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Immobilien: Die Gestaltung der Leere

Schrumpfende Orte: Abriss ist ein Rezept – aber nicht das einzige. Ein Blick auf das aktuelle Kernthema der Stadtentwicklung

Mit den planerischen Problemen monströser „Riesenstädte“ befasste sich im Jahr 1924 der Jurist Hans J. Wolff – noch ganz unter dem Eindruck der Hochindustrialisierung. Und nach dem Fall der Mauer 1989 beschäftigte man sich zunächst hauptsächlich damit, wie man mit größer werdenden Städten umgehen solle. Berlin sah man schon als kommende „Boomtown“ mit bald fünf Millionen Einwohnern. Das war ein Irrtum: Die deutschen Städte schrumpfen – bis auf wenige Wachstumsinseln. Ganze Stadtquartiere stehen leer, veröden.

Das Phänomen schrumpfender Städte durchdringt längst viele Kreise der Gesellschaft. „Shrinking Cities“ etwa heißt ein aktuelles Projekt der Kulturstiftung des Bundes. Es will der gesamt-kulturellen Bedeutung der „Schrumpfstadt“ auf die Fährte kommen. Kunst- und Wissenschaftsprojekte sollen die Debatten, die sich bislang auf den Abriss und die Aufwertung von Stadtquartieren konzentrieren, öffnen für die Suche nach ganz neuartigen Stadttypen und bislang unbeachteten Gebrauchsformen.

Das skurrile Projekt „Bau an!“ in der Region Leipzig/Halle beispielsweise empfiehlt, leer stehende Plattenbauten für die Zucht von Edelpilzen zu nutzen. Dahinter steht weniger die Idee des Verschimmelns und die Kritik an Fehl-Subventionen: Der Plattenbau wird symbolisch zur produktiven Basis einer genossenschaftlichen Agrostadt, die sich selbst versorgt. „Aus verlassener Stadt neue Infrastruktur gewinnen“, interpretierte die Projekt-Jury diesen konfrontativen Beitrag.

Auch die Politik in Deutschland hat reagiert. „Stadtumbau Ost“ und – später hinzugekommen – „Stadtumbau West“ heißen die Programme, mit denen vorläufig bis 2009 überzählige Wohnungen abgerissen und Quartiere aufgewertet werden: Bis 2007 im Osten waren es bereits über 190 000 Wohnungen.

Und das wird noch länger so weitergehen. „Wir werden den ,Stadtumbau Ost’ über 2009 hinaus auf hohem Niveau weiterführen“, lautete erst kürzlich die Botschaft des Bundesverkehrsministers Wolfgang Tiefensee (SPD), zuständig für den Städtebau, anlässlich eines Stadtentwicklungs-Kongresses, den der Bundesverband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (GdW) und der Deutsche Städtetag ausgerichtet hatten.

Ruinös ist der Leerstand in vorderster Front für die gesamte Wohnungswirtschaft. Antragsteller der Abrissförderung sind vor allem kommunale Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungsgenossenschaften, aber auch zahlreiche private Eigentümer – Kapitalanleger und Kleinvermieter. In ihrem Sinne fordert GdW-Präsident Lutz Freitag: „500 000 Wohnungen müssen noch vom Markt – eine richtige Marktbereinigung bräuchte das Doppelte“. Bislang geplant ist, insgesamt 350 000 Wohnungen bis 2009 zurückzubauen. Nicht belegter Wohnraum verdirbt die Preise für die übrigen Flächen. Hinzu kommen die Leerstandskosten. „Eine leer stehende Wohnung ’vernichtet’ den Ertrag von vier vermieteten, nicht modernisierten Wohnungen“, erklärt der Jurist Olaf Taubenek in einem Fachbeitrag.

Hinter der angekündigten Neuauflage des „Stadtumbau Ost“ stecken alarmierende Prognosen des Statistischen Bundesamts. Danach wird bis 2050 die Einwohnerzahl in Deutschland um 13 Millionen zurückgehen, wobei der Westen mit minus 14 Prozent vergleichsweise glimpflich davonkommen wird. Härter trifft es den Osten. Dort wird die Bevölkerung um 31 Prozent schrumpfen, verstärkt durch die anhaltende Ost-West-Wanderung. Diese Entwicklung hat schon jetzt zur Folge, dass klassisches Wachstum (an Einwohnern) für die Stadtentwicklung an Bedeutung verliert. Es gilt, das wirtschaftliche, soziale, kulturelle Profil zu schärfen. „Weniger ist mehr“ lautet eine in ostdeutschen Kommunen gängige Losung; „Kultivierung der Leere“ nennt sich ein städtebauliches Konzept in Halberstadt.

Die bewusst gestaltete Schrumpfung kann dabei verschiedene Wege gehen. Idealerweise soll „eine Stadt ihr Zentrum behalten und von außen nach innen schrumpfen – kompakt, urban, grün“, empfiehlt der Wissenschaftler Jens Kersten in einer Untersuchung. Grund: Nur so erfüllen Städte weiterhin ihre sozial integrierende Funktion. Außerdem können künftig die übergroß gewordenen Versorgungsnetze sinnvoll von den Rändern her zurückgebaut werden.

Die Stadt Hoyerswerda beispielsweise hat diesem Prinzip folgend 6000 Wohnungen vor allem an den Rändern zurückgebaut. Auch in Aschersleben konzentriert man sich auf ein starkes Zentrum: „An den Rändern wird abgerissen, von einem Neubaugebiet werden wir uns komplett trennen“, erläutert Anke Lehmann von der Stadtverwaltung, „stattdessen siedeln wir dort großflächige Wirtschaft an.“ Umgekehrt verlagert die Stadt Schulen und Behörden systematisch vom Stadtrand in die Mitte.

Dass dies kein Patentrezept ist, zeigt das Beispiel Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt. Trotz insgesamt dreifachem Weltkulturerbe-Status ist die heute 90 000 Einwohner zählende Gemeinde seit der Wende um 25 000 Menschen geschrumpft. Hinzu kommt als Dessauer Sonderproblem, dass der Stadt ein starkes Innenstadtzentrum fehlt. Als Radikalkur hat sich Dessau daher im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010 das Abriss- und Aufwertungskonzept „Stadtinseln – urbane Kerne und landschaftliche Zonen“ ins Aufgabenheft geschrieben..

„Unsere Idee ist es, die stabilen Quartiere der Stadt zu stärken und weniger stabile wieder an die Natur zurückzugeben und dort Landschaftszonen zu entwickeln“, erläutert Sonja Beeck vom IBA-Büro Stiftung Bauhaus. In der Zeit der Industrialisierung waren in Dessau mehrere Siedlungskerne zu einer Großsiedlung überformt worden. Durch die drastische De-Ökonomisierung nach der Wende tun sich diese Zwischenlandschaften heute abrissbedingt wieder auf. Es entstehen urbane Inseln.

Auch in den alten Ländern schrumpft die Bevölkerung, meist ausgelöst durch bestimmte Strukturkrisen und regional sehr verschieden. Paradebeispiel ist Gelsenkirchen im Ruhrgebiet: Seit den 1960er Jahren ist die Bevölkerungszahl am ehemaligen Montanstandort von 400 000 auf heute etwa 267 000 zurückgegangen. Die Arbeitslosenquote liegt bei gut 15 Prozent. Trotz dieser Zahlen werden in Gelsenkirchen weit weniger Wohnungen abgerissen als in vielen ostdeutschen Städten. „Der Bevölkerungsschwund ist hier langsamer und über die Jahre verteilt vonstatten gegangen“, erklärt Birgit Wend, Projektentwicklerin beim Stadtumbaubüro Gelsenkirchen-City. Kompensiert werde der Schwund vor allem durch den höheren Flächenverbrauch pro Person: Wo früher 4-köpfige Familien lebten, wohnen jetzt häufig Haushalte mit zwei Personen.

Doch abgerissen wird auch hier. Beispiel: die Siedlung „Tossehof“ in Gelsenkirchen-Bulmke, eine typische Wohnsiedlung der 70er Jahre. Im Zuge umfangreicher Maßnahmen, die das Wohnumfeld verbessern sollen, ist aktuell damit begonnen worden, den Bestand von derzeit 189 Wohnungen um 102 endgültig auf 87 Wohnungen zu reduzieren, teilt Martin Schulmann, Pressesprecher der Stadt Gelsenkirchen, mit. Verbleibende Wohnungen werden modernisiert. Doch auch dieser Rückbau hat weniger mit demografisch bedingtem Leerstand zu tun. „Wir wollen den Block als attraktiven Wohnstandort retten und deshalb mehr Qualität hineinbringen“, erklärt Projekt-Begleiterin Wend. Prognosen gehen allerdings davon aus, dass die Stadt Gelsenkirchen bis 2020 weitere 20 000 Einwohner verlieren wird – wenn nicht gegengesteuert wird. Die Abrissförderung könnte also noch an Bedeutung gewinnen.

Nächster Schritt beim Stadtumbau West wird die Evaluierung sein, die beim Stadtumbau Ost bereits so gut wie abgeschlossen ist. Sie soll in diesem Frühjahr beginnen. Eine Neuauflage ist noch nicht Thema, wird aber sicher erwartet.

Dominik Heuel

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