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Immobilien: Mietwucher bei Wohnungen für Arbeitslose

Wenn Sigi Andersen (Name geändert) schlafen geht, kriecht die Angst mit ins Bett. Angst, dass die Ratte wiederkommt.

Wenn Sigi Andersen (Name geändert) schlafen geht, kriecht die Angst mit ins Bett. Angst, dass die Ratte wiederkommt. „Eine habe ich schon erlegt. Es gibt aber noch eine“, sagt der 35-Jährige und zeigt auf ein Loch in der Wand. Andersen wohnt in einem bröckelnden Altbau in Hamburg-Ottensen. Rund 18 Quadratmeter misst die Bruchbude des Arbeitslosen – die keine Heizung, dafür aber feuchte Wände und eine kaputte Elektrik hat. 350 Euro kalt kassierte hier bis vor kurzem die Vermieterin. Nun wurde die Hartz-IV-Behörde aktiv. Sie habe gegen die Berliner Immobiliengesellschaft eine Schadenersatzklage eingereicht, teilte ein beauftragter Rechtsanwalt mit. Außerdem werde eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf Mietwucher vorbereitet. Die Vermieterin wollte dazu nicht Stellung nehmen.

Jahrelang haben in Hamburg Hartz-IV- Behörde und Stadt die Verschwendung von Steuergeldern in Kauf genommen. Der Grund ist offenkundig: Preiswerter Wohnraum ist rar, Hilfeempfänger sind als Mieter unbeliebt. Gute Chancen also für Hausbesitzer, schnelles Geld zu machen nach dem Motto: Für einen Hartz-IV-Empfänger reicht auch ein feuchter Keller.

Der prominenteste unter den zweifelhaften Vermietern ist das CDU-Mitglied Thorsten Kuhlmann. Rund 360 Wohnungen vermietet seine Grundstücks GmbH an Hartz-IV-Empfänger. Im Oktober 2009 enthüllte das Hamburger Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ erstmals das „System Kuhlmann“: Wohnungen, die auf dem Papier teils doppelt so groß waren wie in Wirklichkeit – mit der Folge weit überhöhter Mieten. Ein schimmeliger Keller, ohne Genehmigung als Wohnraum vermietet. Erst als das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und weitere Medien den Fall im Februar 2010 aufgriffen, stellte das Jobcenter Strafanzeige wegen des Verdachts auf Betrug und Mietwucher. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft. Kuhlmann war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Möglich wird die Abzocke durch einen Fehler im System: Zwar haben die Ämter wie überall in Deutschland Mietobergrenzen für Hilfeempfänger definiert. Doch prüfen sie in der Regel nicht, ob die verlangte Miete angemessen ist. „Die Behörde kontrolliert nur, ob der Betrag stimmt“, erklärt Werner Hesse, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Berlin. Mehr Kontrollen lehnt er dennoch ab. „Das Ganze muss im Verhältnis bleiben.“

„Es gibt in jeder Stadt Vermieter, die für möblierte Hütten horrende Preise kassieren“, sagt Harald Thomé, Vorstand des Wuppertaler Vereins Tacheles. In der Regel würden die Behörden die Missstände kennen, aber keine Unterbringungsalternativen sehen. 2009 zahlten Bund und Kommunen 14 Milliarden Euro für Mieten von Hartz-IV-Empfängern.

Laut Hamburger Hartz-IV-Behörde ist ihr Vorgehen gegen Abzock-Vermieter bundesweit einzigartig. Einige betroffene Hilfeempfänger wehren sich inzwischen mithilfe der Mietervereine. Unterstützung benötigen sie dringend: In einem Haus haben rund 40 Bewohner die Kündigung erhalten – mit der Begründung, die Fortsetzung des Mietverhältnisses sei für den Vermieter „eine unzumutbare wirtschaftliche Härte“.Ulrich Jonas (epd)

Ulrich Jonas (epd)

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