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© Harald Groven/Flickr

Tromsö: Wo die Pflanzen im Sommer nie schlafen gehen

Hier wächst alles, was hart im Nehmen ist: Im norwegischen Tromsö liegt der nördlichste botanische Garten Europas

Die arktische Klette macht sich breit. Kräftige, strahlend weiße Blütenblätter reckt sie in die Höhe. „Gleich drei Mal hat sie im vergangenen Jahr geblüht“, erklärt Gartendirektor Arve Elvebakk stolz. Und das, obwohl es ihr in Tromsö zu heiß sei. Jetzt, im Sommer, kann die Sonne schließlich richtig brennen oberhalb des Polarkreises. Überhaupt muss, was hier im nördlichsten botanischen Garten der Welt wächst, hart im Nehmen sein. Denn der Winter beginnt im späten Oktober und dauert bis Anfang Mai. Viel Schnee gibt es dann und vor allem: dicke Eisschichten. „Eine wirkliche Herausforderung fürs Gärtnern“, findet Elvebakk.

So haben sie dem Pflanzenpark, der in den neunziger Jahren angelegt wurde, ein „arktisch-alpines Profil“ gegeben. Eine hügelige Landschaft aus flachen Steinen und kantigem Fels ist entstanden, die sich im Sommer in ein buntes Blumenmeer verwandelt. Die Pflanze Saxifraga etwa, wörtlich ins Deutsche übersetzt heißt sie Steinbrech, prunkt hier in Weiß, Pink, Lila und Brombeerrot. Der Steinbrech fühlt sich wohl in Felsspalten, und der Name, so dachte man früher, bedeutete, dass er „Steine brechen“ könnte. Ein Irrglaube, dem vor Jahrhunderten auch Mediziner verfallen waren. Sie glaubten, mit der Verabreichung von Steinbrech Gallen- und Nierensteine zertrümmern zu können. Im botanischen Garten von Tromsö darf die Pflanze einfach nur bewundert werden. In den Alpen kommt sie in rund 40 Arten vor und sie kann sich auch in extremen Lagen behaupten. Im schweizerischen Wallis entdeckte man sie noch auf einer Höhe von 4450 Metern.

Auch der Gletscher-Hahnenfuß, dessen Farbe vom anfänglichen Weiß über Rosa zu Dunkelrot wechselt, fühlt sich wohl in felsigen Hochlagen der Alpen oder der Karpaten und kommt auch in der Arktis vor. Die dottergelbe Trollblume mit ihrer kugelrunden Blütenform hat im Garten einen Ehrenplatz. Sie ist eine Art blühendes Wahrzeichen Nordnorwegens. Es regnet reichlich in dieser Region, goldrichtig für die Trollblume, die auf dauerfeuchtem Boden am besten gedeiht. In Deutschland ist der Bestand dieser schwach giftigen Pflanze – Kühe machen deshalb einen Bogen um sie herum – gefährdet. Sie steht unter Naturschutz.

Verschiedenste Arten Primeln gedeihen hier. „Tromsö ist ein guter Platz für sie, denn sie mögen es feucht und kühl“, erklärt Arve Elvebakk. Die Meconopsis, die Kälte braucht, ist ursprünglich im Himalaya-Gebirge heimisch (siehe nebenstehenden Kasten). In Tromsö kommt sie gerade noch zurecht, während es ihr in den südnorwegischen Sommern schon zu warm ist. Erfolgreich wurden Gewächse aus China, Nepal und dem Kaukasus angesiedelt, die ein Mitteleuropäer außerhalb dieser Regionen sonst nicht zu Gesicht bekommt.

Aber es gibt auch eine große Sammlung von Pflanzen, die vor ein paar hundert Jahren schon in nordnorwegischen Gärten wuchsen – und heute aus der Mode gekommen oder einfach vergessen sind. Nun haben sie in Tromsö ein wertvolles Refugium. Auch diverse Pflanzen sind darunter, mit denen sich abergläubische Menschen für die Mittsommernacht wappneten. Ein Tee aus allerlei Blüten sollte die vermeintlich böse Kraft der Geister brechen.

Die Anpassungsfähigkeit der Pflanzen an ihre Umwelt ist faszinierend. Eindrucksvoll sieht man das bei den Aciphylla-Arten, die in Neuseeland heimisch sind. Bei diesen Doldengewächsen fallen dornige, bizarr geformte Blätter auf. Damit schützten sie sich gegen die Moas, ausgestorbene flugunfähige Vögel, die Straußen ähnelten. Man vermutet, dass es Moas nur bis zum Ende des 14. Jahrhunderts gab. Die Pflanzen aber, so scheint es, fürchten sich immer noch vor ihnen.

Tromsös botanischer Garten zeigt beeindruckend, unter welch extremen Bedingungen Pflanzen gedeihen und blühen können. Er ist rund ums Jahr und 24 Stunden täglich geöffnet. „Im Sommer kann man ihn sogar nachts um drei Uhr besuchen“, schwärmt ein Engländer. Schließlich sinkt die Sonne im nordnorwegischen Sommer über zwei Monate nicht unter den Horizont. Und mit dem vielen Licht müssen die Pflanzen ja auch erst mal zurecht kommen.

Weitere Informationen im Internet:

www.uit.no/botanisk

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