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Immobilien: Gehöriger Dachschaden

Gerda Müller ist kein Einzelfall – wie dubiose Handwerkerfirmen mit Pfusch und überhöhten Rechnungen Beute machen

Irgendwann an einem Sommertag steht er vor der Tür von Gerda Müller. Handwerkermontur, freundliches Auftreten. Das Dach ihres Hauses hätte da ein paar Schäden und seine Firma arbeite gerade in der Gegend. Für 1200 Euro seien die Defekte schnell repariert. Und ehe sie sich versieht, wuseln die Mitarbeiter von Ricardo Schulze schon auf ihrem Grundstück herum, legen die Leiter ans Haus, kraxeln übers Dach und kommen mit vier zerbrochenen Ziegeln herunter.

„Eigentlich bin ich ganz clever“, sagt die ehemalige BfA-Angestellte heute, „aber die haben mich schlicht überrumpelt.“ Gerda Müller ist 85, lebt allein, Nichten und Neffen wohnen in Hamburg. Eine jüngere Nachbarin, die der schwerbeschädigten Seniorin ab und zu bei Besorgungen hilft, war zu der Zeit im Krankenhaus. So hatten die angeblichen Dachdecker leichtes Spiel.

Der Dachdecker-Innung sind solch sogenannte „Dachhaie“ und deren abenteuerliche Akquisemethoden seit einiger Zeit bekannt. Das Image der Branche steht auf dem Spiel. Denn die reisenden Handwerker klingeln wie Vertreter an der Haustür. Oft haben sie nicht einmal die nötige Meisterausbildung – und weisen mit fachlicher Geste auf vermeintliche Schäden am Dach hin.

Ein zerbrochener Dachziegel oder morsche Holzteile, die auch mitgebracht sein können, helfen, Kunden über den Tisch zu ziehen. Die dubiosen Firmen kommen nicht zu jedem. Sie suchen gerne nach altmodischen Vornamen auf Klingelschildern. Andere schauen gezielt „nach kleinen Einfamilienhäusern, deren Zustand, Gardinen und Dekoration auf ältere Bewohner hinweisen“, sagt der Berliner Dachdeckermeister Rainer Bretsch. „Vollbeladen mit Dachbauartikeln grasen sie Wohngebiete ab.“ Besonders ältere Hauseigentümer erliegen häufig dem Überraschungseffekt und der Überredungskunst, beauftragen schnell eine zunächst meist kleine Reparatur. Dabei bleibt es dann nicht, denn häufig wird ihnen suggeriert, die Sicherheit des Hauses sei gefährdet.

Was sich in extremen Fällen dann abspielt, kann die gesamten Ersparnisse kosten – wie bei Gerda Müller aus Heiligensee. Die in Oldenburg geschäftsansässige Firma Schulze entdeckte angeblich immer mehr Schäden an Schornstein, Dachfenstern, Garagendach und Hausfassade. Handschriftlich korrigierte Ricardo Schulze den ersten Kostenvoranschlag, erst auf 2900, dann auf 6000 Euro. Den Protest der inzwischen verunsicherten alten Dame ignorierten die Handwerker, von denen mehrere mit osteuropäischem Akzent sprachen. „Der Bruder von Herrn Schulze wurde richtig grob. Da war ich völlig eingeschüchtert“, erzählt Gerda Müller. So stellte sie Schecks aus, holte schließlich Bargeld von der Bank. Ihre gesamten Ersparnisse. Sagen und schreibe 26 000 Euro erpressten die Dachhaie.

Zum Glück wurden irgendwann Nachbarn auf die Geschichte aufmerksam. Einer von ihnen, der pensionierte Polizeihauptkommissar Dieter Seefeldt, hakte nach. Der Hobbyhandwerker fragte das Team nach baulichen Details, verwendeten Materialien, Referenzobjekten. Schnell war ihm klar, dass nicht nur die Rechnungsbeträge zu hoch waren, sondern auch gepfuscht worden war. Zudem waren völlig intakte Dachteile „repariert“ worden. Ein Gutachter bestätigte Seefeldts Verdacht. Der Ex-Polizist erstattete Anzeige (Staatsanwaltschaft Berlin-Moabit AZ JS 52 14 95/06) und bat den Opferhilfeverein Weißer Ring um Unterstützung. Der reagierte schnell und stellte einen Opferanwalt. Einen eigenen konnte sich die Betrogene nun nicht mehr leisten.

Gerda Müller ist kein Einzelfall. „Fast täglich rufen uns Geschädigte an“, sagt Rüdiger Thaler, Geschäftsführer der Berliner Dachdecker-Innung. Das Vertrackte: Ist das Dach erst abgedeckt, ist damit auch der Beweis verschwunden, dass die Arbeiten unnötig waren. Deshalb agieren Betrüger sehr schnell. Wer doch misstrauisch wird, kann zwar den Vertrag binnen zwei Wochen widerrufen. Doch wer tut das schon, wenn das Dach offen steht?

Die Gerichte haben reichlich Baustreitigkeiten abzuarbeiten. Zwar werden Verfahren nicht getrennt nach öffentlichen und privaten erfasst, aber die Zahlen sind erheblich. Der Justizpressestelle zufolge wurden allein 2005 mehr als 600 Fälle mit Streitsummen bis 5000 Euro von den Amtsgerichten bearbeitet. Ab 5000 Euro ist das Landgericht zuständig. Hier wurden sogar 1856 Fälle verhandelt.

Für Streitfälle, bei denen es nicht um vorsätzlichen Betrug geht, hat die Dachdecker-Innung zum Schutz der Kunden – und des eigenen Ansehens – jetzt eine Schlichtungsstelle eingerichtet. Die Voraussetzung: Beide Vertragspartner müssen die außergerichtliche Einigung wollen. „Was vor Gericht monatelang dauert und viel kostet, kann so in zwei Stunden vom Tisch sein“, sagt Innungs-Chef Thaler. Wenn es Streit darum gibt, was beauftragt war und was nicht, wenn es um die Höhe der Rechnungen oder die fachgerechte Ausführung der Arbeiten geht, kann die Innung so helfen.

Dachhaie werden sich wohl eher selten vor die Schlichtungsstelle begeben. Damit Kunden lernen, nicht jedem auf den Leim zu gehen, bietet die Innung jeden Donnerstag von 14 bis 16 Uhr eine kostenlose fachtechnische Beratung. Dort informieren sachverständige Dachdeckermeister Hausbesitzer (siehe Kasten).

Ob Gerda Müller ihr Geld wiederbekommt, ist noch offen. Straf- und zivilrechtliches Verfahren laufen. Allerdings ist Ricardo Schulze unbekannt verzogen. Am Telefon hatte Dieter Seefeldt den Dachhai noch einmal erwischt und die Rückzahlung des Geldes verlangt. Die prompte Antwort: „Da gehe ich lieber in Insolvenz.“ Der Seniorin hat der Verlust gesundheitlich und nervlich heftig zugesetzt: „Ich kann mir nicht verzeihen, dass ich so naiv war.“

Wegen des laufenden Verfahrens haben wir alle Namen geändert.

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