zum Hauptinhalt

Golf von Mexiko: Was folgt nach der Ölkatastrophe

Die US-Regierung und BP versuchen, die Katastrophe im Golf von Mexiko in den Griff zu bekommen. Welche Konsequenzen hat das Unglück auf der Bohrinsel "Deepwater Horizon"?

Barack Obama ist gekommen. Der US-Präsident muss Führungsstärke zeigen. Eigentlich hätte auch eine Videoschaltung jene Informationen über den Ölteppich geben können, die er dann am Sonntag in der Küstenwachenstation in Venice von zwei Mitarbeitern erhält. Doch zu gut ist noch das Bild seines Vorgängers George W. Bush in Erinnerung, der vor fünf Jahren während der „Katrina“-Katastrophe zwar im Präsidentenjet über New Orleans kreiste, aber erst spät den Fuß ins Zentrum der Jazzmetropole setzte.

Schon wird dem Weißen Haus vorgeworfen, dem Ölkonzern BP nach dem Unglück am 22. April zu lange freie Hand gelassen zu haben. Daher sind die Bilder des Besuchs so wichtig. Und die richtigen Worte. Obama warnt vor einem massiven und „womöglich beispiellosen Umweltdesaster“ – und behauptet: Man habe vom ersten Tag an für den schlimmsten Fall geplant. „Aggressiv“ habe man sich der Bedrohung gewidmet, alle Mann seien „an Deck gewesen“. Nun werde er nicht ruhen, bis das Leck gestoppt und die Umweltschäden beseitigt seien. Doch vor Optimismus hütet er sich. Viele Tage werde es wohl dauern, das sprudelnde Öl zum Versiegen zu bringen. Und Obama macht deutlich, wen er als Schuldigen sieht: „BP ist verantwortlich für das Leck, und BP wird die Rechnung bezahlen.“

Wie kam es zu dem Unglück?

Was genau zur Katastrophe auf der Ölplattform gut 60 Kilometer vor der Küste von Louisiana geführt hat, weiß derzeit wohl niemand. Der Spezialist für Bohrtechniken Kurt Reinicke von der Technischen Universität Clausthal geht von einer Verkettung unglücklicher Umstände aus.

Als die Mannschaft der Plattform begann, das Erdölfeld rund 5500 Metern unter dem Meeresspiegel zu erschließen, lief alles ganz normal. Rund 1500 Meter ist der Golf von Mexiko an dieser Stelle tief. Von der Plattform „Deepwater Horizon“ aus gesteuert, dringt der Bohrmeißel von dort in den Untergrund, bis er das Erdölfeld erreicht. Weil darauf mehrere tausend Meter Gestein lasten, steht das Öl unter großem Druck – der in dieser Tiefe etwa beim 600-Fachen des Luftdrucks an der Erdoberfläche liegen kann. Einmal angebohrt, würde das Öl daher im Bohrstrang nach oben schießen.

Um das zu verhindern, pumpt die Mannschaft eine schwere Flüssigkeit nach unten, die sich wie ein Deckel auf das Öllager legt und gleichzeitig den Bohrmeißel kühlt. Der Bohrstrang wird von einem Kunststoffrohr eingehüllt. Zwischen diesem „Riser“ und dem Bohrstrang steigt die Flüssigkeit wieder nach oben und trägt dabei das zertrümmerte Material mit in die Höhe. Ist die Lagerstätte erreicht, holt die Mannschaft den Bohrstrang heraus und führt stattdessen innerhalb des Risers ein sogenanntes Futterrohr aus Stahl in die Tiefe, in das flüssiger Zement gepumpt wird. Dieser steigt dann wieder nach oben und verdrängt dabei die Spülflüssigkeit. Bis dahin scheint alles normal verlaufen zu sein.

Experte Reinicke vermutet, dass der Zement zwischen Stahlrohr und Riser vielleicht aushärtete. Dabei könnten sich Risse und Kanäle im Zement gebildet haben, durch die das im Erdöl vorhandene Erdgas nach oben gelangte. Möglicherweise trat auch Gas in das jetzt mit Flüssigkeit gefüllte Bohrloch ein. Ein solcher „Kick“ passiert ab und zu bei Bohrungen, sollte aber von der Mannschaft auf der Plattform rasch bemerkt werden: Dort befinden sich Tanks, aus denen die Flüssigkeit in das Loch strömt. Tritt unten Gas ein, drückt es die Flüssigkeit nach oben, der Spiegel in den Tanks hebt sich. Obendrein wird der Druck im Rohr überwacht. Ändert sich der, kann die Mannschaft einen Schieber betätigen, der das Loch verschließt. Offenbar aber hat die Mannschaft davon nichts bemerkt oder wurde zumindest zu spät darauf aufmerksam.

Ein weiterer Fehler könnte im Schieber selbst liegen. Als die Mannschaft das austretende Gas bemerkte und ihn schließen wollte, funktionierte er nicht. Vielleicht hatten sie vorher versucht, ein Werkzeug bis zum Kopf des Bohrlochs zu transportieren, das den Fehler reparieren sollte, dann aber den Schieber blockierte.

Alles Weitere ist bekannt. Das austretende Gas entzündete sich, vermutlich starben elf Männer bei den nachfolgenden Explosionen. Dabei wurden auch die Rohre unter Wasser zerstört. Aus dem Bohrloch im Meeresgrund ragen jetzt noch Reste des Risers, aus denen an mindestens drei Stellen Öl austritt. Nach groben Schätzungen könnten jeden Tag 800 000 Liter ins Meer strömen.

Kann Ähnliches in der Nordsee passieren?

Die Ölbohrungen in der Nordsee funktionieren ähnlich. In Norwegen ist allerdings eine Art Notschalter vorgeschrieben, der in solchen Fällen ferngesteuert die Bohrung verschließt. 500 000 Dollar kostet die Notbremse, die US-Behörden bisher den Ölfirmen ersparen wollten. Der Ablauf der Katastrophe muss nun genau aufgeklärt werden.

Wie schlimm ist das Ausmaß der Ölpest?

Natürlich ist es dramatisch schlimm. Aber vielleicht auch nicht, gemessen an ähnlichen Katastrophen. Bislang flossen rund 10 000 Tonnen Öl aus den Lecks ins Meer. Sie bedrohen die Küsten, Vögel und Meerestiere. Vor allem Austern, Muscheln und andere Tiere, die Wasser filtern, werden sterben. 1979 explodierte ebenfalls im Golf von Mexiko die Bohrinsel Ixtoc I, mehr als zehn Monate konnten die Lecks nicht geschlossen werden, 500 000 Tonnen flossen in den Golf. Die Folgen für das Ökosystem waren kurzfristig verheerend, doch bereits nach wenigen Jahren hatten Bakterien, Pilze und Algen den Großteil des Öls abgebaut. So wie in der Bretagne nach der Havarie des Öltankers „Amoco Cadiz“ 1978. 220 000 Tonnen Öl flossen ins Meer. „Die Natur hat sich zügig erholt, nach wenigen Jahren waren keine Folgen mehr feststellbar“, sagt Christian Bussau von Greenpeace.

Wie kann das Leck geschlossen werden?

Ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge versuchen, den Schieber doch noch zu schließen. Auch könnte eine Art Haube aus Beton über die Unglücksstelle gestülpt werden. Darunter würde sich das Öl sammeln und durch einen weiteren Riser nach oben steigen. Dort könnte es in Tankschiffe gepumpt werden. „Diese Haube aber muss erst noch konstruiert werden“, erklärt Reinicke. Möglich wäre auch eine Entlastungsbohrung, die fast einen Kilometer entfernt vom Meeresgrund bis zum unteren Ende der Unglücksbohrung vorgetrieben werden soll. Durch sie würde dann zunächst schwere Flüssigkeit und danach Zement von unten eingebracht und so die Bohrung verschlossen. Die Kosten dafür schätzt BP auf 100 Millionen Dollar, die Dauer auf drei Monate.


Wer bezahlt das alles?

„Wir“, sagt BP-Chef Tony Hayward – und ist sich dabei mit Obama einig. Je kleiner der Schaden, desto unbürokratischer und schneller will BP helfen. Was tatsächlich am Ende am Konzern hängen bleibt, welche Versicherungen mit ins Boot kommen und ob BP-Partner in Mithaftung genommen werden, ist zurzeit völlig offen.

Was bedeutet das für BP?

Der Kurs der Aktie fällt seit Tagen, der Marktwert von BP hat sich deshalb um viele Milliarden Dollar reduziert. Das wird der hochprofitable Konzern (im ersten Quartal 2010 betrug der Gewinn 6,2 Milliarden Dollar) rasch aufholen – sofern der Schaden nicht gigantisch wird. Schätzungen reichen von zwei bis 14 Milliarden Dollar, inklusive Schadenersatz für Fischerei-Industrie und Tourismusbranche. Sammelklagen in den USA werden vorbereitet oder wurden schon eingereicht.

Die Schadensabwicklung wird einige Jahre dauern, darauf weist die Munich Re hin, die weltweit größte Rückversicherung. Nach letztem Stand wird der Münchner Konzern mit einem zweistelligen Millionenbetrag belastet. Der bislang schlimmste Unfall auf einer Ölplattform kostete die Versicherungen 3,6 Milliarden Dollar. Eine Explosion zerstörte 1988 die Bohrinsel Piper Alpha in der Nordsee, 167 Menschen starben.

Jetzt trägt BP die Hauptlast, der Konzern hält 65 Prozent an dem Ölfeld; 25 Prozent die US-Firma Anadarko, zehn Prozent Mitsui of Japan. Die Plattform gehörte dem Schweizer Konzern Transocean. BP wird großzügig sein, der Konzern ist auf gutes Einvernehmen mit den US-Behörden angewiesen. Vor kurzem hat BP für sieben Milliarden Dollar weitere Ölfelder im Golf von Mexiko gekauft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false