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Das Archivbild von 1923 zeigt das Abwiegen der Geldscheine, die zur Zeit der großen Inflation kaum mehr Wert waren als Papier. Ein Liter Milch kostete zeitweise 26 Milliarden Mark, für Brot 105 Milliarden Mark.

© dpa

Finanzkrise und Deutschland: Nie wieder Krieg. Nie wieder Inflation?

Bankenrettung, Griechenrettung, ausufernde Staatsverschuldung. Beispiellose Geldmengen haben Notenbanken und Regierungen rund um den Globus in die Wirtschaft gepumpt. Die anstehenden Milliardenhilfen für die Griechen kommen hinzu - ein Ende ist nicht absehbar. Steuern wir auf eine große Inflation zu?

Der Wirtschaftsjournalist Henrik Müller, Autor des Buches „Sprengsatz Inflation“ (Campus-Verlag), ist überzeugt: Auf die Finanzkrise folgt die große Geldentwertung in Form eines weltweiten Inflationsschubs. Für die Bürger wäre das eine Katastrophe, denn ihre Vermögen würden vernichtet und ihre Jobs wären bedroht. In Politik und Finanzwelt hingegen gäbe es Kreise, denen eine Inflation sehr gelegen käme.

Im gut gefüllten Kleist-Saal des Berliner Tagungszentrums Urania hielt Müller kürzlich einen Vortrag zum Thema. Dabei ging er zunächst in der Geschichte zurück, speziell zur deutschen Inflation 1922/23 und der Vermögensvernichtung nach dem zweiten Weltkrieg. Folge dieser Erfahrungen: Kaum eine Nation habe die Stabilität des Geldes mit der nationalen Identität so verwoben, wie die deutsche. Nach dem Motto: „Nie wieder Krieg. Nie wieder Inflation“.

Doch ist es möglich, dass die augenblickliche Krise des Geldes erneut in einer Hyperinflation mündet? Die Antwort vieler Ökonomen lautet: nein. Eher hätten wir es zur Zeit mit einer Deflation zu tun, also einem Rückgang des Preisniveaus statt inflationärer Preissteigerungen. Doch Müller befürchtet, dass mit der einsetzenden Erholung der Wirtschaft ein Inflationsschub kommt – der in den Schwellenländern schon zu sehen sei.

Der Wirtschaftsjournalist begründet dies mit dem Anstieg der Rohstoffpreise und der so genannten „globalen Überschussliquidität“, die der expansiven Geldpolitik der Notenbanken geschuldet sei. Diese haben systematisch zu viel Geld in die Märkte gepumpt, was zum Anstieg von Aktienpreisen, Rohstoffpreisen und Immobilienpreisen geführt hat. Die Notenbanken schauen jedoch nur auf die Verbraucherpreise und sahen daher keinen Anlass, die Zinsen zu erhöhen. Dabei müssten sie aus Sicht des Experten längst handeln.

Doch es gibt ein Problem: „Die Welt ertrinkt geradezu in Schulden. Wenn nun die Zinsen ansteigen, dann droht eine Pleitewelle sondergleichen“, so Müller. Die Notenbanken seien nun in einer schlechten Situation: Sie hätten in der Krise ein Stück ihrer Unabhängigkeit eingebüßt. Unabhängige Notenbanken sind eigentlich nötig, um im Zweifel unliebsame Entscheidungen zu treffen und im Sinne der Geldwertstabilität beispielsweise Zinsen anzuheben, obwohl dies das Wachstum abwürgen und zu einer Rezession führen könnte. „Es gibt die Tendenz, die Notenbanken ins politische Geschäft einzubeziehen“, so Müller. Im Zuge der Krise und der Bankenrettungen sei der politische Druck auf die Notenbanken gestiegen.

Hinzu kommen die gigantischen Staatsschulden, die die Notenbanken daran hinderten auf die Bremse zu treten. Sie müssen Rücksicht nehmen. Mit Zinsanhebungen würden sie die Finanzierungsmöglichkeiten gerade kleinerer und schwächerer Länder verschlechtern und möglicherweise Staatspleiten provozieren. Griechenland, Portugal, Irland, Italien und Spanien lassen grüßen. Müller bezweifelt, dass die Notenbanken derzeit in der Lage sind, die Maßnahmen zu treffen, die notwendig wären um eine steigende Inflation zu verhindern.

Aber wie kommen wir aus dieser gigantischen Verschuldung heraus? Die Antwort einiger Ökonomen lautet: Wir definieren Geldwertstabilität neu. Müller zitiert Fachleute, die bereits einer höheren Inflation das Wort reden. Und tatsächlich hat diese Option einen gewissen Reiz für die Wirtschaftspolitik. Die Alternative wäre zu sparen sowie Steuern und Abgaben zu erhöhen. Das ist hart, unpopulär und extrem langwierig. Die Hoffnung, aus den Schulden heraus zu wachsen, dürfte sich als trügerisch erweisen. Es bleibt die Versuchung für Staaten, sich mittels Inflation zu entschulden – eine Versuchung, die zumal in den USA auf ein deckungsgleiches Interesse vieler Bürger trifft, die ebenfalls hoch verschuldet sind. Wenn dann die Gläubiger auch noch im Ausland sitzen, wie im Falle der USA vor allem in China, dürfte der Anreiz für eine Entschuldung durch Inflation noch erhöht werden.

Aber wäre eine höhere Inflation denn wirklich so schlimm? Müller verweist auf die gesellschaftliche Funktion des Geldes: „Alles was wir haben und zum Teil auch wer wir sind, messen wir in unserer durchökonomisierten Gesellschaft in Geld.“ Und: „Wenn man mit dem Geldwert spielt, spielt man letztlich mit dem Vertrauen der Bürger in die staatlichen Institutionen“. Inflation führt nach Ansicht des Wirtschaftsjournalisten zu Verteilungskämpfen und trifft vor allem die Mittelschicht. Durchschnittsbürger sind nicht in der Lage, ganze Unternehmen zu kaufen oder sich Goldbarren in den Fußboden gießen zu lassen, wie dies ein Unternehmer getan habe, um sein Vermögen vor Inflation zu schützen. Die Ersparnisse der Mittelschicht sind normalerweise in Geldvermögen angelegt und somit bedroht – eine hohe Inflation träfe daher ins Herz der Gesellschaft.

Diskutiert wurde während der Veranstaltung nicht zuletzt über den aktuellen Fall Griechenland. So ist es für Müller durchaus vorstellbar, dass dieses Land den Staatsbankrott wagen könnte. Zur Debatte kam zudem die Inflations-Alternative Währungsreform, die häufig ebenfalls mit einer Abwertung privater Geldvermögen verbunden ist. Und Müller betont: Währungsschnitten geht normalerweise eine Phase der Inflation voraus. „Und was kann ich als Durchschnittsbürger tun?“ Eine Anlageempfehlung mochte der Journalist nicht abgeben – außer die eine: Investitionen in die Ausbildung der Kinder oder in die eigene Weiterbildung seien immer noch am sichersten.

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