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Immobilien: Einstürzende Altbauten

Das Geschäft mit Mietzinshäusern in Berlin ist schwierig. In den vergangenen zehn Jahren halbierte sich der Wert der Häuser nahezu. Die Eigentümer bekommen immer weniger Miete, die Abgaben steigen trotzdem. Dennoch suchen neue Investoren ihre Chance

Für Volker Fölber-Meinicke war der Erwerb des Wohnhauses Naunynstraße 66 kein gutes Geschäft. Den Altbau mit Seitenflügel mitten im Kreuzberger Kiez hatte er 1994 für 1,4 Millionen Mark erworben. Heute würde er nur noch 600000 Euro für die Immobilie bekommen. Ein Angebot in dieser Höhe hatte ihm ein Makler Anfang des Jahres für den Erwerb des klassizistischen Baudenkmals gemacht. Während der Wert des Objektes immer tiefer in den Keller rutscht, steigen die Kosten für den Eigentümer: Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg verlangte im Juli 16693 Euro. Die Immobilie liege in einem früheren Sanierungsgebiet, argumentiert die Behörde. Viele Steuergelder seien in das Quartier geflossen, und der Bodenwert in der Naunynstraße 66 dadurch gestiegen. Diesen Mehrwert fordert das Amt nun vom Eigentümer.

Dieses Beispiel ist kein Einzelfall: Eigentümer von Berliner Mietzinshäusern stecken in der Klemme. Der Verkaufswert der Objekte fällt seit Jahren unaufhaltsam. Mieter sind wegen des großen Wohnungsangebotes schwer zu finden und zahlen weniger. Die Banken drängen Eigentümer, Schulden schneller zurückzuzahlen. Und obwohl die Wertvernichtung die Preise inzwischen auf das Niveau der 80er Jahre gedrückt hat, bittet nun auch das Land die Hauseigentümer zur Kasse: Die Grunderwerbsteuer stieg 2003 wieder. Außerdem beteiligen die Planer Hausbesitzer in Sanierungsgebieten in Kreuzberg, Mitte oder Prenzlauer Berg an den Kosten der Stadterneuerung. Wer dieses Geld nicht zahlen kann, steht vor dem wirtschaftlichen Aus. Im besten Fall greifen Eigentümer ihre Rücklagen an und schieben Sanierungsarbeiten auf. Dennoch sehen einige ihre Chance jetzt gekommen: Risikofreudige Investoren sind auf Perlensuche.

„Den Ausgleichsbetrag für das Bezirksamt werde ich aus den Rücklagen zahlen“, sagt Fölber-Meinicke, „mit diesem Geld wollte ich eigentlich die Fassade sanieren.“ Nun bleibt das Graffiti – klassizistische Friese und lächelnde Putten müssen weiter auf frische Farbe warten. Denn große Sprünge erlauben die Mieteinnahmen dem Eigentümer nicht. Einen kleinen Überschuss von rund 8000 Euro will er aus seinen zwei Kreuzberger Immobilien erwirtschaften. Das Geld legt er für Reparaturen zur Seite. Der Ertrag ist knapp, zumal der Mann die Bauten selbst verwaltet und sogar Reparaturen in Eigenregie ausführt. Manchmal begleitet er sogar eine greise Mieterin zum Sozialamt, weil die ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen kann: „Auch das ist Aufbauarbeit“, sagt der früher im Entwicklungsdienst tätige Arzt.

Wer nicht zahlen kann, verkauft

So schlecht die Zeiten für Grundeigentümer auch sein mögen, an der Ausgleichsabgabe kommt keiner vorbei: „Das Phänomen ist höchstrichterlich abgesegnet“, sagt Axel Dyroff, Rechtsanwalt in der Kanzlei Schultz&Seldeneck. Die Behörden argumentierten, dass der Preisverfall ohne die Sanierung noch dramatischer gewesen wäre. Der Ausgleichsbetrag für die Immobilie in Kreuzberg liege am unteren Rand: „Mir ist eine Forderung in Höhe von 400000 Euro bekannt.“ Der Rechtsanwalt empfiehlt Grundeigentümern gegen die Bescheide Einspruch einzulegen. In Einzelfällen hätten die Ämter Berechnungsfehler gemacht oder die dreijährige Frist für die Anmeldung der Ansprüche versäumt. Doch dies seien Ausnahmen. Außerdem: Trotz Einspruch müssten die Gebühren sofort bezahlt werden. „Wer das nicht kann und keinen Kredit bekommt, muss sein Haus verkaufen“, sagt Dyroff. Auch diese „Härte“ sei höchstrichterlich abgesegnet.

Wer dies um jeden Preis verhindern will, kann versuchen, den Ausgleichsbetrag von der Behörde in ein Tilgungsdarlehen umwandeln zu lassen. Dann zahlt er die Gebühr in jährlichen Raten von fünf Prozent zurück, muss jedoch außerdem Zinsen in Höhe von sechs Prozent ans Land bezahlen. „Ein Tilgungsdarlehen ist aber nicht leicht durchzukriegen“, sagt Dyroff. Auch seien solche zusätzlichen „Abschöpfungsbeträge meistens nicht aus den Immobilien herauszupressen.“ Dafür seien die Mieten derzeit zu niedrig. Eigentümer von Berliner Mietzinshäusern operieren auch nach Erfahrung von Maklern in vielen Fällen an der Wirtschaftlichkeitsgrenze. „Die meisten Fassaden verbergen dramatische Geschichten, die Lage ist desolat“, sagt Frank Orten. Er verwaltet auch einige Hausbestände von Eigentümern, „die die Nerven verloren haben.“ Existenzbedrohend sei die wirtschaftliche Lage oft, wenn die Immobilien vor etwa fünf Jahren gekauft wurden. In den neunziger Jahren hatten die Banken Käufern nicht nur das Geld für den Erwerb der Objekte geliehen, sondern oft auch noch Nebenkosten bezahlt – Finanzierungen von 110 Prozent des Immobilienwertes. Wenn diese Verträge, oft für eine Dauer von fünf oder zehn Jahren abgeschlossen, ausliefen, dann verlangten die Banken frisches Kapital von ihren Kunden, um das Kreditrisiko zu senken. „Das sind keine netten Gespräche“, sagt Orten.

Wegen dieser harten Kreditpolitik helfen den Grundeigentümern die derzeit niedrigen Hypothekenzinsen wenig: „Die Banken verlangen nun hohe Tilgungen“, sagt der Vizepräsident vom Ring Deutscher Makler, „die wollen ihr Geld möglichst schnell zurück“. Sei früher eine Rückzahlung von jährlich einem Prozent der Kreditsumme üblich gewesen, würden nun mehr als drei Prozent verlangt. Die Folge für den Schuldner: Seine hohe monatliche Belastung bleibt trotz geringer Einnahmen. Weil die Banken außerdem im Vorgriff zu den neuen europäischen Kreditbestimmungen (BaselII) ihre Risiken in Griff bekommen wollen, müssten Eigentümer auch ihre Vermögensverhältnisse offen legen. Wer nicht die Hosen runterlasse, so Gruhn, zahle entweder höhere Zinsen oder er bekomme überhaupt kein Geld mehr.

Hinzu kommt, dass sich einige überregional tätige Banken aus dem Kreditgeschäft mit Berliner Immobilien verabschiedet haben sollen, so Makler Orten. Der Mangel an Wettbewerb erschwere Kreditverhandlungen. Allerdings ist der Verkauf von Mietzinshäusern ohnehin schwierig. Nach Angaben von Dietrich Ribbert, Chef des Gutachterausschusses für Grundstückswerte, verzeichnete die Behörde gerade mal vier Grundstücksverkäufe in Berlin Mitte im ersten Halbjahr 2003 – vier mal weniger als im Vorjahreszeitraum. Dem Ausschuss müssen alle Notare Kopien der beglaubigten Kaufverträge vorlegen. Daraus leiten die Gutachter mittlere Preise ab. Obwohl noch nicht alle Verträge aus dem ersten Halbjahr vorliegen, ist der Trend eindeutig: „Es herrscht Unlust am Berliner Immobilienmarkt“, so Ribbert. Schon heute sei daher sicher: Die Preise für Grundeigentum gehen 2003 erneut zurück – um zehn Prozent im Schnitt, schätzt Ribbert.

Die Hiobsbotschaft für Eigentümer ist für Investoren mit dem erforderlichen Eigenkapital ein Segen. Sie diktieren die Preise bei Kaufverhandlungen. Doch die Kapitalanleger sind auch sehr wählerisch. Nach Angaben von RDM-Chef Gruhn „kauft niemand eine Immobilie zu einer Rendite von weniger als sechs Prozent“. Gruhn unterscheidet zwischen zwei Käuferkreisen: Schnäppchenjäger, die auch in Problembezirken wie Kreuzberg oder sogar Wedding zuschlagen und Anleger in Immobilien aus bürgerlichen Lagen. Gemeinsam sei beiden Käuferschichten, dass sie Objekte mit verhältnismäßig günstigen durchschnittlichen Mieten suchten. In einigen Fällen fänden sogar Immobilien mit Ofenheizung Abnehmer.

Das Kalkül der neuen Investoren

Durch diese Auswahl hoffen Investoren ihr Ziel zu erreichen, die Objektrendite zu verbessern. „Mit Sinn und Verstand, vor allem aber in Abstimmung mit den Mietern, investiert man in die Ausstattung und erhöht behutsam die Mieten“, sagt Makler Orten. Vorausgesetzt, die Nutzer spielen mit – und sie sind bereit und solvent genug, mehr Miete für mehr Komfort zu zahlen. Das versprechen sich Investoren von Immobilien in den bürgerlichen Bezirken des alten Westberlins: Charlottenburg, Wilmersdorf, Spandau und Schöneberg. Dagegen sei in „angesagten Stadtteilen“ – Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain – der „Sanierungsstau“ zu groß und die Mieten bereits zu hoch.

Unter den Kaufinteressenten sind nach Angaben von Orten auch Opportunity-Fonds aus den USA. Diese seien auf der Suche nach großen Wohnanlagen, und sie spekulierten auf eine Rendite von sieben bis acht Prozent – „nach einigen Jahren Arbeit“. Wichtig für das Kalkül der Investoren: Sie rechnen damit, dass der Markt für Mietzinshäuser in Berlin auf absehbare Zeit durch eine Liberalisierung der Mietrechtsprechung oder aber durch neue Förderprogramme aus der Krise gerettet werden wird – „bevor die Fassaden herunterkommen und Passanten erschlagen“, so Makler Orten.

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