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Wirtschaft: Der Osten kommt: Die schlaue Art zu wachsen

Staub. Überall weißer Staub.

Staub. Überall weißer Staub. Es duftet nach Seife und Parfüm. Der Staub ist Waschpulver. Teilweise wurde es zu kleinen Haufen zusammengefegt. Menschen sind in der Halle nicht zu sehen, nur Maschinen. "In der eigentlichen Produktion sind nur wenige Mitarbeiter beschäftigt", erfahren Besucher von Wolfgang Müller, Geschäftsführer der Henkel Genthin GmbH. Menschen werden vor allem zur Überwachung der Maschinen gebraucht. Sie verpacken und transportieren das fertige Waschmittel. Heute arbeiten etwas mehr als 300 Menschen bei Henkel Genthin. 1990, als der Waschmittelproduzent aus Düsseldorf seinen alten Produktionsstandort in Sachsen-Anhalt von der Treuhand zurück kaufte, waren es 1650.

Henkel ist das einzige Großunternehmen in der Region. Nach der Wende wurden unter anderem eine Zuckerfabrik und ein Stahlwerk geschlossen. Die Arbeitslosenquote liegt in Sachsen-Anhalt zurzeit über 20 Prozent, im Jerichower Land nur knapp darunter. "Nach der Wende kam ein großer Einschnitt", erzählt Müller. Auch er habe damals Angst um seine Stelle gehabt. Müller stieg jedoch schnell auf, wurde zum Vertriebsleiter Ost für Henkel, verbrachte dann insgesamt knapp drei Jahre an den Henkel-Standorten Wien und Düsseldorf, bevor er Mitte der neunziger Jahre nach Genthin zurückkehrte. Im Jahr 2000 folgte schließlich die Beförderung zum Geschäftsführer für das Werk Genthin, in dem er seit seiner Ausbildung zum Chemiefacharbeiter Ende der fünfziger Jahre arbeitete.

Er ist der erste Werkschef, der nach der Wende aus dem Werk selbst kommt. "Wir mussten erst die Marktwirtschaft lernen", sagt Müller. In der DDR waren ihm als praktizierendem Katholik Führungspositionen vorenthalten worden. Er durfte sich jedoch in Abendkursen weiterbilden und neue Produktionsanlagen mitplanen. Das kam ihm nach der Wende zu gute. Und er kennt seine Leute - "mindestens die Hälfte mit Namen". Beim Gang über das Werksgelände schüttelt er viele Hände. Dabei haben alle sichtbaren Respekt vor dem eher schmächtigen Mann.

Müller ist sich bewusst, dass dies alles 1990 auf der Kippe stand. "Wer weiß, was passiert wäre, wenn Henkel das Werk nicht übernommen hätte." Auf sich allein gestellt wäre es zu klein und kaum überlebensfähig gewesen. Doch Henkel nahm sehr bald nach der friedlichen Revolution von 1989 mit Genthin Kontakt auf. Dort haben sich die Mitarbeiter trotz über 40-jähriger Trennung immer noch als "Henkelianer" gefühlt. Reisten zum Beispiel Genthiner zu DDR-Zeiten in den Westen, besuchten sie oft auch Henkel in Düsseldorf und brachten neue Produkte mit, erzählt Müller. Er selber habe noch bei alten "Henkelianern" gelernt. "Die kannten teilweise noch Mitglieder der Henkel-Familie."

Um die nötigen Entlassungen - eine eigene Forschungsabteilung wurde zum Beispiel nicht mehr gebraucht - abzufedern, gründete Henkel die Qualifizierungs- und Strukturförderungsgesellschaft Genthin (QSG). Über diese Gesellschaft wurden unter anderem ABM-Stellen und das Technologie- und Gründerzentrum Jerichower Land geschaffen. In beiden Einrichtungen ist Henkel noch heute aktiv. "Wir haben zunächst damit gerechnet, dass das Engagement nur einige Jahre nötig sein würde", räumt Müller ein. Die wirtschaftliche Erholung der Region lässt aber bis heute auf sich warten.

Genthin, direkt am Elbe-Havel-Kanal und nur etwa 100 Kilometer westlich von Berlin gelegen, war für die ehemalige DDR der wichtigste Produktionsort für Waschmittel. Von Henkel 1921 gegründet, von den sowjetischen Besatzern enteignet und teilweise demontiert, wurde das Werk Genthin ein Volkseigener Betrieb. Die "Spezialentwicklung" - kurz "Spee" - wurde hier 1968 konzipiert. Henkel übernahm die Marke nach der Wende und baute sie aus. "Spee" hat die bisherige Nummer zwei bei den Waschmitteln des Konzerns - nach "Persil" der "Weiße Riese" - mittlerweile überrundet. Die Marktanteile des Pulvers mit dem "Sparfuchs" liegen in Ostdeutschland bei 21, in Westdeutschland bei 6,2 Prozent.

Henkel hat viel investiert in Genthin - und das Gelände im wahrsten Sinne des Wortes aufgeräumt. Von den alten Gebäuden stehen nur noch ein Bürohaus und ein zum Museum umfunktioniertes altes Badehäuschen. Dort, wo auf älteren Fotos noch Braunkohlehalden für das werkseigene Kraftwerk lagen, ist heute eine grüne Wiese. Die Energie für die Produktion liefert mittlerweile ein kompaktes Gaskraftwerk. Dort, wo 1989 teilweise noch mit Maschinen aus den dreißiger Jahren Waschpulver verpackt wurde, stehen heute die LKW der jungen Genthin-Logistik GmbH, die für Henkel Genthin einen großen Teil der internen und externen Transporte übernimmt.

Insgesamt 166 Millionen Mark steckte der Konzern aus Düsseldorf in das Werk Genthin. Besonders stolz ist Müller auf die 50 Millionen Mark teure Anlage zur Herstellung von Flüssigwaschmitteln, die 1994 in Betrieb ging. "Das ist die modernste Anlage von Henkel in Europa", sagt der Geschäftsführer. Nur in den Kontrollräumen sitzen einige wenige Mitarbeiter. Ansonsten läuft die Produktion vollautomatisch und leise. Über verschiedene Tanks werden die Zutaten der flüssigen Mittel in Mischtanks geleitet und das Produkt wird auf seine Eigenschaften getestet, bevor es in die Abfüllanlagen geleitet wird. Vier unterschiedliche Produkte können hier gleichzeitig gefahren werden, sagt Müller. In anderen Werken seien es meist nur ein oder zwei.

Das klassische Waschpulver wird zwar weiter in Genthin hergestellt. Die Anlage dafür wurde bereits 1973 installiert, "ist aber auf neuestem Stand", betont Müller. Pulver machen nur noch einen geringen Anteil aus. Vor allem pulvrige Spezialwaschmittel stellt Genthin her. Ansonsten herrscht weitgehende Arbeitsteilung zwischen den Standorten in Ost und West. Genthin und Düsseldorf stehen beide auf jeder in Deutschland hergestellten Henkel-Packung als Produktionsorte nebeneinander. In Sachsen-Anhalt wird vor allem Flüssiges - Geschirrspülmittel, Weichspüler oder Waschmittel - hergestellt. In Nordrhein-Westfalen ist die Produktion der neuen Formen des Waschpulvers - Megaperls und Tabs - konzentriert. Genthin liefert dafür Vorprodukte, die in einer Ende 2000 erweiterten Granulieranlage hergestellt werden.

Noch ist viel Platz auf dem Gelände von Henkel Genthin. Eine starke Ausweitung der Produktion sei derzeit nicht geplant, heißt es aus der Zentrale in Düsseldorf. Aber Genthin hat einen guten Platz innerhalb der Henkel-Familie. Müller ist stolz auf die hohe Produktivität seines Werks. In Düsseldorf wird das bestätigt. Jochen Jacobs, Leiter der Henkel-Produktion in Nord-West Europa, sagt: "Wir sind mit dem Standort sehr zufrieden, ohne Wenn und Aber." Seit diesem Frühjahr beliefert Henkel den finnischen Markt mit Produkten aus Genthin. Die Schweiz ist schon seit 1995 auf der Kundenliste. Und vielleicht werden Aufträge aus anderen Ländern in Zukunft nicht nur ein paar Lücken auf dem Werksgelände schließen können - sondern auch ein paar wenige auf dem örtlichen Arbeitsmarkt.

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