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Berlin ist bekannt für seine Techno-Clubs.

© David Heerde

Berlin Music Week: Hier spielt die Musik

Berlin ist die Hauptstadt des Elektro - aber Geld wird auch mit Pop und Klassik verdient. "Nirgends im Land ist man näher an den Trends", sagt ein Musikmanager. Die Berlin Music Week soll den Ruf der Branche weiter stärken.

Fatboy Slim kommt, Peaches und Adam Green auch: Zum ersten Mal findet mit der Berlin Music Week vom 6. bis 12. September eine Dachveranstaltung für die Berliner Musikwirtschaft statt. Und es sieht ganz so aus, als würde die Premiere ein Erfolg. Während der Musikwoche wird es die Fachkonferenz All Together Now, das Berlin Festival, eine Clubnacht mit 44 teilnehmenden Diskotheken, und die Popkomm, den internationalen Branchentreff der Musikindustrie, geben. Am Flughafen Tempelhof werden für die Popkomm gerade zusätzliche Ausstellungsflächen organisiert, die Messe ist ausgebucht. Auch das Line-up für das Berlin Festival steht. 60 renommierte Künstler haben sich für die Konzerte auf dem Tempelhofer Feld angekündigt. „Wir wollen deutlich machen, dass Berlin als Musikstandort international von großer Bedeutung ist“, sagt Olaf Kretschmar. Er ist Clustermanager der Berlin Music Commission, einem Netzwerk, das die Interessen der kleinen und mittelständischen Unternehmen der Musikwirtschaft in Berlin vertritt.

Als die Popkomm im vergangenen Jahr abgesagt wurde, dachten sich Kretschmar und seine Kollegen, da müsse etwas getan werden für den Musikstandort Berlin. Zusammen mit dem Partnernetzwerk Club Commission und der Senatsverwaltung für Wirtschaft erstellten sie ein Konzept für eine große Musikveranstaltung 2010. Die Idee der Berlin Music Week wurde geboren. Unter dieser Marke werden diesen September verschiedene Veranstaltungen rund um die Musik gebündelt. Für Kretschmar ist die Veranstaltungswoche ein erster Schritt auf dem Weg, die Musikwirtschaft in Berlin noch bekannter und erfolgreicher zu machen – und zu einer Schlüsselbranche in Berlin. Die Veranstalter rechnen mit 100 000 Besuchern. Kretschmar erhofft sich von der Musikwoche genügend Strahlkraft, damit auch die Politik den Ruf der Musikbranche erhört. „Man braucht für eine solche Veranstaltungen Budgets, die langfristig gesichert sein müssen“, sagt er. Im jährlichen Haushaltsplan des Landes, so hofft er, solle die Berlin Music Week fester Bestandteil werden.

Eine große Dachveranstaltung mit vielen kleinen Festivals von Jazz bis Klassik – die Berlin Musik Week hat sich ein Modell ausgesucht, dass die Struktur der Berliner Musikwirtschaft spiegelt. Internationaler Magnet, kreatives Trendbarometer mit Infrastruktur, um die andere Metropolen die Stadt beneiden – all diese Stichworte fallen, wenn man mit Branchenkennern über die Berliner Musikwirtschaft spricht. In Deutschland ist Berlin die unbestrittene Musikmetropole. 1820 musikwirtschaftliche Unternehmen saßen laut einem Branchenreport des Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen 2008 an der Spree, das sind fast 50 Prozent mehr als im Jahr 2000. Darunter befinden sich große Namen wie der Konzertveranstalter Deutsche Entertainment AG (DEAG), der Klavier- und Flügelbauer Bechstein oder Universal Music Deutschland. Knapp eine Milliarde Euro ist 2008 in der Berliner Musikwirtschaft umgesetzt worden, das sind 6,3 Prozent mehr als im Vorjahr.

Der Berliner Musikmarkt generiert für bestimmte Vertreter der Branche enormes Wachstum. So setzten die Berliner Diskotheken 2008 fast drei Mal so viel um wie acht Jahre zuvor. Sie haben den internationalen Ruf der Hauptstadt als Zentrum der elektronischen Musik, kurz, Elektro, geschaffen. Diesem Ruf folgen jedes Wochenende hunderte von Partytouristen, die sich in Billigflieger setzen, um in Clubs wie dem Berghain, dem Tresor oder dem Watergate die Nächte durchzutanzen. „Die jungen Leute kommen her, weil die Szene so einen Freiraum bietet“, sagt Steffen Hack. Mit Ulrich Wombacher betreibt er seit acht Jahren das international bekannt Watergate. „Hier werden Trends geboren, hierher kommt die Technoelite“, sagt Hack. Die Szene ist ihr Zuhause, etwas anderes können sie die Clubbetreiber nicht mehr vorstellen. „Diese Lebensentwürfe, Technoproduzent oder Clubbesitzer zu sein, wie wir das hier in Berlin machen, ist sonst nirgends denkbar“. Das ausgerechnet elektronische Musik und keine Bandszene Berlin geprägt hat, erklärt Hack mit der Geschichte. Als nach der Wende in leer stehenden Häusern illegale Partys veranstaltet wurden und Clubs sich dort einrichteten, ging es vor allem um eines: die ganze Nacht feiern, ohne Sperrstunde. Da waren DJs, die über Stunden auflegen können, genau das Richtige.

Mit illegalen Partys fing es an

Wombacher und Hack haben selbst mit illegalen Partys in Mitte angefangen, bis sie nach Kreuzberg gekommen sind und den Club dort etabliert haben. Die ersten zwei Jahre war „Ebbe“, wie sie sagen. Heute macht das Haus 1,5 Millionen Euro jährlich Umsatz und beschäftigt zehn feste Mitarbeiter. Das britische Fachmagazin „DJ Mag“ erhebt das Watergate zum achtbesten Club weltweit.

Natürlich werde die Berlin Musik Week funktionieren, im Sinne von Geld einbringen, sagen die Watergate-Betreiber. „Aber der Senat benutzt das Image der Elektrohauptstadt mit seiner prosperierenden Clubszene nur als Aushängeschild, um dann alle möglichen Musikstile in ein Programm zu pressen. Die viel gerühmte Clubkultur und Elektroszene Berlins steht nicht für die O2-Arena und Mediaspree, sondern für Freiräume“, sagt Hack. Die müsse man in Berlin erhalten. „Der Senat sollte fördern, nicht schaffen“. Doch unterstützt fühlen sie sich wenig, denn obwohl die Stadt so mit der Clubkultur werbe, bekämen andere Subventionen. „Die Clubs in Berlin sind wie kleine Pflänzchen oder Tante Emma Läden“, sagt Hack. Es stört sie, dass die Lokalpolitiker das Lebensgefühl und die Freiräume der Clubkultur als Marketingkampagne benutzen. Erstens seien bekannte Clubs wie das Watergate oder Berghain gar nicht bei der Berlin Musik Week dabei. Zweitens stört sie die Doppelmoral des Senats: „Wir werden geliebt, gefeiert und benutzt, aber irgendwann müssen wir gehen“, sagt Hack.

Die Elektro-Szene funktioniere allein, sagen Wombacher und Hack. Daher haben sie mit „Bermuda“ ein eigenes Festival für elektronische Musik und Clubbetreiber gegründet. Eine klassische Messe mit Ständen brauche man nicht, die Kontakte kämen während des Festivals zu Stande. Kommenden November findet das Bermuda zum zweiten Mal statt.

Von der großen Fensterfläche im Watergate blickt man direkt auf die andere Spreeseite, auf das Gebäude von Universal Music Deutschland. Als Teil einer internationalen Mediengruppe, zu der auch ein Musikverlag zählt, gehört Universal zu einem wachsenden Sektor der Musikbranche. Musikverlage vertreiben Musik auf Tonträgern, als Partitur oder über Rechte, beispielsweise bei der Übertragung im Radio. Seit 2000 sind sie in Berlin um mehr als 110 Prozent gewachsen. Den Berliner Musikmarkt zeichnet dabei aus, dass er zwar wie die Branche allgemein unter den radikalen Veränderungen durch die Digitalisierung der Musik gelitten hat, aber nicht so stark wie in anderen Städten.

Das lässt sich gut am Zustand der Label ablesen, die teilweise deckungsgleich mit Musikverlagen sind. Der Großteil des Gesamtumsatzes aller Berliner Tonträgerfirmen stemmt Universal. Der Riese ist seit 2002 an der Spree und hält den Standort für alternativlos. „In Deutschland haben wir uns für Berlin entschieden, weil die Stadt beste Voraussetzungen für unser kreatives Geschäft bietet:“, sagt der Universal-Präsident für Deutschland, Österreich und die Schweiz, Frank Briegmann. Nirgendwo sonst in Deutschland sei man näher an den Trends und Stars von morgen, sagt Briegmann. „National und international liegt die Stadt im Fokus, und viele Weltstars kommen gerne her.“

Die kleinen Labels tragen zum Ruf als Musikmetropole bei

Neben Universal und Sony, das unter anderem mit seinem Label Columbia Berlin in der Hauptstadt vertreten ist, haben die vielen kleinen Label den Ruf Berlins als Musikmetropole erarbeitet. Der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten zufolge gibt es 250 aktive Labels in der Stadt. Auf elektronische Musik spezialisierte Unternehmen wie BPitch Control, K7 oder Tresor Records, die in den 90er-Jahren während des Techno-Booms entstanden sind, gelten heute als Pioniere dieses Genres. Diese Labels haben dafür gesorgt, dass man auf internationalen Musikmessen zuerst an elektronische Musik denkt, wenn die Rede von Berlin ist. Das wiederum zieht seit einigen Jahren ausländische Plattenlabel nach Berlin, beispielsweise das kanadische Unternehmen Minus oder Made to play aus London.

Die wirtschaftliche Realität, sagen die Betreiber der Label, entspricht allerdings selten ihrer Popularität. So sitzt das berühmte Indielabel City Slang, das dieses Jahr seine zwanzigstes Jubiläum feiert und bekannte Künstler wie Arcade Fire, Calexico oder Nada Surf unter Vertrag hat, in bescheidenen Büros in einem Kreuzberger Keller.

City Slang veröffentlicht durchschnittlich zehn Alben im Jahr und beschäftigt sechs Mitarbeiter. „Wir sind seit zehn Jahren in der Krise“, sagt Finanzmanager Stephan Rombach. „Wir haben bestimmten Künstlern abgesagt, weil wir nicht das Verkaufspotenzial sehen. Unter 5000 CDs zu verkaufen ist eigentlich nicht rentabel.“

Vom fünf Jahre alten Label Mobilee „überleben“ fünf Personen, sagt Mitgründer Ralf Kollmann. 2009 hat das Label etwas mehr als 52 000 Euro Umsatz gemacht. Und bei Ostgut Ton, dem Label des Berliner Clubs Berghain, verdient der Verantwortliche Nick Höppner sein Geld am Wochenende als DJ. „Von dem Geld, das ich hier für meine monatliche Arbeit bekomme, kann ich allein nicht leben“, sagt er.

Alle Labelverantwortlichen benennen illegale Downloads als Hauptschuldige am Zusammenbruch der Tonträgerverkäufe. Um neue Einkünfte zu generieren, haben viele Label das Management ihrer Künstler, die Organisation von Tourneen und Sponsorensuche übernommen. Oder sie erweitern ihr musikalisches Angebot wie K7. „Wir sind eine internationale Label-Gruppe“, erklärt Geschäftsführer Horst Weidenmüller. „Jedes Label ist eine Marke, und jede Marke steht für ein Genre von Musik. Wir haben zum Beispiel das Label Strut, das für World Music, Jazz und Afrobeat zuständig ist; wir haben das Label Gold Dust, das urbane Musik macht, wir haben das Label K7, das in erster Linie elektronische Musik macht, und das Soul- und Hip-Hop-Label Rapster.“

Das Unternehmen mit 30 Mitarbeitern, darunter 21 am Berliner Sitz, betreibt auch ein Büro in New York. Einen beachtlichen Teil der umgesetzten 4,8 Millionen Euro hat K7 im vergangenen Jahr durch den weltweiten Vertrieb seiner Tonträger erwirtschaftet, den das Label ebenfalls übernommen hat.

Neben mittelständischen Unternehmen gibt es in Berlin auch etliche Kleinstlabel. Meist haben Künstler sie gegründet, die es leid waren, auf eine Plattenfirma zu warten, die sich für sie interessierte. So geschehen bei Sängerin Kirsten Hahn, die 2007 das Label Solaris Empire gegründet hat. „Du musst dich als Künstler verstärkt selber managen, dich selber um Konzerte und Vermarktung kümmern“, sagt die Popsängerin, die unter dem Namen Kitty Solaris auftritt. „Heute muss man als Künstler viel mehr als nur Musik machen.“ Ihr Label leitet sie von zu Hause aus.

Dass keines der Tonträgerunternehmen das Handtuch wirft, könnte auch daran liegen, dass der Konzentrationsprozess unter den Plattenfirmen abgeschlossen ist. „Das hat sich jetzt gesundgeschrumpft“, kommentiert Nadja Clarus, Referentin für Musikwirtschaft bei der Wirtschaftssenatsverwaltung. Zwar sei die Lage nicht für alle Labels besser, zumindest sei sie aber nicht schlimmer als im restlichen Bundesgebiet.

Bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Berlin Partner GmbH schlägt Geschäftsführer René Gurka noch optimistischere Töne an: „Man kann die Digitalisierung auch als Chance sehen“, sagt er. Für einige Labels habe die Digitalisierung zwar das Aus bedeutet, andere seien dadurch aber erst entstanden. Ihn kümmert in der derzeitigen Situation mehr der Künstler, der mit der wirtschaftlichen Ausrichtung von Musik ins Hintertreffen geraten ist. So erklären Branchenreports seit Jahren, dass Plattenlabels in der Regel nur noch ein Album vorfinanzieren. Läuft das nicht, wird der Vertrag mit dem Künstler nicht verlängert. Für die Kreativen bedeutet das weniger Zeit zum experimentieren.

Gerade aber das sei das ein starkes Pfund Berlins, sagt Gurka, eben ein Experimentierfeld zu sein. Durch Veranstaltungen wie die Berlin Music Week hofft er, die Künstler wieder stärker in den Mittelpunkt des musikalischen Schaffens zu stellen. Im Report über die Berliner Kreativbranche aus dem Jahr 2008 wurde dafür die Einrichtung eines Fonds zur Förderung von Künstlern angeregt. „Die Branche ist gefordert, hier Vorschläge zu formulieren“, schreiben die Autoren.

Digitalisierung als Chance

Dass die Digitalisierung Künstlern neue Möglichkeiten gibt, zeigt die bisherige Karriere von Zoe Leela. Die Kreuzbergerin hat in diesem Jahr ihr Album „Queendom Come“ herausgebracht. Über ihre Webseite kündigt sie ihre Konzerte an, weist auf neue Artikel oder Radiobeiträge über sie hin oder verkündet, dass sie in die Nachwuchsförderung der Volkswagen Sound Foundation aufgenommen wurde. Ihre Musik hat sie über eine Creative Commons Lizenz geschützt, die Privatpersonen erlaubt, diese zu verbreiten. „Mein Werdegang als Musikerin ist gerade einmal ein Dreivierteljahr alt, ohne Marketingbudget oder Koppelung an eine Plattenfirma“, sagt sie. Downloads von Songs haben aus ihrer Sicht zur Folge, dass sich „früher oder später jemand für den Künstler interessiert, der die Shareware zur Verfügung gestellt hat“, sagt sie. „Es eröffnet sich so ein breites Feld an innovativen Wegen, Geld zu generieren.“ Über ihre Erfahrung wird sie auf der Musikkonferenz All Together Now am 6. September berichten. Die eingebrochenen Einnahmen aus Plattenverkäufen haben auch dazu geführt, dass Künstler sich viel stärker über Konzerttourneen finanzieren. Davon profitieren in Berlin neben den mehr als 250 Veranstaltungsstätten auch Veranstalter wie die Deutsche Entertainment AG (DEAG). Geschäftsführer Peter Schwenkow ist seit 30 Jahren im Musikgeschäft. Sein Unternehmen, das im vergangenen Jahr 130 Millionen Euro Umsatz gemacht hat, verdient sein Geld heute hauptsächlich außerhalb von Berlin. „Der Berliner Veranstaltungsmarkt ist gesättigt“, sagt er. Mittlerweile sei die hervorragend mit Spielstätten ausgestattete Hauptstadt Pflichtstop jeder Tournee. Kein Vergleich zu den 80er Jahren, sagt Schwenkow, als man die Künstler noch überreden musste, nach Berlin zu kommen. Konzerte werde es aber immer geben, weil sie einmalig seien. In eine ähnliche Kerbe schlägt Wolfgang Köllen, Geschäftsführer der Wuhlheide. Er nennt Berlins Spielstättenlandschaft „sehr umfang- und facettenreich“. Da mache man sich schon Gedanken, wie man sein Programm erweitern könne, etwa um Klassikkonzerte: „Nach den großen Erfolgen mit dem Geiger David Garrett wollen wir stärker in diesen Bereich gehen.“ Man wolle auch mehr auf Comedy-Veranstaltungen setzen. Klaus-Peter Schulenberg, Vorstandschef der CTS Eventim AG hält sich noch etwas bedeckt über künftige Konzertformate in Waldbühne und Tempodrom, die der Ticketingkonzern betreibt. „Wir sind – sowohl bei der Waldbühne als auch beim Tempodrom – noch in der Anfangsphase. Deshalb ist es noch zu früh für konkrete Aussagen. Auch wir müssen das eine oder andere Format testen und die Besonderheiten Berlins kennenlernen.“ Für den Veranstalter von Live-Entertainment, sei es selbstverständlich, die Entwicklung der Stadt und der Musik- und Kulturszene zu verfolgen.

Im Geschäft mit dem „rein kommerziellen Produkt Musik“ setzt die DEAG jetzt auf die Wachstumsmärkte Klassik, Schlager und Volksmusik. „Es geht gar nicht so sehr darum, wie ein Künstler sich anzieht, die Ansprache des Publikums ist entscheidend“, sagt Schwenkow. Und gerade in diesen Segmenten könne man die Vermarktung noch stark verbessern. Aus diesem Grund haben DEAG und Sony Anfang August die Gold Entertainment GmbH gegründet. Sie soll im deutschsprachigen Raum Schlager und Volksmusik besser verkaufen.

Für Schwenkow, der am Berliner Firmensitz 39 seiner insgesamt 183 Mitarbeiter beschäftigt, bleibt Berlin ein wichtiges Trendbarometer. Hier könne man an der Zahl von Zuschauern beispielsweise gut ablesen, ob ein Künstler gerade im Kommen oder ob seine Zeit vorbei sei. Schwenkow, der für die CDU im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, steht öffentlicher Förderung für die Musikwirtschaft kritisch gegenüber. Die Berliner Opernhäuser nimmt er dabei heraus. „Oper und bestimmte Klassik-Ensembles müssen subventioniert sein. Ohne Unterstützung können sie nicht existieren“, sagt er.

Das wird Jochen Thärichen gerne hören. Der ausgebildete Trompeter führt die Berliner Symphoniker ehrenamtlich als Intendant, seit dem Orchester 2004 die Subventionen gestrichen wurden. Seitdem wartet der 66-Jährige auf einen Politikwechsel in Berlin, damit der Senat seinem Ensemble wieder öffentliche Gelder zuteil werden läßt. Eine Alternative zu Subventionen sieht er nicht. Mit Beginn des Insolvenzverfahrens musste das Orchester damals sein pädagogisches Programm einstellen und alle Musiker entlassen. Heute arbeiten die Instrumentalisten auf freischaffender Basis für das Ensemble, dass sich über Konzerttourneen finanziert und so das Geld zusammenträgt, um die eigenen Konzerte in Berlin zu subventionieren. Das Orchester ist ständig auf der Suche nach Sponsoren, „aber das Mäzenat ist in Deutschland lange nicht so ausgeprägt wie in anderen Ländern“, sagt Thärichen. Um die Existenz der Berliner Symphoniker will er weiter kämpfen. In Berlin müsse es ein hochwertiges Ensemble, das bewusst Konzertkarten für den kleinen Geldbeutel anbiete, einfach geben. Und dann erzählt er noch, wie die Musiker seines Ensembles in der Hochschule für Musik Hanns Eisler (HfM) jedes Jahr Abschlussprüfungen abnehmen und darüber Nachwuchs für das Orchester rekrutieren können.

Der Klassikmarkt kennt keine Grenzen

Die Musikhochschule am Gendarmenmarkt und die Fakultät für Musik der Universität der Künste (UdK) bilden einen Teil des Nachwuchses aus, den Senatsreferentin Nadja Clarus als „kreative Ursuppe“ bezeichnet, aus der sich ständig neue Formationen aller Musikrichtungen bilden. An der UdK sind im betreffenden Fachbereich zum Sommersemester 1031 Studierende eingeschrieben, an der HfM sind es 605. Aufgrund des internationalen Renommees beider Einrichtungen kommen viele Studierende aus dem Ausland, insbesondere bei den Instrumentalisten. Danach wechseln die Absolventen dorthin, wo es Arbeit gibt. Das kann Berlin sein, aber auch Singapur oder Boston. Der Klassikmarkt kennt keine Grenzen. „Man muss flexibel sein“, sagt Wolfgang Dinglinger, Dekan der Fakultät Musik an der UdK. Natürlich seien die Berliner Orchester eine wichtige Anlaufstelle für die Absolventen, „unsere Studierende haben da gute Chancen“, sagt er. Die Konkurrenz bleibt gerade bei den guten, sogenannten A-Orchestern, aber groß.

Das gilt für viele der 13 800 im Berliner Musiksektor beschäftigten Menschen. Berliner Musiker und darstellende Künstler zählen in der Kreativbranche zwar zum oberen Einkommensdrittel, wenn man ihr absolutes Einkommensniveau betrachtet. Allerdings gibt es in der Hauptstadt immer mehr Selbstständige in der Musikwirtschaft, und die verdienen in der Regel deutlich weniger als die 37 Prozent Angestellten. Der Kulturwirtschaftsbericht von 2008 errechnet für angestellte Musiker ein mittleres Nettoeinkommen von 2400 Euro monatlich, bei selbstständigen Musikern sind es weniger als 1500 Euro.

Knapp 1000 Menschen sind in der Berliner Musikbranche geringfügig beschäftigt. Das sogenannte kreative Prekariat rekrutiert sich aus beiden letztgenannten Gruppen. Paradoxerweise schaffen gerade diese Menschen die Einzigartigkeit des Berliner Musikstandorts. Denn Kreative, die (noch) nicht richtig von ihrem Beruf leben können, lassen sich häufig in Berlin nieder, weil die Lebenshaltungskosten hier relativ gering sind. Sie ziehen in Viertel, die erst durch ihre Anwesenheit als hipp und kreativ gelten und damit eben jene Kreative durch steigende Mietkosten wieder in ein günstigeres Viertel abwandern lassen. Damit hängt die Kreativität Berlins an einer Gratwanderung zwischen Armut und Gentrifizierung. Für die Watergatebetreiber Hack und Wombacher hat eben jene Gentrifizierung dazu geführt, dass es in Prenzlauer Berg heute keine Clubs mehr gibt. Auch in Kreuzberg fühlen sie sich von dieser Entwicklung bedroht, von Investoren, die mit teuren neuen Eigentumswohnungen die Mieten in die Höhen treiben oder von Lärmklagen, die das Aus für ihren Club bedeuten können. Aber noch gibt es in Berlin Ausweichquartiere. „Unsere Stadt ist arm und sexy und gerade deswegen zieht es Kreative aus aller Welt nach Berlin“, sagt auch die Musikerin Zoe Leela. „Hier entstehen neue Dinge, hier wird ausprobiert, sich gesammelt, um die Welt mit neuen Kreationen zu überraschen.“

Von der Berliner Künstlerdichte auf hohem Niveau profitiert der Filmkomponist Martin Todsharow. Der gebürtige Berliner hat unter anderen die Musik zu den Filmen „Hilde“, „Lulu und Jimi“ und „Wüstenblume“ geschrieben. Gerade sind seine Kompositionen für die Filmproduktion „Jud Süß“ und die Kinoverfilmung der Fernsehserie „Löwenzahn“ fertig geworden. „Jetzt arbeite ich an ein paar Tracks für den neuen Film von Til Schweiger“, sagt der 52-Jährige. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele neue Musiker ich hier kennenlerne“, sagt er. Hier bekomme man gute Qualität für gute Preise. „Wenn ich in München einen guten Bassisten brauche, und davon gibt es nur zwei, haben die einen anderen Preis als wenn ich in Berlin einen guten Bassisten suche, und davon gibt es zehn“, sagt er.

"Für jedes Genre gibt es Studios"

Davon abgesehen ist für den Berliner die Landschaft der Tonstudios in Berlin ideal. „Für jedes Genre gibt es Studios, die sich darauf spezialisiert haben. Jede Musikrichtung hat ihre eigene Infrastruktur“, sagt er. Diese sei meist einem Bezirk zuzuordnen: Kreuzberg für Hip-Hop, Mitte für elektronische Musik, Prenzlauer Berg für Rock. Wenn er mit einem klassischen Ensemble aufnehmen will, geht Todsharow am liebsten in die Teldex-Studios in Lichterfelde. Ein Team von Tonmeistern hat das Haus nach der Schließung des Labels Teldec Classics International übernommen. „Da gibt es Tonmeister, die schon mehrere Grammys gewonnen haben“, schwärmt Todsharow.

Auch renommierte Orchester nehmen in dem Studio auf. Gut möglich, dass ein Instrument von Ludwig Frank dort schon zum Einsatz kam. Der Oboenbauer hat das Handwerk nach der Wende wieder nach Berlin gebracht. Seine Oboen haben innerhalb von knapp 20 Jahren Weltruhm erlangt. In zahlreichen weltbekannten Orchestern werden sie gespielt, die Instrumente verschickt er unter anderem nach Brasilien, China und Japan. Seit der Saison 2009/10 spielt auch Oboenstar Albrecht Mayer von der Berliner Philharmonie auf einer Oboe aus dem Hause Frank. Darauf ist der Musikinstrumentenbauer besonders stolz. „Das bringt unserer kleinen Firma international erhebliche Beachtung“, sagt Frank.

Frank, der in der DDR einen Ausreiseantrag gestellt hatte und ihn kurz vor dem Fall der Mauer 1989 bewilligt bekam, verließ den Osten zunächst für zwei Jahre, um in Tübingen bei einer renommierten Instrumentenbaufirma zu arbeiten. Dann kam er zurück nach Berlin, um mit seinem Geschäftspartner Frank Meyer eine eigene Firma zu gründen. Mit einem Kredit über 300 000 Mark kauften sie ein insolvent gegangenes Unternehmen aus Pfaffenhofen. „Die Leute hielten uns für verrückt“, erinnert sich Frank. Das Konzept ging auf, die Oboen aus Berlin verkauften sich. Während vor der Wende die Instrumente vor allem aus Frankreich kamen, weil die Instrumentenbauerbranche im Osten brach lag und Oboen auch im Westen kaum gebaut wurden, sorgten Frank und Meyer dafür, dass Oboen wieder mit der Aufschrift „Berlin“ in die Konzerthäuser kamen – so, wie es zuletzt vor dem Krieg war. „Das Instrument muss zum Künstler passen“, sagt Frank. Nach dieser Philosophie arbeitet er eng mit den Musikern zusammen und entwickelt die Instrumente mit ihnen nach ihren Bedürfnissen – egal ob sie Musiker der Staatsoper oder Studenten sind. Und wenn ein Künstler mit seinen Oboen nicht arbeiten kann, akzeptiert er auch das.

1999 expandierte die Firma. Sein alter Ausbildungsbetrieb in Markneukirchen im Vogtland ging Pleite, Ludwig Frank zögerte nicht lange und kaufte den Traditionsbetrieb aus der „Wiege des deutschen Orchesterinstrumentenbaus“. Dort stellt die Firma unter ihrem alten Namen „Gebrüder Mönnig & Oscar Adler“ Oboen, Klarinetten und Fagotte her. Der Bau einer Oboe dauert etwa einen Monat. Rund 60 Instrumente werden in der Berliner Werkstatt pro Jahr gefertigt. In Markneukirchen entstehen jährlich 120 Instrumente. Dazu kommen noch zahlreiche Schülerfagotte, -klarinetten und -oboen.

Frank ist voll ausgebucht. Die Konkurrenz beim Oboenbau ist nicht besonders groß, in Deutschland gibt es gerade mal fünf oder sechs weitere, schätzt Frank. „Beim Geigenbau ist das zum Beispiel ganz anders, da gibt es allein in Berlin etliche“, erzählt der 47-Jährige. Der Verkauf von Instrumenten richte sich weniger nach der Situation auf dem Weltmarkt, sondern folge einem bestimmten Muster. „Es gibt viele Instrumentenbauer, die eine Zeit lang sehr wachsen und wenn sie dann zu groß geworden sind, geht es bergab“, sagt er. Seine Devise lautet deshalb: Nicht zu groß werden, den engen Kontakt zum Kunden nie verlieren und penibel darauf achten, was der Zeitgeist will. „Klänge und Hörgeschmäcker verändern sich. Das hören Sie, wenn Sie mal eine alte Aufnahme von einem Konzert mit einer neuen vergleichen.“ Die Philosophie geht im Profibereich gut auf – bei den Schülerinstrumenten ist der Druck aus dem billigen Ausland wie China allerdings größer, gibt Frank zu. Damit das Unternehmen auch in möglichen Absatzkrisen fest steht, haben Meyer und Frank neben dem Neubau von Instrumenten und der Reparaturwerkstatt auch noch einen Laden, in dem sie Instrumente verkaufen – auch von der Konkurrenz. „So lange ich noch Ideen habe, bin ich zuversichtlich“, sagt Frank mit Blick in die Zukunft.

Komponisten, Musiker, Instrumentenbauer – sie alle müssen sich im Ausland verkaufen. Diese Märkte werden für die Berliner Musikwirtschaft zunehmend wichtig. Dafür müssen sich die Unternehmen besser vernetzen, Das ist ein anderer Aspekt, der dem Berlin Music Week-Mitbegründer Kretschmar am Herzen liegt. „Bisher hatten die Akteure der Musikwirtschaft eine gewisse Wagenburgmentalität“, sagt er. Statt Zusammenarbeit habe bisher Abgrenzung geherrscht zwischen großen und kleinen Labels, kommerziell erfolgreichen Künstlern und solchen, die sich selbst gern als Indie-Bands bezeichnen.

Das, sagt Kretschmar, sei heute nicht mehr zeitgemäß. „Nach der Krise und den großen Umbrüchen im Musikgeschäft können wir es uns nicht mehr leisten, gegeneinander zu arbeiten“, erklärt er. Durch einen gemeinsamen Auftritt könnte die Berliner Musikwirtschaft beweisen, dass sie nicht nur Elektro, Jazz oder Klassik ist, sondern viel mehr. Was das bedeutet, sagt DEAG-Chef Peter Schwenkow: „Als Teil der Kreativwirtschaft hat die Berliner Musikwirtschaft das Potenzial, innerhalb von sieben bis zehn Jahren die Zahl der Jobs in der Branche zu verzweifachen, wenn nicht zu verdreifachen“.

Der Artikel erscheint in Berlin Maximal. Die neue Ausgabe des Wirtschaftsmagazins des Tagesspiegel ist ab Freitag im Handel.

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