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Immobilien: Der Hammer fällt selten zum Spottpreis

Die Zahl der Zwangsversteigerungen steigt unaufhörlich. Bei den Amtsgerichten kämpfen Bieter um die schönsten Immobilien

Im Saal 120 des Amtsgerichts Charlottenburg drängen sich die Besucher auf den harten Holzbänken. Der Auktionator bittet um Gebote für eine Vier-Zimmer-Wohnung in der Pfalzburger Straße: mindestens 3800 Euro zuzüglich 3740 Euro Verfahrenskosten. Ein Spottpreis, denn ein Gutachter hat den Wert der 110 Quadratmeter großen Immobilie im vierten Obergeschoss mit 144000 Euro taxiert. So bleibt es auch nicht lange beim Mindestgebot: Eine Dame, ganz in schwarz gekleidet, ruft: „73000 Euro!“ Es ist der Anfang eines halbstündigen Bietergefechtes. Am Ende des Spiels, bei dem einige Teilnehmer vor illegalen Tricks nicht zurückschrecken, wird ein junger Rechtsanwalt im feinen dunklen Zwirn den Zuschlag erhalten – und 118000 Euro bezahlen. Schnäppchen sind billiger.

Über mangelnden Zulauf können sich die Berliner Amtsgerichte nicht beklagen. Im zweiten Jahr in Folge bewegt sich die Zahl der Zwangsversteigerungen auf Rekordniveau. Immer mehr Eigentümer von Immobilien brechen unter der Schuldenlast zusammen. Finden Makler keine Käufer für das Wohneigentum, dann schicken die Banken die Objekte in die Zwangsversteigerungen der Amtsgerichte. Die Region Berlin-Brandenburg ist besonders stark betroffen. Sie belegt in der Statistik des Verlags für Wirtschaftsinformationen Argetra einen traurigen Spitzenplatz: Im ersten Halbjahr 2003 stieg die Zahl der versteigerten Immobilien im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 18 Prozent. Frustrierend für verschuldete Eigentümer: Der dramatische Werteverfall hält an. Käufer dagegen freuen sich: So billig waren Immobilien seit Jahrzehnten nicht mehr. Doch wer sein Glück bei einer Zwangsversteigerung sucht, sollte die Spielregeln zuvor genaustens studieren.

„Gebote können nicht widerrufen werden“, sagt Jörg Reinfelder, einer von vier Rechtspflegern und Auktionator am Charlottenburger Amtsgericht. Noch drastischer formuliert es Reinfelders Kollege, der seinen Namen jedoch nicht in der Zeitung lesen will: „Sie haben als Bieter überhaupt keine Rechte. Das Verfahren dient nicht der Ermöglichung eines Schnäppchens, sondern der Ertragsmaximierung des Gläubigers.“ Deshalb kann dieser – meistens handelt es sich um eine Bank – auch dann noch das ganze Verfahren wieder aussetzen, wenn der Hammer zum dritten Mal gefallen ist. Ausgeschlossen ist dagegen ein Rückzieher des Bieters – er muss auch bei bösen Überraschungen nach dem Erwerb des Objektes zahlen.

Ein Mieter taucht überraschend auf

Hierzu zählen laut Rechtspfleger Reinfelder beispielsweise zuvor unbekannte Mietverträge für die Eigentumswohnung, die der Höchstbietende bezugsfrei zu ersteigern glaubte. Da es in der Rechtsprechung heißt, Kauf bricht Miete nicht, kann der neue Eigentümer dem Nutzer der Wohnung auch nicht kündigen. Einstweilen muss er dann aus Einnahmen, die oft weit unter der Durchschnittsmiete vergleichbarer Wohnungen liegen, die Zinsen für den Immobilienkredit bedienen. Das gelingt oft nicht. Nur wenn der begünstigte Mieter ein Verwandter des früheren, überschuldeten Eigentümers ist, hat eine Räumungsklage unter Umständen Aussicht auf Erfolg.

Eine weitere Gefahr sind nicht entdeckte Mängel der Immobilie. Zwar geben die Behörden ein Gutachten über den Zustand des zu versteigernden Objektes in Auftrag. Doch auch hier ist Vorsicht geboten: Nicht immer kann der Sachverständige die Wohnung betreten. Und: Zwischen der Begutachtung und dem Zuschlag der Wohnung an einen Bieter können schon mal drei Jahre vergehen. Weil die Werte am Immobilienmarkt zuletzt drastisch fielen, sind viele Preise in den veralteten Gutachten zu hoch.

Rechtsanwalt Carsten Sieber hat für die Vier-Zimmer-Wohnung in der Pfalzburger Straße rund 80 Prozent des im Gutachten verzeichneten Verkehrswertes bezahlt. Er hätte sogar noch 2000 Euro mehr geboten, sagt er – bei 120000 Euro lag seine „Schmerzgrenze“. Am Ende der Versteigerung hatte Sieber nur noch einen Wettbewerber. Der saß direkt neben ihm und wiederholte stoisch nach jedem Gebot von Siebers: „Tausend mehr!“. Und jedes Mal, bevor er erneut den Rechtsanwalt überbot, flüsterte er seinem Banknachbarn etwas ins Ohr.

1000 Euro stoppt das Preiskarussell

„Am Anfang hat er mit 1000 Euro versprochen, wenn ich aufhöre zu bieten“, sagt Sieber. Da lag das Höchstgebot bei 106000 Euro. Der Rechtsanwalt habe abgewunken. Wenig später habe sein Wettbewerber dann von ihm 1000 Euro dafür verlangt, dass er aus dem Preiskarussell aussteigt. Wieder habe er abgelehnt: „Das ist schlichtweg sittenwidrig“, sagt der Rechtsanwalt. Und wenn die Rechtspfleger davon Wind bekämen, gebe es einen „Riesenärger“, zumal solche Vereinbarungen nach Paragraf 826 Bürgerliches Gesetzbuch unwirksam seien. Zudem sei es nicht auszuschließen, dass nach dem „Herauskaufen“ des ersten Bieters ein zweiter auf das Gebotskarussell aufsteige – dann hätte er das Geld umsonst bezahlt.

Um vor unliebsamen Überraschungen bei der Versteigerung gefeit zu sein, hatte Rechtsanwalt Sieber im Vorfeld „mächtig herumtelefoniert.“ Er erkundigte sich beim Zwangsverwalter der Eigentumswohnung nach dem fälligen Wohngeld. Bei der Hausverwaltung fragte er an, ob größere Modernisierungen am Gemeinschaftseigentum geplant seien. Eine Dachreparatur oder eine Sanierung der Hausfassade – diese Kosten werden auf alle Eigentümer der einzelnen Wohnungen verteilt – kann schnell zusätzlich 20000 Euro kosten. Ob solche Arbeiten geplant sind, sei auch den Protokollen der Eigentümerversammlungen sowie der Teilungserklärung zu entnehmen. Etwaige Verbindlichkeiten im Grundbuch seien in der Regel ohne Belang: Bei Zwangsversteigerungen würden Immobilien lastenfrei übergeben und alle Schulden des früheren Eigentümers gestrichen.

Schon vor der Auktion hatte Sieber mit seinem Partner Pläne für das neue Eigentum geschmiedet: 35000 Euro werden sie investieren, um die Immobilie zu sanieren. Dann wollen sie das Objekt verkaufen. Findet sich kein Erwerber, erwägen sie eine Vermietung des Objektes. Ohne Risiko ist das ganze Geschäft nicht: Wenn die Käufer Kaufpreis und Sanierungskosten per Kredit finanzieren – marktüblich sind fünf Prozent Zinsen –, dann sind monatlich rund 637 Euro fällig. Hinzu kommen Nebenkosten in Höhe von 341 Euro (Wohngeld). Die Eigentümer müssen also eine monatliche Miete von rund 1000 Euro erzielen, allein um ihre Kosten zu decken – in dieser Preislage sind Mieter wählerisch.

An diesem Tag sind auch viele private Kaufinteressenten unter den Besuchern der Auktion. Einer von ihnen ist nicht zum ersten Mal hier: Auf einer früheren Zwangsversteigerung hatte er den Zuschlag für die Wohnung aus dem Eigentums seines überschuldeten Vermieters. „Jetzt zahle ich weniger für den Kredit als früher Miete“, sagt er. Allerdings sei auch Glück im Spiel gewesen: Es habe nicht viele Interessenten für seine Wohnung gegeben; dagegen hätten sich zwei Bieter für die gleiche Wohnung in einem anderen Stockwerk desselben Hauses regelrecht hochgeschaukelt.

Experten wie der Chef des Argetra-Wirtschaftsverlages Winfried Aufterbeck, empfiehlt daher, sich vor einer Auktion eine Preisgrenze zu setzen, um nicht dem Bieterfieber zu erliegen. Wer bieten wolle, müsse ferner eine Sicherheit in Höhe von zehn Prozent des Verkehrswertes der Immobilie vorlegen: Bargeld, Schecks oder Bürgschaften. Die Sicherheit muss bereits bei Abgabe des Gebots geleistet werden.

Ebenfalls wichtig: Rechtzeitig vor der Auktion sollte man bei Banken vorsprechen, um zu klären, ob man überhaupt einen Kredit bekommt, wenn man den Zuschlag erhält. Marktkenner berichten, dass Kreditinstitute aufgrund der zahlreichen Abschreibungen bei Finanzierungen sehr zurückhaltend bei der Vergabe neuer Darlehen sind.

Bei der Berliner Sparkasse heißt es hierzu, dass die Finanzierungsprüfung von Immobilien, die unter den Hammer kommen, sich nicht von anderen Objektprüfungen unterscheide. Der Kunde müsse ein Verkehrswertgutachten vorlegen. Zum Nachweis seiner Bonität müsse er ferner seine letzten drei Gehaltsabrechnungen, seine Einkommenssteuererklärung sowie den letzten Steuerbescheid offen legen. Darüberhinaus sei ein Fragebogen mit Selbstauskünften auszufüllen. Der Schuldner müsse ferner über Eigenkapital in Höhe von mindestens 5,5 Prozent des Verkehrswertes verfügen und davon Gerichtsgebühren sowie Grunderwerbsteuer bezahlen. Mehr Eigenkapital erleichtere die Entscheidung bei der Finanzierungsprüfung. Wenn diese positiv ausfällt, dann gebe die Sparkasse dem Kunden auch gleich die Bürgschaft in Höhe von zehn Prozent des Verkehrswertes mit, die das Gericht bei Zwangsversteigerungen als Sicherheit verlange.

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