 2003 eingestellt worden, wegen geringer Schuld. Der Tscheche musste 650 Euro an den gemeinnützigen Verband Anwalt des Kindes e.V. zahlen. In dem danach vom Land angestrengten zivilrechtlichen Schadenersatzverfahren hatte Ivancik zunächst das Glück auf seiner Seite: Das Amtsgericht Potsdam schmetterte in der ersten Instanz im April 2005 die Klage des Finanzministeriums ab. Für den Amtsrichter hatte das Land nicht zweifelsfrei nachweisen können, dass die Verletzungen von Peter G. – die Rede ist von Prellungen im Brustkorbbereich und einer Platzwunde im Gesicht – tatsächlich von Tätlichkeiten des heute 72-Jährigen an jenem 1. Februar 2003 herrührten.

In zweiter Instanz beim Landgericht Potsdam hatte Ivancik jetzt schlechtere Karten. Dafür sorgte nicht zuletzt, dass das Land unter anderem mit einer offiziellen Erklärung des Geheimschutzbeauftragten des Innenministeriums nachlegte, in der die Art seiner Tätigkeit im Verfassungsschutz offen gelegt wurde – ein ungewöhnlicher Vorgang.

Darin wird argumentiert, warum der damalige Leiter der Arbeitsgruppe „Personeller und materieller Geheimschutz“auf keinen Fall seiner Arbeit nachgehen konnte: „Zu seinem Aufgabengebiet gehörte insbesondere die Kontaktaufnahme und Befragung von ausgesuchten Personen zu sicherheitsrelevanten Sachverhalten.“ Und: „Diese Aufgabe erfordert von dem Beamten höchste Konzentration.“ Er habe seine Aufgabe „aufgrund der notwendigen Sensibilität in Bezug auf die Gesprächsinhalte nicht wahrnehmen“ können.

Nun ist Ivancik in seinem Zorn, dass er seine Tochter nur selten und unter Aufsicht sehen darf, kein Unschuldslamm. Er wurde mittlerweile vom Amtsgericht Marburg rechtskräftig wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er auch seine frühere Lebensgefährtin, die Tochter von Peter G., verletzt haben soll.

Zwischenzeitlich sorgte er für Schlagzeilen und eine bundesweite Fahndung: Als er 2005 seine Tochter besuchte, gelang es ihm, die Fünfjährige einfach mit nach Marburg zu nehmen. Sie sei von Ivancik „entführt worden“, schrieb Peter G. in seiner „Mitteilung eines privaten Ereignisses“ an Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber im August 2005.

So schaukelt sich der Streit immer weiter hoch. Das Landgericht will den Fall jetzt ans Amtsgericht zurückgeben, weil es Verfahrensfehler sieht – es seien keine Zeugen befragt, keine Gutachten eingeholt worden, was nun drei Jahre später nachgeholt werden soll.

Das Land will trotz des Aufwandes nicht nachgeben und nennt es „gängige Praxis“, Schadenersatz einzutreiben, wenn ein Beamter verletzt wird. Ivancik dagegen fühlt sich „kriminalisiert“. Er hat den Humanistischen Verband Marburg eingeschaltet, der sich inzwischen an Ministerpräsident Matthias Platzeck und Innenminister Jörg Schönbohm mit der Forderung gewandt hat, „einen Missbrauch des Brandenburger Landesamtes für Verfassungsschutz im Rahmen von Familienstreitigkeiten seiner Beschäftigten zu unterbinden“.

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