zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Auf die WTO hört in Brüssel zwar keiner, das Schiedsgericht genießt dennoch immer mehr Respekt

Justitia hieß die Göttin der Gerechtigkeit bei den Griechen. Sie galt als gerecht, weil sie ihre Urteile fällte, ohne sich von Äußerlichkeiten ablenken zu lassen.

Justitia hieß die Göttin der Gerechtigkeit bei den Griechen. Sie galt als gerecht, weil sie ihre Urteile fällte, ohne sich von Äußerlichkeiten ablenken zu lassen. Gäbe es diese Göttin wirklich, wäre sie wohl die Schutzpatronin der World Trade Organisation (WTO) in Genf. Denn diese genießt den Ruf, ihre Urteile so unabhängig zu fällen wie einst Justitia.

Die Aufgabe der WTO ist es, die Zwistigkeiten zwischen den 134 ihr angehörenden Mitgliedsländern zu schlichten. Sie soll entscheiden, wenn es Streitigkeiten im internationalen Handel gibt. Doch wie die griechische Göttin kann auch die WTO nur urteilen - ob die streitenden Parteien sich nach dem Schiedsspruch richten, bleibt ungewiss. Immerhin: In den vier Jahren ihres Bestehens hat die Organisation sich wenig beirren lassen von vordergründigen Argumenten. Das hat sowohl ihrem Ruf als auch ihrem Einfluss genutzt.

Jüngstes Beispiel: die Hormone. Ob die Wachstumshormone, die US-Züchter ihren Tieren verabreichen, schädlich sind, darüber streiten Amerikaner und Europäer seit Jahren. Beide Seiten bieten immer neue Experten auf, die Argumente für die jeweilige Position finden. Doch der Streit um die Gesundheit der Verbraucher, um vermeintliche Krebsgefahren, die von dem US-Fleisch ausgehen, ist nur vorgeschoben. Es geht vielmehr um den Markt. Die US-Fleischzüchter wollen ihre Produkte auch in Europa verkaufen, die europäischen Fleischzüchter wollen die Konkurrenz fernhalten.

Das erinnert an den Streit um die Bananenmarktordnung. Auch im Bananenzwist spielte niemals die Frage eine Rolle, ob die europäischen Früchte und die Bananen aus den einstigen europäischen Kolonien besser sind als die von der EU gebrandmarkten Dollarbananen aus Lateinamerika. Vielmehr wollten die Europäer ihren Markt vor den billigeren und bei den Verbrauchern beliebteren Früchten der US-Multis schützen. All dies hat das Schiedsgericht der WTO durchschaut.

Und es hat erstmals Strafzölle gebilligt. Wie im Fleischstreit belegen auch im Bananenkonflikt die Amerikaner verschiedene Produkte aus Europa mit hohen Zöllen, um die Europäer von ihrem bisherigen Kurs abzubringen. Doch ob die EU umsteuert, weiß keiner. Denn die internationale Schiedsrichterin hat nicht so viel Durchsetzungsvermögen wie beispielsweise der Europäische Gerichtshof. Letztlich kommt es auf den guten Willen der Mitgliedsländer an, ihrem Urteil Folge zu leisten.

Dies wird auch so bleiben, vermutet Rolf Langhammer, Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Damit die WTO nicht nur urteilen, sondern auch vollstrecken kann, müssten alle Mitglieder dafür sein. "Das wird schon allein daran scheitern, dass sich die Amerikaner niemals einem internationalen Gerichtshof unterwerfen würden", vermutet Langhammer. Auch für die dritte WTO-Konferenz, die im Jahre 2000 in Seattle beginnen soll, erwartet Langhammer deswegen keinesfalls, dass große Fortschritte auf dem Wege weg vom Protektionismus erzielt werden.

Und nicht nur die Europäer verstoßen gegen die Regeln des Freihandels, auch die Amerikaner. So sind die kürzlich verhängten Strafzölle gegenüber Stahlprodukten aus Brasilien und Japan weniger ein Schutz gegen das vermeintliche Preisdumping dieser Länder sondern der Versuch, unliebsame Wettbewerber auszuschalten.

Dennoch ist diese internationale Schiedsrichterin sehr viel bedeutender als jene Organisation, aus der sie hervorgegangen ist, das Konferenzsystem des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT). So sind WTO-Mitglieder stärker an die Entscheidungen der Organisation gebunden als es GATT-Mitglieder waren. In dem von 1947 bis 1995 bestehenden GATT konnte bereits ein Staat die Entscheidung des Schiedsgerichts mit einem Veto kippen. Um das heute zu erreichen, müssten alle WTO-Mitglieder zusammen dagegen stimmen. Darum ist die WTO sehr viel entscheidungsfreudiger als ihre Vorgängerin: Binnen fünf Jahren hat sie über 160 Fälle behandelt, das GATT brachte es innerhalb von 52 Jahren nur auf 300. WTO-Mitglieder nennen ihre Organisation deswegen humorvoll "Guillotine".

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false