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© Thilo Rückeis

Ausbildung: Das Super-Praktikum

Die Einstiegsqualifizierung in Betrieben soll Jugendlichen den Weg zur Ausbildung ebnen.

Zweimal hat Benjamin-Jörg Anglim eine Ausbildung angefangen und abgebrochen. „Ich bin nicht blöd, sondern faul gewesen – auch weil es zu Hause nicht so lief“, sagt der 19-Jährige. Vor kurzem ist Anglim aber ausgezogen. Er glaubt, so endlich den Kopf frei zu haben, um an seine Zukunft zu denken. „Ich wusste eigentlich immer, dass ich etwas mit Computer machen will.“ Da passte das Angebot einer Einstiegsqualifizierung (EQ) im Bereich Fachinformatik für Systemintegration: „Das war meine Chance nach dem verpassten Start.“

Raus aus der Schule, aber nicht gleich rein ins Arbeitsleben – dieses Schicksal teilen viele Heranwachsende. Die Gründe sind vielfältig: fehlende Ausbildungsplätze, aber auch mangelnde Disziplin, Lernschwächen oder der fehlende Schulabschluss vieler Bewerber. Ohne Lehrstelle landen die Heranwachsenden in einem Dschungel von Maßnahmen, dem sogenannten Übergangssystem. Dazu gehören das Berufsvorbereitungsjahr und -grundbildungsjahr oder die Berufsfachschulen ohne Berufsabschluss.

Auch die Bundesregierung hat im Rahmen des Ausbildungspakts 2004 ein staatlich bezahltes Praktikumsprogramm geschaffen. Es soll Jugendliche mit schulischen Defiziten oder missglückter Ausbildung in sechs bis zwölf Monaten fit für die Lehre machen. Die „Einstiegsqualifizierung“, kurz EQ, kommt für junge Menschen infrage, die selbst über die Nachvermittlungsaktionen der Agenturen für Arbeit keine Lehrstelle gefunden haben und jünger als 25 Jahre sind. Seit 2007 werden sie durch die Arbeitsagenturen und die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende als gesetzliche Regelleistung gefördert. Bundesweit stehen jährlich 40 000 Plätze zur Verfügung.

Der Fokus liegt weniger auf Noten, sondern mehr auf praktischen Begabungen und Leistungen. Die EQ soll Jugendlichen ermöglichen, Grundkenntnisse im Beruf zu erwerben, in Aufgaben hinein- zuwachsen und Unsicherheiten abzubauen. Firmen wiederum können Bewerber vor einer möglichen Ausbildung besser kennenlernen. „Eigentlich will ich ja keinen Auszubildenden, der schon mal aus einer Lehrstelle geflogen ist, einen schlechten oder keinen Abschluss hat oder schon älter ist. Durch die Maßnahme habe ich aber schon junge Menschen eingestellt, die wider alle Erwartungen gute Qualitäten hatten“, sagt Jan Hibbler, Personalchef der Spedition Ullrich, wo Anglim gerade seine EQ begonnen hat.

Einstiegsqualifizierungen sind aus allen Berufen ableitbar. Inzwischen ist die Übergangsquote der Jugendlichen in die „echte“ Ausbildung auf 60 Prozent angestiegen. „Die Zahl der Schulabgänger sinkt und Azubi-Stellen bleiben unbesetzt, weil qualifizierte junge Leute fehlen“, sagt Eleonore Bausch, Bereichsleiterin Bildungspolitik und Berufsbildung der IHK Berlin. Eine Maßnahme, die sie an die Ausbildung heranführt, ist da Gold wert.“ Noch seien die Möglichkeiten aber vielen Firmen unbekannt.

Kritisiert wird auch, dass die EQ anders nicht an das Berufsbildungsgesetz gebunden ist. „Es gibt keine Kontrollen durch die Agentur für Arbeit und keine Qualitätsstandards. Es steht dem Betrieb also frei, wie er ausbildet“, sagt Daniel Wucherpfennig, Bezirksjugendsekretär des DGB Berlin-Brandenburg. Weil EQ-Praktikanten weniger kosten als reguläre Azubis, seien sie in manchen Betrieben massiver Ausbeutung ausgesetzt.

Pit Rulff, Vorsitzender des Berufsschulleiterverbands, kritisiert, dass mehr als 50 Prozent der Jugendlichen schon einen mittleren oder höheren Schulabschluss erreicht hätten. „Der Anteil Benachteiligter – der eigentlichen Zielgruppe – ist noch zu niedrig.“ Einer mit gutem Abschluss ist Philipp Natho, der seine EQ in der Spedition Ullrich im Vorjahr erfolgreich beendet hat und jetzt eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer macht. Die Vorgeschichte des 24-Jährigen: Abitur und ein abgebrochenes Studium in Geschichte und Philosophie. „Während ich meinen Führerschein gemacht habe, wurde mir klar, dass ich Kraftfahrer werden will.“

Wegen seiner ungewöhnlichen Vita habe er Verständnis dafür, dass ihn die Spedition erst einmal kennenlernen wollte, und die niedrige Bezahlung akzeptiert. „Es ging zwar nur mit staatlicher Hilfe, weil ich eine Wohnung hatte, aber ich habe mich einfach gefreut und gedacht: Jetzt beweise ich, was in mir steckt.“

Über die Handwerkskammer Berlin boten Firmen zuletzt 219 EQ-Stellen an, für die es 161 Interessenten gab. Dies führte 2009 letztlich zu 60 Ausbildungsverträgen – vor allem für Kfz-Mechatroniker und Friseure. Laut Geschäftsführer Ulrich Wiegand vermittelt die Kammer nicht nur, sondern bemüht sich auch um die Qualitätssicherung. Speziell um Jugendliche ausländischer Abstammung kümmert sich das Bildungswerk in Kreuzberg in einem gemeinsamen Projekt mit der Commerzbank. Der zweite Durchgang endete 2009 damit, dass elf Teilnehmer in verschiedenen Unternehmen Ausbildungsplätze als Kaufleute und Fachangestelle erhielten. „Das ist ein Riesenerfolg“, sagt Nihat Sorgec, Geschäftsführer des Bildungswerks. Schließlich habe es sich um junge Menschen gehandelt, gegen die „Ausbildungsbetriebe sonst Vorbehalte haben“.

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