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Ölpest: Wie viel Leben das kostet

Während sich die Ölpest im Golf von Mexiko immer weiter ausbreitet, wächst die Wut der Betroffenen.

Keith Jones sucht nach Worten. Er sagt, das passiere nur selten. Immerhin ist der Rechtsanwalt aus Baton Rouge im US-Bundesstaat Louisiana an öffentliche Ansprachen gewöhnt. Ärger – nein, das sei nicht der richtige Begriff. Denn könne man so beschreiben, wie es sich anfühlt, einen Sohn verloren zu haben und dann miterleben zu müssen, wie niemand die Verantwortung für sein Sterben und den Tod von zehn weiteren Männern übernehmen will? Und wie BP-Chef Tony Hayward die Folgen der „Deepwater Horizon“-Katastrophe mit Sätzen wie diesen kleinzureden versucht: „Die Menge an Öl und Chemikalien im Meer ist doch sehr gering im Vergleich zum Wasser, das es dort gibt.“

Für Keith Jones klingt das wie blanker Hohn. Auch weil dieser Satz die Toten verschweigt, die ohnehin häufig vergessen werden, wenn um Fische und Strände gebangt wird. Sein Sohn Gordon starb am 20. April bei der Explosion auf der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko. Der Körper des 28-Jährigen wurde nie gefunden. Vermutlich sei er auf der Plattform verbrannt, sagt Keith Jones. Seine Überreste spülten wohl die Löschschiffe ins Meer.

Am vergangenen Freitag, kurz nach der Trauerfeier, brachte Gordons Witwe Michelle einen Sohn zur Welt. Maxwell- Gordon wird ohne Vater aufwachsen müssen – und Keith Jones benötigt keine vom Präsidenten eingesetzte Untersuchungskommission in Washington, um den Grund dafür zu wissen: „Es wurden jede Menge Regeln nicht beachtet, damit BP maximalen Profit machen konnte. Das hat meinen Sohn das Leben gekostet.“

Kürzlich hat der Anwalt eine Klage eingereicht, um die Familie seines Sohnes wenigstens finanziell abzusichern. An der Suche nach politischer Verantwortung will er sich aber nicht beteiligen. „BP hätte doch alles getan, um gut zu verdienen – egal, welche Vorschriften es gibt.“

Keith Jones ist mit seinem Leid, seiner Wut auf den Ölkonzern nicht allein. Es gibt viele, die unter den Folgen des nun auch Richtung Florida ziehenden Öldesasters leiden: Angehörige der Opfer, Fischer und Großhändler, die um ihre Existenz fürchten müssen, auf Tourismus ausgerichtete Unternehmen, ganze Küstenstädte. Für sie ist „Big Oil“ schuld an der Katastrophe, die Ölkonzerne und ihre mächtigen Repräsentanten in Washington, die erheblichen Einfluss auf die Politik haben. Schließlich gab BP im vergangenen Jahr 16 Millionen Dollar für Lobbyisten aus, im Wahljahr 2008 spendete der Konzern 500 000 Dollar an die Parteien.

Aber auch in Washington hat der Konzern nun ein Imageproblem. Und dort, wo aus dem angebohrten Ölreservoir das Rohöl sprudelt, müssen tausende Fischer hinnehmen, dass die Sperrzone für das Fischen immer weiter ausgeweitet wird. Rund 120 000 Quadratkilometer sind bereits gesperrt, und vielleicht ist das erst der Anfang. Aber selbst, wenn die Fischer irgendwann wieder hinausfahren können, muss ihr Fang möglicherweise noch jahrzehntelang auf Ölverseuchung getestet werden. Denn Öl enthält Chemikalien, die beim Verzehr in hoher Konzentration Krebs auslösen können.

Auch Kapitän Louis Skrmetta aus Gulfport (Mississippi) sieht sich als Opfer des ungezügelten Bohrbooms in Küstennähe. Der 54-Jährige bangt um sein Familienunternehmen mit 35 Angestellten, das seit 1904 Touristen von der Küste zur Badeinsel „Ship Island“ bringt. Genau dort hat Skrmetta nun erste Ölklumpen gesichtet. „Wir haben von BP bisher doch nur Propaganda bekommen“, empört sich der Kapitän, der seit 25 Jahren gegen die küstennahe Ölförderung kämpft.

Das Ausmaß der Katastrophe am Golf von Mexiko ist gigantisch. Und dennoch scheint die Mehrheit der Amerikaner, die von der vermutlich größten Umweltkatastrophe in der US-Geschichte nicht direkt betroffen sind, unbeeindruckt. Einer aktuellen Umfrage zufolge spricht sich die Hälfte der Befragten weiter für Offshore-Bohrungen aus, nur 38 Prozent sind dagegen. Unbeirrbar zeigen sich vor allem die konservativen Republikaner.

Auch ein BP-Boykott, wie ihn Umweltschützer fordern, hat wenig Aussicht auf Erfolg. Die Sommerreisesaison steht an, und die großen amerikanischen Autos brauchen schließlich Sprit. Viel Sprit. Getankt wird meist dort, wo es bequem ist. Auch an Zapfsäulen, über denen ein gelb- grünes Sonnenblumensignet schwebt, mit dem BP eigentlich Umweltfreundlichkeit demonstrieren will, das aber angesichts der „Deepwater Horizon“-Tragödie nur noch zynisch wirkt.

Keith Jones hat seinen Glauben an den grünen Schein längst verloren. Er kann die Beteuerungen von BP, man werde für die „legitimen Schäden“ aufkommen, nicht mehr hören. „Irgendwann werden vielleicht das Meer und die Strände gereinigt sein und die Touristen zurückkommen“, sagt er. „Doch meinen Gordon, den bringt mir niemand zurück.“

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