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HEIK AFHELDT trifft …: Roland Albrecht, Aussteller

Ein winzig schmaler Raum an der Crellestraße in Schöneberg. Da drinnen das „Museum der Unerhörten Dinge“, ein liebenswürdiger Herr im Rollkragenpullover mit vollem weißem Haar und dem Gesicht eines weisen Philosophen, voller Lebensneugier.

Ein winzig schmaler Raum an der Crellestraße in Schöneberg. Da drinnen das „Museum der Unerhörten Dinge“, ein liebenswürdiger Herr im Rollkragenpullover mit vollem weißem Haar und dem Gesicht eines weisen Philosophen, voller Lebensneugier. Zwei Stühle vor einem holzbefeuerten Kanonenofen. An den Wänden alte Sinnsprüche wie „Gott zieh hier ein, schenk Glück uns drein“ und die lustigsten Exponate, Fotos, Gedichte und Erzählungen von Roland Albrecht. „Ein Rentier ging nach Spanien“, heißt eine seiner skurrilen, virtuellen Reportagen: „Ein seltener Fall neurologischen Geschehens bei Rentieren.“ Im hinteren Raum betritt man die eigentliche Wunderkammer, eine Erfindung der Renaissance. An der Wand Hunderte von kuriosen und banalen „Unerhörten“ Dingen, die ihm irgendwann, irgendwo begegnet sind, und eine Auswahl von „Erhörten Dingen“. Die haben sich ihm erklärt und ihren Sinn offenbart. Der Fotograf, Künstler und Journalist zitiert Nietzsche: Was einen umgibt, zieht bei einem ein.

Wie kommt der als Erbe des elterlichen Betten- und Wäschegeschäfts im Allgäu vorgesehene „Schulversager“ hierher, an diesen Platz, der ihm so offensichtlich behagt? Gelitten hat er bis zu einer späten siebenjährigen Therapie unter seinem Stottern. In der vierten Klasse wurde er jeden Tag von seinem Lehrer verprügelt. Kein Wunder, dass er die Schule früh verlassen und eine Lehre als Großhandelskaufmann begonnen hat. Aber er wollte mehr, raus aus den verkrusteten Strukturen. Er gründete die erste Kommune in Memmingen und erkundete wie Fritz Kuhn und Claudia Roth dort den Marxismus, spielte Gitarre, wollte komponieren und Konrad Adenauer werden. Stattdessen hat er drei Jahre in der Ersten Hilfe, der Anästhesie und Reanimation gearbeitet.

Mit 25 kam nach vielen Reisen seine „Flucht aus der westdeutschen Provinz“ nach Berlin. Er wurde Pfleger am Gertrauden-Krankenhaus und arbeitete die andere Tageshälfte als Künstler, genoss die alternative Kultur, die WG und Seminare über die Theorie der Anarchie an der FU. Gelebt hat er vor allem vom Fotografieren und vom Schreiben auch für die Presse.

Just als er mit Kunst eigentlich nichts mehr zu tun haben wollte, kam das verlockende Angebot für den Raum, der heute sein Museum ist. Das war 2000. Mittlerweile gibt es ein dicke Mappe mit wohlwollenden Presseclips. 600 Besucher kamen in der letzten Langen Nacht der Museen, sonst sind es pro Tag drei bis zehn. Sie kaufen selten etwas, vielleicht das schöne Buch über ihn im Wagenbach Verlag oder eine Arbeit wie „Geistesblitz“, ein graues Blatt Papier, auf dem ein verkohltes Loch die Einschlagstelle des Blitzes markiert. Geld von der Stadt bekommt er nicht. Er lebt weiter vom Fotografieren. Im neuen Jahr ist er nach Tirana eingeladen. Was sonst die Zukunft bringt? Keine Ahnung, sagt er. Vor zehn Jahren habe er nicht geahnt, hier zu sein. Auch die Zukunft ist für ihn noch „unerhört“!

Heik Afheldt war Herausgeber des

Tagesspiegels.

Roland Albrecht (59)

ist Gründer des „Museums der Unerhörten Dinge“ (Crellestr. 5-6, www.museumderunerhoertendinge.de) sowie gelernter Großhandelskaufmann und Krankenpfleger.

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