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Auch schön grün. Blick in die Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg, wo ein entspannter Cafébesuch oder der allfällige Einkaufsbummel durch die unterschiedlichsten Geschäfte möglich ist.

© Kai-Uwe Heinrich

Prenzlauer Berg versus Karlshorst: Jedem seine Szene

Den Garten vor der Tür oder das Café ums Eck, City oder Peripherie? Darüber streiten sich die Geister.

Vor dem „Wohnzimmer“, einem Café im Prenzlauer Berg, sitzen drei Paare beisammen. Das eine wohnt um die Ecke und muss sich mit einem Investor streiten, der eine Modernisierung angekündigt hat. Das zweite möchte nach langen Jahren umziehen, sieht sich aber mit um 50 Prozent höheren Mieten konfrontiert. Das dritte wohnt weit draußen in Karlshorst und will auf keinen Fall die Wohnung wechseln. Der Kiezbewohner aus der Lychener Straße gibt nach einigem Hin und Her über das Berliner Wohnungsdilemma den Anstoß für eine interessante Debatte: „Alle wollen in die Mitte. Aber es ist eine Tatsache, dass nicht jeder innerhalb des S-Bahn-Rings leben kann. Das Boot ist nun mal voll. Abgesehen davon glaube ich, dass viele Menschen sogar lieber draußen leben.“

Die Karlshorster stimmen begeistert zu und in der nächsten halben Stunde sammeln die drei Paare gemeinsam gute Gründe für das Leben an der Peripherie. Ich gebe mich als Journalist zu erkennen, frage, ob ich mich dazusetzen darf und notiere ihre Argumente. Es kommen einige zusammen.

Sie sind sich schon einmal darin einig, dass man sowieso hauptsächlich im Kiez lebt. Die meisten Berliner verlassen ihren Bezirk doch nur, um neun Stunden später schleunigst wieder zurückzukehren. Zu Hause wartet der Liebste, die Katze oder der Fernseher. Die Frau aus der Lychener beschreibt die Lage: „Wir holen beim netten Bäcker unsere Brötchen. Der Hausarzt praktiziert fußnah. Drei Straßen weiter werkelt der Mechaniker unseres Vertrauens am Auto herum. Und Kino und Off-Theater gibt’s auch im Karree.“

Auch die Karlshorsterin lobt ihren Kiez und hebt hervor, dass es „noch eine richtige Eckkneipe gibt, in der man Bekannte trifft und nicht wie hier lauter Touristen oder Szene-Flaneure von sonst wo“. Das einhellige Resümee: Berlin ist sowieso viel zu groß und der Kiez die eigentliche Heimat. Und den gibt es eben auch an der Peripherie.

Bionade-Biotop, Hornbrillentypen und Mieten, die durch die Decke gehen

Das zweite Argument: Mit der S-Bahn ist die City ganz nah. Der Karlshorster gibt ein Beispiel: „Wir gehen alle gern ins Theater. Wenn ihr vom Prenzlauer Berg in die Schaubühne oben am Kurfürstendamm fahrt, braucht ihr mit der S-Bahn“ – ein schneller Griff zum Smartphone – „zweiunddreißig Minuten. Ich brauche vom Bahnhof Karlshorst vierzig Minuten. Acht Minuten machen den Unterschied zwischen mittendrin und ganz weit draußen. Dafür muss ich nun wirklich nicht 500 Euro mehr Miete bezahlen.“

Gerade in Fahrt, weist der Karlshorster darauf hin, dass es in der Innenstadt sowieso nicht so toll ist, wie viele immer behaupten: „Schaut euch diese Gegend hier an. Sie hat doch in vielen Kreisen ein miserables Image. Bionade-Biotop, lauter Hornbrillentypen und Mütter mit Kleinkindern, Mieten, die durch die Decke gehen, keine Parkplätze. Dagegen ist Karlshorst ein Dorf. Beschaulich, grün und still. Viele alleinstehende Häuser. Jede Menge Parkplätze vor der Tür. Keinerlei Imageproblem. Warum soll ich da wegziehen?“

Seine Frau führt ein weiteres unschlagbares Argument ins Feld: Weiter draußen lässt es sich viel billiger leben. „Wisst ihr, dass Friedrichshain-Kreuzberg der neue Spitzenreiter bei den Neuvermietungen ist? Zehn Euro pro Quadratmeter kostet der Spaß jetzt. Bei uns sind es zwei bis drei Euro weniger. Da kommen im Jahr für eine 80-Quadratmeter-Wohnung“ – wieder wird das Smartphone zu Rate gezogen – „zwischen 2000 und 3000 Euro zusammen. Davon kann ich gut ein paar Taxifahrten ins Zentrum bezahlen, wenn mir nach einer Sause ist.“

Jetzt mischt sich auch das Pärchen mit dem Umzugsproblem ein. Der Mann sagt: „Irgendwie lebt man als Bewohner der Peripherie in zwei Städten zu einem Preis. Meine Schwester in Spandau sagt, dass sie nach Berlin fährt, wenn es sie nach Mitte oder Charlottenburg zum Einkaufen zieht. Da schaut sie sich dann mit einem Cappuccino vorm Café in Ruhe an, was die Stadtbewohner so treiben.“

Vor der Schule, auf dem Spielplatz, beim Bäcker: Überall lauert die Gefahr

Einig sind sich dann alle, dass man an der Peripherie den Touristen entkommt. Für die Frau aus der Lychener bedeutet das Mittendrinsein vor allem viele Leute mit Smartphones in der Hand, die auf den Trottoirs herumstehen und ihre App nach dem nächsten Highlight befragen, außerdem regelmäßig ausgebuchte Restaurants und mit dem Mauerpark einen Besuchermagneten, der wie eine riesige Müllhalde aussieht. Sie muss zugeben: „Da geht es in Karlshorst doch entschieden gelassener zu.“

Ein weiteres Argument sind die Häuser mit Garten an der Peripherie. Die gibt es am Prenzlauer Berg bekanntlich nicht. „Bei uns hier stauen sich gegen 8 Uhr in der Früh die Autos vor den beliebten Schulen, wenn Eltern ihre Racker zum Unterrichtsbeginn vorfahren. Auf den Spielplätzen sitzen am Wochenende hunderte von Müttern und Vätern und verbringen ihre Zeit damit, im Sandkasten zu buddeln. Achtjährige Jungs und Mädchen gehen nicht einmal alleine zum Bäcker, weil überall die Gefahr lauert.“ – „Und bei uns in Karlshorst radeln die Kids zur Schule, treffen sich nachmittags mit Freunden auf dem Bolzplatz oder spielen im Garten hinterm Haus, während ihre Eltern friedlich Kaffee trinken.“

Mit dieser Auswahl an guten Gründen für die Peripherie lässt es die Runde im Café bewenden. Wegziehen will das Pärchen aus Prenzlauer Berg trotzdem nicht. Ich wohne auch nur ein paar Schritte entfernt und muss den beiden beipflichten. Ich halte es mit Roger Willemsen, der vor einiger Zeit in einem Interview sagte: „Gerade in Berlin ist das äußerst reizvoll, sich in irgendwelche Bahnen zu setzen und einfach irgendwo auszusteigen, um zu gucken: Was wäre hier? Wie würde man sich hier amüsieren? Wohin ginge man?“

So wie ich das sehe, ist das Leben an der Peripherie vielleicht am schönsten in der Fantasie.

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