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Auf einer Teilfläche des ehemaligen Güterbahnhofs Grunewald wurden an der Hilde-Ephraim-Straße Matten verlegt, die Fundamente von Ein- und Mehrfamilienhäusern dämpfen.

© Getzner Werkstoffe GmbH

Erschütterungsschutz von Gebäuden: Häuser an Gleisen sind nicht unbedingt Wackelkandidaten

„Good Vibrations“ dank Gummimatte: Fundamental gesicherte Bauten kann nichts mehr erschüttern. Auch in Berlin wird im Wohnungsbau entlang von Bahnlinien zunehmend mit den speziellen Polyurethan-Matten gearbeitet.

„Steht ein Häuschen an der Bahn, hoch auf grünem Hügelplan. (…) Tag und Nacht dröhnt das Gleis. Einsam Häuschen zittert leis“, dichtete einst Christian Morgenstern. Zu seiner Zeit war noch nicht abzusehen, dass das Problem vom Haus am Bahndamm gelöst werden kann. Nicht die Einsamkeit, aber das Zittern lässt sich heute beheben.

Das Mittel der Wahl dafür sind Matten aus Polyurethan. Sie haben in Berlin schon mehrfach die Erschütterungsneigung von Luxushotels gedämpft. „Das Marriot, das Ritz Carlton und das Waldorf Astoria wurden mit unseren Matten von Schwingungen entkoppelt“, berichtet Michael Biskup, Projektmanager bei Getzner, einem österreichischen Hersteller von sogenannten Elastomermatten.

Ist ein Haus unterkellert, werden die Matten beim Bau unter der Sohle und an den Kellerwänden verlegt. Ist das Haus nicht unterkellert, kann man das Fundament oder auch ein Streifenfundament mit den Matten belegen.

Fährt an einem so gelagerten Haus ein Zug vorbei, verschieben die Matten die Frequenz der Erschütterungswellen in einen Bereich, in dem sie weniger stark wahrnehmbar sind. Auch das Brummen von Klimaanlagen kann mit den Matten gedämpft werden. „Ihre Frequenz von normalerweise 60 Hertz lässt sich auf zehn Hertz reduzieren und ist dann kaum mehr spürbar und hörbar“, sagt Andrea Lorenz, bei Getzner zuständig für die strategische Unternehmensentwicklung. Neben den Erschütterungen verringern die Matten nämlich auch den sogenannten sekundären Luftschall. Er entsteht, wenn Wände durch vorbeifahrende Züge angeregt werden zu schwingen. Denn eine Dreifachverglasung oder eine Schallschutzwand helfen zwar gegen den direkten Lärm, nicht aber den Sekundärschall.

Die Psychologie ist genauso wichtig wie die Mathematik

Gut ein Dutzend verschiedene Arten von Matten stehen je nach Gebäudemasse und Baugrund zur Verfügung, um eine optimale Entkoppelung zu bewirken. Messungen und Prognosen dafür machen Baudynamiker – neben den viel beschäftigten Statikern eine eher kleine Gruppe unter den Bauingenieuren.

Einer von ihnen ist der langjährige Hochschullehrer Helmut Kramer. Er erklärt, warum von einer Erschütterung unwillkürlich auch eine Beunruhigung ausgeht: „Von den Fußsohlen führt ein Nerv, der Erschütterungen anzeigt, direkt ins Gehirn, und zwar ins limbische System“, sagt er. Es bewertet ankommende Signale, bevor die Großhirnrinde sie mit dem Verstand sortieren kann. Eine Erschütterung aber bedeutet zunächst einmal Gefahr. Deshalb treffen Baudynamiker oft auf Hausbewohner, die subjektiv Angst vor Erschütterungen haben. Zum Beispiel, dass ihr Balkon abbrechen könnte. „Wenn Sie hingehen und messen, fällt der Balkon noch lange nicht runter“, sagt Kramer. Aber die Psychologie sei in diesem Fall genauso wichtig wie die Mathematik, weiß er aus langjähriger Erfahrung.

Um Belästigungen durch Erschütterungen und sekundären Luftschall zu vermindern, wird zunehmend auch im Wohnungsbau entlang von Bahnlinien mit den Matten gearbeitet, hat Michael Biskup beobachtet. In Berlin ist so ein Neubaugebiet nahe dem ehemaligen Güterbahnhof Grunewald entstanden. Als Lärmschutz entlang der Bahntrasse entstand eine Schallschutzwand. Um Maßnahmen gegen die Auswirkungen der Schwingungen auf die Gebäude mussten sich die Bauherren aber selbst kümmern.

Die Technologie bietet die Chance, neue Grundstücke für den Wohnungsbau zu erschließen

Matthias Schröder hat in seinem Haus an der Hilde-Ephraim-Straße auf Schwingungsisolierung gesetzt. „Ich bin heilfroh, dass wir das gemacht haben“, sagt er heute. Nur noch ein „leichtes Vibrieren“ komme im Haus an, was aber „nicht weiter störend“ sei. Beim Nachbarn dagegen spüre man das Rattern der Züge deutlich.

Allerdings hat der Zugewinn an Lebensqualität auch seinen Preis: Zusatzkosten von vier bis fünf Prozent der Bausumme sind Matthias Schröder entstanden, sagt er. Ein Großteil entfiel auf die Matten, dazu kamen Aufwendungen für das Entkoppeln der Wasserleitungen. Hier wurde die Übertragung von Erschütterungen durch Gummikupplungen verhindert. Die Mehrkosten hat Schröder auch wegen des Wiederverkaufswerts des Hauses aufgebracht. Falls er sich einmal von seinem Haus trennen will, kann er potenziellen Käufern sagen: „Ihr wohnt zwar direkt am Bahndamm, aber ihr habt ein entkoppeltes Haus.“

Andrea Lorenz sieht in der Technologie auch eine Chance, Grundstücke für den Wohnungsbau zu erschließen, die bisher nur für Gewerbe geeignet waren. „Viele preiswerte Brachen in Berlin sind schwingungsbelastet und haben nun die Perspektive für eine hochwertigere Nutzung, die es vorher nicht gab“, sagt sie.

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