zum Hauptinhalt

Immobilien: Neues Leben im alten Klinikum

Auf dem Areal des ehemaligen Urban-Krankenhauses im Kreuzberger Graefekiez steht eines der größten Baugruppenprojekte der Stadt vor dem Abschluss.

Noch werkeln die Handwerker auf dem Areal des ehemaligen Urban-Krankenhauses in Kreuzberg. Einzelne Häuser sind eingerüstet, Lieferwagen holpern über die Wege, und die Schlammwüste der Außenanlagen hat wenig zu tun mit dem Grünkonzept, das hier einmal umgesetzt sein soll. Und doch: Die meisten Fassaden erstrahlen in neuem Glanz, und wer neugierig in die Erdgeschosswohnungen linst, erblickt geschmackvoll eingerichtete Wohnräume und spielende Kinder. Ein Großteil der Wohnungen im Karree zwischen Urban-, Grimm- und Dieffenbachstraße, direkt neben dem neuen Urban-Krankenhaus, sind bezogen – und das ist bemerkenswert.

Denn das, was sich im Jahr 2008 eine Gruppe um das Architektenpaar Georg Graetz und Mary-France Jallard Graetz vornahm, war ausgesprochen mutig. Vom Vivantes-Konzern erwarb sie für 13 Millionen Euro ein parkähnliches Areal mit 19 denkmalgeschützten, im späten 19. Jahrhundert errichteten Klinkerbauten, um darin Wohnungen unterzubringen. Das alles sollte im Rahmen eines Baugemeinschaftsprojekts erfolgen: unter Mitwirkung der künftigen Bewohner, mit dem Ziel eines gemeinschaftlichen Miteinanders und nicht gewinnorientiert. Es ist das vermutlich größte Vorhaben in dieser Organisationsform, das bislang in Berlin realisiert worden ist – und es hat geklappt, allen Bedenken zum Trotz.

Allerdings lief nicht alles so, wie es ursprünglich geplant war, erläutert Mary-France Jallard Graetz. Nicht ganz einhalten ließ sich beispielsweise der Zeitplan: Geplant war, das Vorhaben im Jahr 2011 abzuschließen. Zwar zogen die ersten Bewohner bereits Ende 2010 ein; der Abschluss der Bauarbeiten an dem im Westen des Areals gelegenen Haus 1 aber lässt noch eine Weile auf sich warten - mit der Folge, dass auch die Außenanlagen noch nicht gestaltet werden können.

Auch die Kosten sind deutlich höher geworden als veranschlagt. Während die Initiatoren ursprünglich mit einem Investitionsvolumen von 36 Millionen Euro (inklusive Grundstück) rechneten, werden es jetzt wohl 45 Millionen Euro. Die durchschnittlichen Kosten pro Quadratmeter Wohnfläche betragen nicht wie einst angegeben 2200 Euro, sondern etwa 2500 Euro. Die Gründe für die Kostensteigerung sind laut Jallard Graetz vielfältig. So war die Bausubstanz schlechter als erwartet; es mussten etwa alle Dachstühle ausgetauscht werden. Außerdem entschieden sich die Planer dann doch für eine Innendämmung, um die Energiebilanz zu verbessern. Schließlich wurde mehr Wohnfläche als geplant geschaffen, da sich viele Bewohner entschieden, in die teilweise 4,60 Meter hohen Räume Zwischendecken einzuziehen.

Hinzu kam aber noch etwas anderes: „Wir hätten nie gedacht, dass die Planung so aufwändig würde“, seufzt die Immobilienexpertin, die zusammen mit ihrem Mann auch die architektonische Planung verantwortete. Während sie eigentlich vorhatten, pro Haus jeweils eine bestimmte Typologie zu realisieren, sahen sie sich bald mit zahlreichen Änderungswünschen der Baugruppenmitglieder konfrontiert. Die einen wollten die Küche woanders haben, die anderen das Badezimmer – mit der Folge, dass auch das Schall- und das Brandschutzkonzept ständig angepasst werden mussten. „Es war“, blickt Jallard Graetz zurück, „schwierig, die Leute zu bremsen.“

Entstanden ist ein Ensemble aus 136 Geschosswohnungen und Reihenhäusern, die jetzt mehrere Eigentümergemeinschaften bilden. Unter den Eigentümern sind viele Freiberufler, die in ihrer Wohnung arbeiten. Neben einzelnen älteren Menschen haben sich vor allem Familien für das Projekt entschieden: Über hundert Kinder leben auf dem Areal. Für sie dürfte die Anlage, wenn denn einmal die Grünflächen und der Spielplatz angelegt sind, ein wahres Paradies sein: mitten in der Stadt und doch ohne Autos.

Ist das Ensemble damit möglicherweise ein Fremdkörper im Kiez, vielleicht sogar eine Gated Community? An solch ein geschlossenes Wohngebiet erinnern Teile der hohen Klinikmauer, die zur Dieffenbachstraße hin stehen geblieben ist. Doch absondern wollten sich die Bewohner nicht, betont Jallard Gratz; die Mauer diene bloß als Sichtschutz. Das Verhältnis zur Nachbarschaft sei gut, zumal die meisten Bewohner schon vorher in Kreuzberg gewohnt hätten. Außerdem sei das Areal für jedermann zugänglich, und der geplante Spielplatz werde auch Kindern aus der Umgebung offen stehen.

Diese Offenheit unterstreichen zwei Gebäude mit einer besonderen Nutzung. An der Ecke zur Urbanstraße entsteht derzeit ein Neubau, in dem der Verein Prowo psychisch erkrankten Müttern Hilfe bieten wird. Und auf der anderen Seite des Areals, angrenzend an das neue Urban-Krankenhaus, befindet sich eine psychiatrische Tagesklinik. Betrieben wird sie von Vivantes, also dem Krankenhauskonzern, der 2008 das Areal an die Baugruppe verkaufte. Er erwarb dieses eine Gebäude wieder zurück – exakt zu dem Preis, zu dem er es veräußert hatte.

Eine ungewöhnliche Kombination bietet zudem das an der Grimmstraße gelegene Haus 11. Es gehört dem Ehepaar Graetz, das darin sein Architekturbüro und seine Wohnung untergebracht hat. Zum Haus gehört aber auch die ehemalige Kapelle, die man jetzt für Kurse, Lesungen und andere Veranstaltungen mieten kann.

Eine ganz bestimmte Bevölkerungsgruppe allerdings dürfte sich ärgern über die neue Wohnanlage: die kommerziellen Bauträger, die es mit Sicherheit lebhaft bedauern, dass sie sich diese Gelegenheit im begehrten Graefekiez haben entgehen lassen. Ihnen hätte ein satter Gewinn gewunken – für Wohnungen solcher Qualität in Kreuzberg lassen sich heute nämlich deutlich über 3000 Euro pro Quadratmeter erzielen. Tatsächlich nutzten die Initiatoren der Baugemeinschaft im Jahr 2008 entschlossen die Gunst der Stunde. „Professionelle Entwickler hatten damals Probleme, ihre Projekte zu finanzieren“, sagt Jallard Graetz im Rückblick auf die Finanzmarktkrise. Die Baugruppe dagegen fand in der Umweltbank einen Finanzierungspartner. Käme die Liegenschaft heute auf den boomenden Berliner Wohnungsmarkt, würden Immobilienfirmen mit Sicherheit Höchstpreise bieten, um sich dieses Juwel zu sichern.

Ob sie das Abenteuer noch einmal wagen würden? „Ja, aber anders“, antwortet Mary-France Jallard Graetz. Wenn sie heute noch einmal beginnen würden, so würden sie den Interessenten von Anfang an klar machen, dass planerische Sonderwünsche kostenpflichtig seien. Und ein gleichwertiges Vorhaben werde es sowieso nicht mehr geben: „Dieses Areal hier ist einmalig in seiner Qualität.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false