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Immobilien: Ein Märchenschloss wird wach geküsst

In Köpenick entstehen auf einem denkmalgeschützten Industrieareal 230 Wohnungen

Als Norbert Münke 1964 im Volkseigenen Betrieb (VEB) Fotochemische Werke in Berlin-Köpenick zu arbeiten begann, herrschten strenge Sitten. Beim Pförtner mussten alle Beschäftigten Streichhölzer und Feuerzeuge abgeben, erzählt Münke, heute Projektleiter des jetzt als Fotochemische Werke GmbH (FCW) firmierenden Traditionsbetriebs. Die Vorsichtsmaßnahme war gut begründet, wurde doch damals mit dem feuergefährlichen Material Zellulose gearbeitet. Hinter der Pforte dann, erzählt Münke bei der Führung über das Areal, befand sich unter diversen Produktionsgebäuden auch ein nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenes dreistöckiges Gebäude, das die Arbeiter Märchenschloss nannten. „Warum es so hieß“, sagt Münke, „weiß ich nicht“.

Heute hat vor allem der an der Müggelspree gelegene Teil des 37 600 Quadratmeter großen Areals tatsächlich etwas Märchenhaftes. Bäumchen wachsen auf dem Dach, Bahngleise verschwinden im Irgendwo, und direkt am Ufer wuchert wild das Gebüsch. Doch die Tage der Idylle sind gezählt: Das Berliner Immobilienunternehmen Estavis hat die Liegenschaft im April dieses Jahres vom amerikanischen Kodak-Konzern erworben und will darauf eines der größten Umnutzungsprojekte von Industrie-Immobilien realisieren, die Berlin jemals gesehen hat. Unter dem Namen Glanzfilmfabrik sollen in den zehn denkmalgeschützten Gebäuden 230 Wohnungen mit einem Verkaufsvolumen von 65 Millionen Euro entstehen.

Von Luxuswohnungen will Florian Lanz, Vorstandsvorsitzender der Estavis, nicht sprechen. „Nennen wir es gehobenen Wohnungsbau“, sagt er. Eine edle Ausstattung mit Fußbodenheizung und Vollholzparkett dürfen die Käufer allerdings schon erwarten, und auch den Anbau von „filigranen Balkonen“ haben die Denkmalschützer laut Lanz genehmigt. Die Bandbreite der Wohnungsgrößen reicht von 60 bis 200 Quadratmeter, wobei der Schwerpunkt auf kleineren Einheiten zwischen 60 und 80 Quadratmetern liegt. Das sind Größen, wie sie Kapitalanleger mögen – und die sprechen Estavis und ihre Vertriebspartner vorrangig an. Dabei argumentieren sie mit der satten Steuerersparnis: Bei Denkmal-Immobilien kann der Käufer den Sanierungsaufwand über zwölf Jahre von der Steuer absetzen.

Rund 3000 Euro pro Quadratmeter verlangt die Estavis, für die direkt am Wasser gelegenen Wohnungen noch mehr. Zum Vergleich: Nach Angaben des Maklerhauses Engel & Völkers kosten Wohnungen in sehr guten Lagen in Köpenick maximal 3400 Euro pro Quadratmeter. Wer die Wohnung vermieten will, kann laut Lanz mit einer Kaltmiete von mindestens acht Euro pro Quadratmeter rechnen. Das ist deutlich mehr als die sechs Euro, die der Marktreport von GSW und CB Richard Ellis als Schwerpunkt für Köpenick ausweist.

Marktbeobachter sind gespannt, ob das Konzept aufgehen wird. Denn bisher wagten sich Projektentwickler in der Regel nur im innenstadtnahen Raum an die Umwandlung alter Industriegebäude in moderne Wohnungen. Erfolgsbeispiele dafür sind die ehemalige Haftanstalt in der Rummelsburger Bucht und die Alte Mälzerei in Pankow. Lanz ist indes zuversichtlich, dass das Modell auch in einem Randbezirk wie Köpenick funktioniert. Dafür sprechen in seinen Augen die Nähe zur Altstadt Köpenick, der sinkende Wohnungsleerstand und die wachsende Attraktivität, die vom Technologiestandort Adlershof und vom neuen Flughafen ausgeht. Der Erfolg scheint ihm recht zu geben: Von den 28 Wohnungen des ersten Bauabschnitts ist nach Estavis-Angaben bereits gut die Hälfte verkauft.

Dieser erste Abschnitt umfasst drei Gebäude an der Müggelspree, darunter die so genannte Atrium-Villa – eben jenes Haus, das einst Märchenschloss hieß. Dieses Gebäude weist eine Besonderheit auf, vor der Architekten häufig stehen, wenn sie alte Industrieflächen in Wohnraum umwandeln: Das Gebäude ist so tief, dass zu wenig Licht in die Räume dringt. Das Problem lösen die Planer, indem sie in das Gebäude ein Atrium schneiden lassen. So bleibt die äußere Gestalt unverändert, und trotzdem werden die Wohnungen ausreichend belichtet.

Bei den beiden weiteren geplanten Bauabschnitten sind noch manche Fragen offen – hauptsächlich diejenige nach der Zukunft der Firma FCW, die noch immer in einigen Gebäuden medizinische Röntgenfilme produziert. Dies sei durchaus mit der geplanten Wohnnutzung vereinbar, sagt Florian Lanz, wobei er durchblicken lässt, dass es ihm schon lieber wäre, wenn sich ein neuer Standort für den Betrieb finden ließe. Ebenso unklar ist, was mit den beiden Gebäuden direkt an der viel befahrenen Friedrichshagener Straße passiert. Während die repräsentative Bürovilla derzeit an verschiedene Nutzer vermietet ist, dient das gegenüber liegende Haus als Spielstätte für das Stadttheater Cöpenick.

Auch Neubauten haben auf dem Grundstück Platz; hier überlegt sich der Investor, ob es Mehrfamilien- oder Einfamilienhäuser werden sollen. Ebenfalls etwas tun wird sich vermutlich auf dem Nachbargrundstück mit seinen beiden zum Abriss vorgesehenen Plattenbauten. Was die Eigentümerin des Areals, die Berner Group, genau plant, steht laut Pressesprecherin Karin Menzel jedoch noch nicht fest. Die Berner Group wollte ursprünglich übrigens auch die Glanzfilmfabrik entwickeln. Weil sie aber im Zuge der Finanzmarktkrise die Finanzierung nicht mehr stemmen konnte, überließ sie die Liegenschaft der Estavis und beschränkt sich jetzt darauf, als Dienstleisterin den Vertrieb zu unterstützen.

Auf die Berner Group geht auch das Energiekonzept für die Glanzfilmfabrik zurück: Vattenfall ersetzt die bestehende Energiezentrale durch ein mit Biogas betriebenes Blockheizkraftwerk. Die Heizwärme für die künftigen Bewohner wird dann also direkt vor Ort erzeugt, während der ebenfalls produzierte Strom ins allgemeine Elektrizitätsnetz eingespeist wird. „So kann die Umwelt um 727 000 Kilogramm CO2 pro Jahr entlastet werden“, sagt Thomas Jänicke-Klingenberg, Leiter Energiedienstleistungen der Vattenfall Europe Wärme AG.

Den ersten Bauabschnitt möchte Estavis-Chef Lanz bis Ende 2011 abschließen. Bis wann alle 230 Wohnungen bezugsfertig sein sollen, darauf legt er sich nicht fest. Eine „Gated Community“, also ein nur nach Kontrolle zugängliches Areal, wird die Glanzfilmfabrik trotz ihrer Geschlossenheit übrigens nicht werden – das verhindert schon die geplante neue Straße, die künftig über das Grundstück führen wird.

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