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Immobilien: Bellen erlaubt – aber nur 30 Minuten

Lärm im Wohnhaus kann Mieter zur Verzweiflung treiben. Oft muss die Polizei anrücken. Dabei ist gut geregelt, was die Hausruhe stört – und was nicht. Kinder dürfen viel lärmen, Tiere wenig.

Immer wenn Carolin Funke ihre Kinder gerade zu Bett gebracht hatte, war es mit der Ruhe vorbei: Kurz bevor die Kleinen einschliefen, dröhnte laute Musik und das Gestampfe von trampelnden Füßen – Familie Funke wohnte über einem Kinosaal. „Von den Filmen selbst haben wir zwar nicht viel mitbekommen“, sagt die 39-jährige Kunsthistorikerin, „denn der Kinosaal war gut schallisoliert.“ Doch das Lärmen der Besucher im Foyer und das Geschehen in den Sanitäranlagen des Filmtheaters waren nicht zu überhören. Am schlimmsten aber: Wenn der letzte Film vorbei war, gegen drei Uhr in der Frühe, rückte die Putzkolonne an – „und dann standen wir in den Betten wegen des Lärms“, sagt Carolin Funke. Fast ein Jahr lang rang die Familie mit dem Kino-Betreiber und ihrem Vermieter um eine Lösung. Ein Lärmgutachten wurde erstellt, und das Lichtspielhaus aufgefordert, eine Schallisolierung in den Sanitäranlagen anzubringen. Doch der Umbau zog sich hin. Als sich bei Carolin Funke dann ein drittes Kind ankündigte, zog die Familie entnervt aus – trotz Umzugskosten und höherer Miete.

Familie Funke ist kein Einzelfall. Lärmbelästigungen und Ruhestörungen sind in Berlin an der Tagesordnung. Die Polizei meldet eine zunehmende Zahl von Fällen. Die Gesundheitsämter warnen vor schweren gesundheitlichen Schäden. Doch wer als Mieter betroffen ist, hat es nicht leicht, seinen Anspruch auf Ruhe durchzusetzen. Zwar sind Anzeigen und Mietminderung möglich, doch deren Durchsetzung vor Gericht ist schwierig.

Zu Konflikten kommt es meistens in den Sommermonaten. „Sobald die Freiluftsaison beginnt und die Leute auf dem Balkon oder im Biergarten sitzen, geht der Streit los“, heißt es bei der Pressestelle der Berliner Polizei. Zwischen 8000 und 9000 Mal rücken die Einsatzwagen dann jeden Monat wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Ruhestörungen aus. Im Jahr 2003 wurden in Berlin mehr als 65000 derartige Einsätze gezählt, das sind etwa zehn Prozent aller Funkwagenfahrten. Immerhin, eine signifikante Zunahme hat man in den vergangenen Jahren bei der Polizei nicht beobachtet.

Beim Mieterverein ist das anders. Dort hört man immer häufiger von Fällen, in denen Mieter sich rücksichtslos verhalten. Die zunehmende Arbeitslosigkeit führe dazu, so Vereinschef Vetter, dass viele Menschen einen Großteil des Tages zu Hause verbringen. Bei einigen läuft von morgens bis nachts laute Musik. Und weil das Geld zum Ausgehen fehlt, wird in der eigenen Wohnung gefeiert.

Jeder fünfte Deutsche fühlt sich durch Lärm stark belästigt, hat das Umweltbundesamt ermittelt. Nicht selten führt Lärm auch zu gesundheitlichen Schäden. Weil das Stresshormon Cortisol im Blut ansteigt, kommt es zu Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

„Ist der Lärm so stark, dass er die Gesundheit der übrigen Mieter gefährdet,“ sagt der auf Mietrecht spezialisierte Rechtsanwalt Detlev Löchel, „dann kann der Vermieter dem Ruhestörer gemäß Paragraf 543 Bürgerliches Gesetzbuch umgehend fristlos kündigen.“ Im Regelfall müsse der Vermieter zuvor jedoch eine Abmahnung aussprechen und den Mieter auf die nachteiligen Auswirkungen seines Verhaltens hinweisen. Eine Klage auf Unterlassung ist dagegen auch ohne vorherige Abmahnung möglich. Am Ende eines solchen Prozesses kann der Nachbar verurteilt werden, die Störung zu unterlassen; lärmt er trotzdem weiter, dann wird ein Ordnungsgeld fällig.

Vor einer solchen Klage sollten Vermieter ihre Prozesschancen abschätzen. Hilfreich ist es, wenn andere Mieter mitziehen: Wenn diese als Zeugen im Prozess die Darstellung des Klägers bestätigen, werden Ruhestörer eher zur Unterlassung oder zur Räumung der Wohnung verurteilt. Als Beweismittel außerdem gefragt: ein Lärmprotokoll. Dieses sollte Art, Dauer und Uhrzeit der Störung festhalten. Dieses Protokoll bekommt der Vermieter verbunden mit der Aufforderung, für Ruhe zu sorgen. Außerdem wird eine Mietminderung angekündigt.

Wie hoch diese sein darf, hängt vom Einzelfall ab. Bei Trittschallgeräuschen im Altbau billigten Gerichte Betroffenen fünf Prozent zu; 37 Prozent waren es bei „erheblichem Gaststättenlärm“ bis ein Uhr nachts. Doch nicht jeder Lärm rechtfertigt eine Mietminderung: Das Schreien von Babys, Gepolter, Gestampfe und Gehopse in Wohnung und Treppenhaus sowie Kinderspiele vor dem Haus sind hinzunehmen – sogar während der vereinbarten Ruhezeiten.

„Kinder müssen sich beim Spielen nicht an feste Zeiten halten, auch wenn dies in der Hausordnung steht“, urteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf. Eine Tagesmutter darf ihre Schützlinge in ihrer Mietwohnung beaufsichtigen – aber die Zahl der betreuten Kinder muss in angemessenem Verhältnis zur Größe der Wohnung stehen. Mehr Rücksicht müssen Hundehalter nehmen. Lässt der Besitzer sein Tier den ganzen Tag lang bellen, kann er wegen vorsätzlicher Körperverletzung und ruhestörenden Lärms verurteilt werden. Einige Gerichte haben sogar „Bellzeiten“ festgelegt: Von acht bis 13 Uhr und von 15 bis 19 Uhr darf zehn Minuten am Stück gekläfft werden – aber höchstens eine halbe Stunde täglich .

Jutta Burmeister

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