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Eine Dachaufstockung in der Immanuelkirchstraße. An dem Projekt sieht man, wie Dachaufbauten die Dachlandschaft nivellieren können – einer der Vorteile dieser Bauweise.

© Büro 231 Architekten

Wohnungsnot: Auf dem Dach ist ein Zimmer frei

Eine Studie der TU Darmstadt belegt das große Potenzial von Dachaufbauten. Verbände beklagen aber Hemmnisse für den Bau. In Berlin wäre noch Platz für mindestens 55.000 Wohnungen auf Dächern. Weitere 7000 Dachgeschosse könnten ausgebaut werden.

Die Wohnungsnot in Deutschland ließe sich mit Dachaufbauten schnell und kostengünstig lindern. Das ist das Ergebnis einer Studie der Technischen Universität Darmstadt und des Pestel-Instituts im Auftrag von mehreren Bauverbänden. „Deutschland kann enorme Wohnraumreserven mobilisieren – die Chance dafür liegt auf den Dächern“, lautet das Fazit.

Mithilfe von Luftbildern identifizierten die Wissenschaftler alle Dachflächen, die durch fehlende Fenster oder Gauben als nicht ausgebaut gelten durften. Deren Zahl wurde nach folgenden Kriterien eingegrenzt: Nur Mehrfamilienhäuser ab drei Wohnungen in Gemeinden mit Wohnungsbedarf; nur Baujahre von 1950 bis 1990 (wegen ihrer relativ guten Bausubstanz); nur Gebäude mit einem Besitzer (keine Eigentümergemeinschaften wegen der komplexen Entscheidungslage); keine Randlagen.

Auch unter diesen strengen Gesichtspunkten ermittelte die TU Darmstadt ein Potenzial von 600.000 Wohnungen in Dachaufbauten – ganz erklecklich bei einem Neubaubedarf von jährlich 350.000 Wohnungen in den kommenden zehn Jahren. Von diesen Zahlen geht die Bundesregierung aus.

Weitere 420.000 Wohnungen könnten auf Gebäuden geschaffen werden, die vor 1950 gebaut wurden, heißt es in der Studie. Insgesamt gebe es in Deutschland Dachflächen für 1,1 Millionen zusätzliche Wohnungen. Für Berlin ermittelte die Studie ein Potenzial von 55.000 Wohnungen nach den engen Kriterien und ein Gesamtpotenzial von 88.000 Wohnungen.

Fast alle Gebäude seien statisch für eine eingeschossige Aufstockung geeignet. Dreigeschossig könne man noch auf zwei bis fünf Prozent des Bestandes aufsetzen, hat die TU Darmstadt ermittelt.

Dachaufbauten lassen sich schnell und kostengünstig errichten

Dachaufbauten sind kostengünstig, warb das Verbändebündnis bei der Vorstellung der Studie. Denn hier fallen ja die Grundstückskosten weg. Rund 2000 Euro pro Quadratmeter gab das Bündnis als Durchschnittspreis an. Auch ökologisch seien die Aufstockungen gut: „Sie vermeiden die Inanspruchnahme von Siedlungsflächen und auch von Infrastruktur“, sagte Holger Ortleb vom Bundesverband der Gipsindustrie.

Letzter Pluspunkt sei die Schnelligkeit: Einen Bebauungsplan aufzustellen dauert heute rund fünf Jahre, ein Dachaufbau aus Holz kann in wenigen Tagen aufgestellt und in wenigen Wochen ausgebaut werden. Und man könne ein Projekt leicht vervielfältigen, weil gerade die Mehrgeschosser oft als kleine Siedlungen mit mehreren gleichartigen Gebäuden errichtet wurden, sagte Karsten Tichelmann von der TU Darmstadt.

Doch seine Auftraggeber sehen auch Hindernisse und stellen konkrete Forderungen an die Politik, um Dachaufbauten zu fördern. Michael Hölker vom Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel vermisst eine Abschreibungsmöglichkeit für Dachaufbauten im aktuellen Gesetzentwurf zur Förderung des Wohnungsbaus. Ein Verzicht auf zusätzliche Parkplätze für Autos und mehr Kulanz bei Traufhöhenbeschränkungen und den Vorschriften zur Barrierefreiheit sind weitere Forderungen des Bündnisses.

Barrierefreiheit heißt in diesem Zusammenhang, dass jedes Gebäude einen Aufzug bekommen müsste. Gerade diesen Zusatznutzen aber erwartet Bundesbauministerin Barbara Hendricks von Dachaufbauten, wie sie kürzlich bei der Eröffnung einer Konferenz des Bündnisses bezahlbares Wohnen und Bauen sagte. Denn so könnten auch die Altmieter von einer Aufstockung profitieren.

Die Genehmigungspraxis in Ost- und Westberlin ist sehr unterschiedlich

Zumindest die Stellplatzverordnung ist in Berlin kein Hindernis für Dachaufbauten, sagt Markus Schell vom Büro 213 Architekten. Es hat sich seit rund zehn Jahren auf Dachaufbauten spezialisiert. In Berlin besteht eine Stellplatzpflicht nur für Behindertenparkplätze öffentlich zugänglicher Gebäude und für Fahrräder.

Auch was den Brandschutz angeht – zurzeit noch ein Hindernis bei vielgeschossigen Bauten aus Holz –, hatte Schell bisher keine Probleme. Für ihre Dachaufbauten haben die Architekten eine Schalenkonstruktion entwickelt, die aus Brettern in mehreren Lagen zusammengesetzt ist. So sind große Spannweiten und flexible Grundrisse möglich.

Was die Kubatur des Dachausbaus angeht, ist die Genehmigungspraxis in Ost- und Westberlin allerdings sehr unterschiedlich, berichtet Markus Schell. „Vom Planungsrecht her ist Berlin immer noch eine geteilte Stadt.“ In Ostberlin werde über die Zulässigkeit von Vorhaben nach Paragraf 34 Baugesetzbuch im Zusammenhang mit der Nachbarbebauung entschieden. Dadurch habe die Verwaltung einen relativ großen Entscheidungsspielraum.

In Westberlin gelte dagegen der Baunutzungsplan von 1958, außerdem seien Gestaltungsregeln erlassen worden. „Um Dachaufbauten überhaupt bauen zu können, brauchen Sie eine Befreiung vom Bauordnungsamt“, sagt Schell. Die Verwaltung habe jedoch auch im Westen Entscheidungsspielräume – die sie aber nicht nutze. „Wir haben den Mut nicht“, habe ihm ein leitender Mitarbeiter eines Bezirksbauamtes gesagt, berichtet Schell.

Übrigens können immer noch 7000 Dachgeschosswohnungen in Berliner Gründerzeitbauten ausgebaut werden, hatte 2014 eine Studie des Planerbüros Machleidt für die Grünen festgestellt. Zwar gab es in den 80er Jahren schon mal ein Förderprogramm für Dachausbauten. Das Potenzial sei aber noch nicht ausgeschöpft.

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