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Berliner Wirtschaft: Jede Menge Platz

Der Senat will Berlins Profil als moderner Produktionsstandort schärfen – bundesweit boomt die Branche

DEN BESTAND PFLEGEN

Ein Modell für Bestandspflege ist die Motzener Straße in Tempelhof-Schöneberg. Rund 280 Unternehmen engagieren sich dort in einem Verein, schließen sich zusammen, um zu kooperieren. Zum Beispiel beim gemeinsamen Einkauf von Energie oder beim Austausch von Lehrlingen. Der Regionalplaner Peter Ring ist ganz begeistert von der Motzener Straße. Auch deshalb, weil insgesamt „der Integrationsgrad der Berliner Unternehmen eher gering ist“. Die Firmen kooperieren eher selten, wissen häufig gar nicht, was es an möglichen Kooperationspartnern im Umfeld gibt. Deshalb hat die IG Metall gemeinsam mit dem Wirtschaftssenator die Industriegespräche eingeführt: Politiker, Wissenschaftler und Unternehmer treffen sich in einer innovativen Firma, um über Entwicklungen und mögliche Entwicklungspartnerschaften zu reden. „Es geht darum, alle Spieler an einem Tisch sitzen zu haben“, sagt der Berliner Gewerkschaftschef Arno Hager.

„Bestandspflege ist das Bemühen, alle Firmen am Standort zu halten und weiterzuentwickeln“, meint Regionalplaner Ring. Und in Berlin werde das leider traditionell vernachlässigt. Vor dem Fall der Mauer gab es keine Notwendigkeit und nach der Wende sei das postindustrielle Zeitalter ausgerufen worden, die Zukunft gehörte den Dienstleistungen, die ansässige Industrie wurde geringgeschätzt. „In anderen Städten, zum Beispiel München, heißt es ,Bestand, Bestand, Bestand’“, sagt Ring. Und Hager ergänzt: „Wer hochwertige Dienstleistungen will, der braucht eine starke Industrie.“ Die Industrie sei ein „hohes Gut, wir müssen viel tun, damit es ihr gut geht“. So wie bei MAN Turbo in Reinickendorf. Dort muss gelegentlich eine Straße gesperrt werden, wenn große Maschinen abzutransportieren sind. Mithilfe der Bezirksbürgermeisterin bekommt MAN nun mehr Zeit für den Transport, in der betroffenen Straße darf für einen längeren Zeitraum nicht geparkt werden. Für Hager ein kleines Beispiel für den erwünschten Mentalitätswandel zugunsten der Industrie. alf

DAS IMAGE AUFBESSERN

„Investitionen werden einfach zu wenig gefeiert“, sagt Regionalplaner Ring. Die jahrelange Behauptung, Berlin sei keine Industriestadt mehr, habe schwer geschadet und Firmen abgehalten, nach Berlin zu kommen. „Man muss den Leuten sagen, was es alles gibt“, fordert Ring. Ähnlich formuliert Hager. „Wir brauchen eine Alphabetisierungskampagne und sollten die Spitzenleistungen unserer Industrie vielleicht im Rahmen von Events präsentieren.“ Dreckig, laut und unmodern – wer so über die Industrie und ihre Verfahren und Produkte denke, habe etwas verpasst. „Den Menschen muss klargemacht werden, wie sich die Wirtschaftsstruktur zusammensetzt.“ Nämlich mit der Industrie als Basis. alf

WISSENSCHAFT UND WIRTSCHAFT

ENGER VERZAHNEN

Mehr als vier Prozent der Berliner Wirtschaftsleistung fließen in Forschung und Entwicklung – das ist mehr als in vielen anderen Städten. Noch aber werden aus den Innovationen zu wenige Projekte, mit denen Firmen Geld verdienen. Gut sieht es etwa in der Medizintechnik aus, die auf ständige Innovationen angewiesen ist. Ausbaufähig ist der Wissenstransfer dagegen noch im Pharmabereich, findet Franz Dormann, Geschäftsführer der Initiative Gesundheitsstadt Berlin. „Wenn wir ein Zentrum für klinische Studien hier aufbauen könnten, wäre das ein Riesensprung nach vorn“, findet er. Dann könnten Industrie, Krankenhäuser und Forschung ihr Wissen zusammenbringen und verwerten. Allerdings müssten sie dazu eng kooperieren – daran hapert es laut Dormann noch. brö

DIE VERWALTUNG MODERNISIEREN

Nach der Wiedervereinigung ist die Zahl der Landesbediensteten um fast die Hälfte auf gut 110 000 gesunken. Doch noch immer hat die Verwaltung der Stadt keinen guten Ruf bei den Firmen. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) würde am liebsten die Bezirke ganz abschaffen. „Für die Unternehmen gibt es Ansprechpartner auf zwei Ebenen, das ist in keiner anderen Stadt so“, bemängelt IHK-Industrieexperte Daniel Fiebig.

Ganz so radikal müsse man nicht vorgehen, findet der Verwaltungsexperte und Berater Hartmut Bäumer. „Eine engere Verzahnung von Senat und Bezirken würde schon eine Menge verbessern.“ Auch die Bezirke untereinander müssten sich besser abstimmen – „ist eine Investition in Reinickendorf nicht möglich, dann vielleicht in Adlershof oder umgekehrt“. Wichtig sei ein Mentalitätswechsel bei den Verwaltungsbeschäftigten – mehr Offenheit und Servicebereitschaft im Umgang mit der Wirtschaft. „Die Leute müssen auf die Unternehmen zugehen und ihnen ihre Unterstützung anbieten“, verlangt Bäumer. Außerdem müsse es ein Leitbild, ein großes Ziel für alle geben. „In welcher Industrie soll Berlin in 15 oder 20 Jahren stark sein?“ Auch ein besseres Zeitmanagement sei unverzichtbar. Wer ein Anliegen habe, müsse wissen, wann er mit einer Entscheidung rechnen kann.

Eine Menge Ideen – um sie umzusetzen, seien klare Strukturen nötig, findet Bäumer. „Ideal für eine Modernisierung der Verwaltung wäre ein Beauftragter, ein Staatssekretär, der sich ausschließlich darum kümmert“, empfiehlt er. brö

Mit einer Frau wie Christine Lang zeigen sich Politiker gerne. Sie ist blitzgescheit, Mikrobiologin, beschäftigt 22 Leute in ihrer Firma – und das in Berlin. Woran sie arbeitet, versteht zwar nicht jeder – „probiotische Wirkstoffe, die etwa Karies vorbeugen, für die Lebensmittelherstellung etwa“, sagt sie. Lang steht für Fortschritt, für Hightech und für Industrie. Deshalb hat sie nächste Woche einen Termin mit dem Regierenden Bürgermeister. Er weiß: Es müsste viel mehr Menschen wie Christine Lang in der Hauptstadt geben. Dann gäbe es mehr Industrie – und mehr Arbeit.

Doch daran fehlt es. Während der Aufschwung in einigen Landesteilen das Wirtschaftswachstum auf bis zu vier Prozent treibt, dümpelt Berlin mit nicht einmal der Hälfte dahin. Grund: Die Nachfrage nach Industrieprodukten, nach Maschinen, Autos oder Werkzeugen, trägt die Konjunktur. Vor allem Käufer im Ausland stehen Schlange nach deutschen Waren. Doch in Berlin spielt die Exportindustrie nur eine untergeordnete Rolle – hier stützen Tourismus und Verkehr das Wachstum. Siemens mit seinen Turbinen, Bayer Schering mit seinen Pillen, BMW mit seinen Motorrädern kennt jeder – doch danach kommt nicht mehr viel. Während das verarbeitende Gewerbe bundesweit in der ersten Hälfte 2007 um fast sieben Prozent wuchs, stagnierte Berlin bei 0,2 Prozent.

Doch mittlerweile wächst die Einsicht, dass die Berliner Wirtschaft mehr braucht als neue Dienstleistungsunternehmen. Der Senat will Berlins Profil als Industriestandort schärfen. Klaus Wowereit (SPD) und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke) laden am Donnerstag ins Rote Rathaus zum ersten Berliner Industrieforum. Zusammen mit namhaften Unternehmen der Stadt, von Berlin Chemie bis Gillette, wollen sie erklären, warum sich hier arbeiten und produzieren lässt. „Berlin ist besser als sein Ruf“, ist Wolfs Credo. „Die Berliner Industrie hat gute Perspektiven“, sagte sein Chef Wowereit dieser Zeitung. „Nicht rauchende Schornsteine und große Fabrikhallen prägen die Berliner Industrie der Zukunft, sondern hoch innovative wissensbasierte Unternehmen.“ Adlershof, der Gründer- und Technikpark, sei das Modell. „Wir brauchen viele Adlershofs“, findet Wowereit.

Hoffnungslos ist die Lage tatsächlich nicht. „Gerade innovative Branchen wie Medien, Informations-, Medizin- oder Biotechnik sind in den vergangenen Jahren stärker als in anderen Großstädten gewachsen“, sagt Hartmut Mertens, Chefvolkswirt der Förderbank IBB. Auch in den klassischen Zweigen habe Berlin wieder Tritt gefasst. Freilich bleibt noch viel zu tun (siehe unten).

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