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Immobilien: Neuer Blick auf die Zukunft von gestern

Die Reichsforschungssiedlung sollte Maßstäbe für wirtschaftlichen Wohnbau setzen. Jetzt wird sie auf die Höhe der Zeit gebracht

Überall wird gehämmert, geschraubt und gebohrt. In den Wohnungen schleifen Arbeiter die Bodendielen ab, kacheln die Bäder, verlegen neue Rohre und Kabel. Draußen schleppen Kollegen neue Fensterrahmen heran. Alle zwei Wochen rückt das Baugerüst an der Fassade, die eine zehn Zentimeter dicke Wärmedämmung erhält, einen Aufgang weiter.

In Spandau lässt die Gemeinnützige Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin (Gewobag) die Reichsforschungssiedlung sanieren. Vor 80 Jahren war hier, zwischen der Siemensstadt und den Borsigwerken in Tegel, der Bedarf groß an preisgünstigen Kleinwohnungen für die vielen Arbeiterfamilien des industrialisierten Berlins. Um die Entwicklung solcher Quartiere zu optimieren und Wohnraum zu schaffen, der sich einerseits preiswert errichten lassen als auch möglichst hohe Lebensqualität bieten sollte, schrieb die Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen (RFG) 1928 einen Wettbewerb für eine neue Siedlung auf einem Kleingartengelände nördlich der Gartenfelder Straße aus. Sieger wurde die Gemeinnützige Heimstätten AG Groß-Berlin mit einem Entwurf von Walter Gropius und Stefan Fischer. Für die 1931 in Gewobag umbenannte Heimag war es das erste Großprojekt.

Acht Architekten entwarfen die unterschiedlich gestalteten Wohnblöcke. Sie wurden in sechs großen Baublöcken von 1930 bis 1934 zwischen weitläufigen Grünflächen errichtet. Zur Erschließung legte man drei neue Straßen an, den Haselhorster Damm sowie den Lüdenscheider- und den Burscheider Weg. Gut die Hälfte der 3500 Wohnungen besteht auf 42 bis 49 Quadratmetern aus anderthalb Zimmern mit Wohnküche oder zwei Zimmern mit Küche. Nur 20 Prozent sind größer. Zur Zeit ihrer Entstehung war die Reichsforschungssiedlung damit die größte und modernste Wohnsiedlung der Weimarer Republik.

Zwar waren die Öfen in den 80er Jahren durch Fernwärme ersetzt worden. Doch trotzdem entsprechen Größe und Ausstattung der denkmalgeschützten Wohnungen, Sanitär- und Elektroinstallationen heute nicht mehr dem Standard. Hinzu kamen erhebliche Abnutzungserscheinungen und Mängel. Die Folge war zunehmender Leerstand.

Deshalb wurde beschlossen, zunächst den von den Architekten Paul Mebes und Paul Emmerich stammenden Siedlungsteil östlich des Haselhorster Dammes mit 628 Wohnungen zu sanieren – für die Architekten des Architektenbüros Garsztecki & Hartmann eine Herausforderung, da es galt, auch mit unkonventionellen Mitteln die Siedlung wieder auf einen zeitgemäßen Standard zu bringen. Während die Gewobag den Planern in den Wohnungen relativ freie Hand ließ, bestanden die Denkmalschützer auf einer originalgetreuen Rekonstruktion von Fassaden und Treppenhäusern. Der Anbau von zusätzlichen Balkonen wurde genehmigt. Rund ein Jahr dauerte die Aufstellung des zwei Aktenordner umfassenden Denkmalpflegeplanes, der jetzt für die Bautrupps eine Art Bibel darstellt.

Jeder betroffene Mieter wurde im persönlichen Gespräch über die Maßnahmen informiert. Da die Bewohner während der Arbeiten nicht in ihren Wohnungen bleiben konnten, wurden sie vor die Wahl gestellt: Umzug in eine bereits sanierte Wohnung oder Umsiedlung in ein Ersatzquartier für rund vier Monate während der Modernisierung der bisherigen Bleibe. Manche Senioren nutzen die Sanierung auch zum Umzug aus den Obergeschossen in eine Parterrewohnung. So wie Franz Reinert aus dem ersten Bauabschnitt. „Jetzt habe ich mehr Platz und muss keine Treppen mehr steigen“, so der 69-Jährige. In der Siedlung patrouilliert ein eigener Sicherheitsdienst, der heimkehrende Anwohner bei Dunkelheit auf Wunsch auch zur Haustür begleitet, wenn eine Laterne ausgefallen ist.

2003 begann der erste Sanierungsabschnitt südlich des Burscheider Weges. Hier verringerte sich die Zahl der Wohnungen durch Zusammenlegung zu größeren Einheiten mit bis zu vier Zimmern von 286 auf 205. Für die kleinen Bewohner der Siedlung legten die Planer zwei Spielplätze neu an. Im Herbst vergangenen Jahres wurde auch der zweite Abschnitt mit zwei Blöcken an Burscheider Weg und Riensbergstraße abgeschlossen. Der dritte Bauabschnitt hat im März begonnen. Bis zum Sommer nächsten Jahres werden in seinem Rahmen am Burscheider Weg die letzten drei Blöcke dieses Siedlungsteils umgebaut.

Die Hauseingänge sowie die Treppenhäuser mit ihren Holz- oder Stahlgeländern werden dabei originalgetreu instandgesetzt. Auch die Türspione und Klingelknöpfe entsprechen den Vorbildern von 1930. Selbst die aus Sicherheitsgründen längst geschlossenen Briefschlitze in den Wohnungstüren erhalten wieder die alten Klappen.

In den Wohnungen werden die Installationen ebenso erneuert wie die charakteristischen Kastendoppelfenster, die von einem Tischler originalgetreu nachgebaut werden. Bäder und Küchen werden in Absprache mit den Bewohnern neu gestaltet, etwa Anschlüsse versetzt oder Badewannen durch Duschen ersetzt, die es für ältere Bewohner einfacher machen, die Sanitäreinrichtungen zu benutzen.

Hinzu kommen neue Ventile für die Heizkörper. „Zusammen mit der Wärmedämmung können wir die Heizkosten dadurch um mehr als 50 Prozent senken“, so Gewobag-Projektleiter Christian Silhavy. Auch bei der Sanierung der Grünanlage, die wieder mit den alten, halbrunden Bordsteinen eingefasst wird, setzt man auf Ökologie: Das Regenwasser wird über kleine Kanäle auf die Wiesen geleitet, wo es versickert.

Insgesamt investiert die Gewobag 28 Millionen Euro für die Modernisierung. Wie man mit dem Siedlungsteil westlich des Haselhorster Dammes verfahren will, ist noch offen. Doch schon jetzt zeigen sich die Erfolge der Maßnahmen: Insgesamt ist der Leerstand in der Siedlung laut Gewobag auf 2,2 Prozent gesunken, nicht gerechnet die Wohnungen, die man für Mieter freihält, die man während der Sanierung umsetzen muss. Kirstin Fehmann etwa, deren Kinderzimmer schon im Lüdenscheider Weg war, ist vor zwei Jahren mit ihrer Familie nach Haselhorst zurückgekehrt und in eine sanierte Wohnung am Burscheider Weg gezogen. „Ich bin froh, wieder hier zu sein, hier fühle ich mich zu Hause“, sagt die junge Frau.

Rainer W. During

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