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Immobilien: Der Weg ist länger als gedacht

In Nordrhein-Westfalen entstehen in einem groß angelegten Feldversuch 50 Solarsiedlungen/Manches Projekt scheitert trotz Förderungen

Den „doppelten Kulturschock“ Anfang 1999 hat Claudia Mauksch bis heute nicht vergessen. Damals folgte die Berlinerin aus der quirligen Hauptstadt ihrem Mann, den es beruflich in den Westen verschlagen hat, ins ländlich-überschaubare Münsterland. In Steinfurt-Borghorst, einem Flecken nordwestlich von Münster, mieten sie ein komisches Reihenhaus, das mit Mitteln für den sozialen Wohnungsbau gefördert wurde: „Der Vermieter hat uns erzählt, wir brauchen nicht mehr lüften, da habe ich gedacht, ich müsste ersticken.“

Die ominöse Lüftungsanlage mit Wärmetauscher ist für Claudia Mauksch mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden. Sie und ihr Mann Rüdiger wohnen in einem Reihenhaus in Passivhausbauweise. Das ist wohlig-dick isoliert, die große Fensterfront ist konsequent nach Süden ausgerichtet und hocheffizient beim Energieverbrauch: „Auch wenn wir es vorher nicht glauben konnten, hat uns unser Vermieter mit den niedrigen Energiekosten nicht verkohlt.“ Die Familie Mauksch verbraucht rund 500 Kilowattstunden (kWh) inklusive Warmwasserbereitung. so niedrig lag der Verbrauch im Jahre 2001 – und das bei immerhin 92 Quadratmetern Wohnfläche: „Die Heizung beginnt bei uns nie vor Anfang November zu laufen und dann ist sie höchstens bis Mitte März an.“

Ein Drittel der üblichen Stromkosten

Für Vermieter Erich Terbrack ist das keine Überraschung: „Das liegt alles im Plan. Unsere Mieter zahlen monatlich je Quadratmeter etwa 50 Cent für Energie, während ansonsten im Kreis Steinfurt im sozialen Wohnungsbau die entsprechenden Kosten bei bis zu 1,50 Euro liegen.“

Rückblickend sagt Terbrack haben sich die Anstrengungen gelohnt. Nicht ausreichend waren nach Ansicht des Vermieters jedoch die öffentlichen Zuschüsse. Aber immerhin habe die parallel zu den Plänen für die Steinfurter Siedlung entstandene Initiative ,50 Solarsiedlungen in NRW’ einige Gelder loseisen können: „Wichtig ist vor allem, dass wir sogar im eher strukturkonservativen Münsterland zeigen konnten, dass solares Bauen keine grüne Spinnerei ist.“

Solche Worte sind ganz nach dem Geschmack von Michael Vesper, dem politischen Initiator des Projektes ,50 Solarsiedlungen in NRW’. Anfang 1997 hatte der grüne Bauminister von Düsseldorf, damals noch nicht allzu lange im Amt, die Chance ergriffen, sich mit diesem bundesweit einzigartigen Feldversuch in Sachen solares Bauen zu profilieren.

Keine Mustersiedlungen mehr

Schnell verabschiedete sich sein Ministerium dabei von der Vorstellung einer übertragbaren Mustersiedlung. Dafür waren die städtebaulichen Rahmenbedingungen und die lokalen Voraussetzungen zu unterschiedlich. Das fängt bereits bei der Größe der Grundstücke an, denn diese ist von Ort zu Ort unterschiedlich.

Keine Kompromisse machte das Vesper-Ministerium bei den energetischen Vorgaben für die 50 Solarsiedlungen (siehe Kasten). Dass dieses Anforderungsprofil nicht so einfach zu knacken ist, merkten Investoren und Kommunen schnell. Lange Zeit gab es landesweit nur ein Projekt: das in Steinfurt-Borghorst. Umso zufriedener legte Vesper jüngst seine Zwischenbilanz vor: „Fünf Siedlungen sind komplett fertig, elf auf der Baustelle und weitere elf im Planungsstadium.“

Die Initiatoren von weiteren 20 Siedlungen haben die Anmeldeunterlagen bei der zuständigen Landesinitiative für Zukunftsenergien eingereicht. Dass Michael Vesper, ohnehin bekannt als Mann großer Worte, da ins Schwärmen gerät, liegt auf der Hand: „Nordrhein-Westfalen ist Spitzenreiter beim Bauen mit der Sonne.“

Dieses Engagement findet Christoph Rose, Sprecher der Architektenkammer NRW positiv: „Die Initiative ist sehr begrüßenswert, da sie hilft, Vorurteile abzubauen, zum Beispiel dass solares Bau zu teuer sei.“ Wichtig für Rose ist auch, dass damit die Architektenschar im Lande Anschauungsunterricht bekommt: „Solarhäuser können durchaus optisch und architektonisch anspruchsvoll sein. Das erhöht auch die Gestaltungsräume für alle Planer.“

Schatten auf der Solar-Bilanz

Einige Schatten auf Michael Vespers strahlende Bilanz wirft dagegen Klaus Michael. Der Leiter des Niedrig-Energie-Instituts aus Detmold hält die Solarsiedlungen-Initiative zwar nicht für schlecht und attestiert ihr, „wichtige Impulse“ ausgelöst zu haben. Doch dies sei mit einer Werbestrategie erfolgt, „die viele Dorfbürgermeister unter Druck gesetzt“ habe: „Nur, das Ganze hätte weitaus effektiver abgewickelt werden können. In dieser Initiative sind viel zu viele Gremien eingebunden, von der Auswahlkommission bis zu einem wissenschaftlichen Beirat.“ Dadurch dauere es bis zu anderthalb Jahren, bis eine Kommune den Status einer Solarsiedlung zugesprochen bekommt. Und das sei eine zu lange Zeit.

So tut sich Bauminister Vesper auch schwer, einen Zeitpunkt zu nennen, wann die 50.Siedlung vollständig fertig sein wird: „Eines habe ich aus dem Projekt gelernt: Auf dem Bau dauert alles länger.“ Zu den unausgesprochenen Wahrheiten gehört dagegen, dass die Solarsiedlungen nicht per se ein Renner zwischen Rhein und Weser sind. So sprang in Bonn kurzfristig der Investor ab. Und in Gelsenkirchen tat sich der Bauträger mit der Vermarktung schwer.

Immerhin ist bei den fertigen Siedlungen auch schon Vespers Lieblingsvorstellung umgesetzt worden: die solargerechte Renovierung im Gebäudebestand: „Es macht ökologisch viel mehr Sinn, bestehende Gebäude energetisch zu optimieren als mit immer neuen Projekten die Landschaft weiter zu versiegeln.“ So nutzte die Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft „Am Bilderstöckchen GmbH“ die ohnehin anstehende Sanierung der im Jahr 1909 gebauten, lang gestreckten Häuserzeile mit den 69 Wohneinheiten im Kölner Nordwesten, um Nägel mit Köpfen zu machen.

Verbrauch: Minus 80 Prozent

Neben dem erstmaligen Einbau von Bädern und der Erneuerung sämtlicher sanitärer Ver- und Entsorgungsleitungen lag der Erftstädter Architektin Gudrun Langmack vor allem daran, den Heizenergieverbrauch um 80 Prozent zu senken. Lag der Energiebedarf vor der Sanierung bei jährlich 278 kWh pro Quadratmeter, so reichen jetzt 53 kWh. Damit erreichten die Bauherren das Ziel: Den Energiebedarf um mehr als 80 Prozent zu senken.

Um den energetischen Erfolg ihrer neuen Solarsiedlung auch schwarz auf weiß dokumentieren zu können, hat die Stadt Aachen die Bauherrn beim Kauf ihrer Grundstücke gleich ein Qualitätssicherungskonzept (QS) unterschreiben lassen. In dem Heft sind beispielsweise Aufnahmen einer Thermografie zu finden.

Sie wurden während der Bauphase aufgenommen, um eventuelle Kältebrücken oder schlecht gedämmte Bauteile ausfindig zu machen. „Damit wollen wir sicher gehen, dass zwischen Planung und der späteren Bauausführung keine Lücken klaffen“, erklärt Gisela Nacken, die für Umwelt, Gesundheit und Wohnen zuständige Dezernentin. Die Kosten für das QS-Konzept hatten die Häuslebauer schon mit dem Kaufpreis im Voraus bezahlt.

Die Klagen der Hausfrau

Von solchen Feinheiten beim Bau hat Claudia Mauksch in Steinfurt-Borghorst nichts mitbekommen. Sie lebe gerne in der Solarsiedlung. Das sei etwas anderes, aber im Grund genommen alles einfach und ohne Probleme. Nur ein Problem hat die ehemalige Berlinerin. Die Fenster ihrer Südfassade sind teilweise bis zu fünf Meter hoch: „Da müssen wir zweimal im Jahr einen Fensterputzer kommen lassen, allein ist das nicht zu schaffen.“

Ralf Köpke

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