zum Hauptinhalt
Lithium-Ionen-Batterien enthalten zahlreiche wertvolle und zum Teil kritische Materialien, die ein Recycling, wie hier von Laptops, attraktiv machen.

© REUTERS/TEMILADE ADELAJA

„Unser Hunger nach Ressourcen scheint unstillbar“: Was mehr zirkuläres statt lineares Wirtschaften bewirkt

Deutschland verbraucht vergleichsweise viel Ressourcen. Erstmals haben Forschende umfangreich Auswirkungen bei einer Transformation zur Kreislaufwirtschaft modelliert.

Ein wirtschaftlicher Wandel hin zu mehr Kreislaufwirtschaft würde Klima und Biodiversität maßgeblich schützen sowie die Rohstoffabhängigkeit Deutschlands reduzieren. Das zeigt eine am Dienstag in Berlin vorgestellte Studie der Umweltorganisation WWF in Zusammenarbeit mit den Forschungseinrichtungen Öko-Institut und Fraunhofer ISI sowie der Freien Universität Berlin.

Allein der Treibhausgasausstoß soll durch eine zirkuläre Transformation bis 2045 um bis zu 26 Prozent gesenkt werden können. Die Forschenden fordern von der Politik mehr Verbindlichkeit bei der Umsetzung.

Die ist beim Blick auf den Ressourcenverbrauch in Deutschland geboten. Zwar ist der Rohstoffverbrauch laut Umweltbundesamt zwischen dem Jahr 2000 und 2016 um 24 Prozent gesunken. Doch noch immer verbraucht Deutschland mit rund 16,4 Tonnen pro Kopf rund 13 Prozent mehr Rohstoffe als EU-Bürgerinnen und -bürger im Durchschnitt. „Unser Hunger nach Ressourcen scheint bisher unstillbar“, sagt Rebecca Tauer, Programmleiterin Kreislaufwirtschaft beim WWF. Dies habe direkt in die zunehmende Dreifachkrise aus Erderhitzung, Artensterben und Umweltverschmutzung geführt.

Der gesamtgesellschaftliche Nutzen einer Kreislaufwirtschaft ist deutlich höher als die damit einhergehenden sozioökonomischen Kosten der Transformation.

WWF-Studie „Modell Deutschland Circular Economy“

Das neue Modell erlaube nach Aussage der Forschenden erstmals umfassend zu simulieren, welche Maßnahmen in den jeweiligen Sektoren am effektivsten umzusetzen seien und mit welchen Instrumenten die Politik dabei vorgehen könnte.

Dabei betrachteten die Forschenden vor allem die Sektoren, in denen die Umweltbelastung in Produktion und Nutzung aktuell besonders hoch ist – die Bereiche Verkehr, Bau und Lebensmittel. In Szenarien simulierten die Forschenden 63 Maßnahmen, um Materialien möglichst effizient zu nutzen und länger im Kreislauf zu halten. Beispiele sind eine höhere Recycling- oder Reparaturquote.

Weniger Treibhausgase und geringere Ressourcenabhängigkeit

Im ambitionierten Szenario könnten Treibhausgasausstoß und Rohstoffverbrauch durch eine zirkuläre Transformation bis 2045 um jeweils über ein Viertel gesenkt werden. Das Gros des Einsparpotenzials bei den Emissionen lasse sich durch nur fünf Maßnahmen erzielen. „Geringere Wohn- und Büroflächen, weniger Individualverkehr, eine stärker pflanzenbasierte Ernährung, ressourceneffizientere Rechenzentren und ein geringerer Konsum von Textilien“, sagt Siddharth Prakash vom Öko-Institut. Auch die Landnutzung würde um bis zu 30 Prozent sinken und so zum Schutz der Biodiversität beitragen.

26
Prozent der Treibhausgase Deutschlands könnten durch mehr zirkuläres Wirtschaften bis 2045 eingespart werden.

Positive Auswirkungen sehen die Forschenden auch hinsichtlich der Resilienz der deutschen Wirtschaft gegenüber Versorgungsengpässen bei Rohstoffimporten. Durch eine Senkung des Bedarfs sowie mehr Recycling (also ein größeres Angebot an Sekundärrohstoffen) könnte der Bedarf für bis zu neun Rohstoffe, wie Palladium, Kobalt und Kupfer, bis 2045 um mehr als die Hälfte gedeckt werden.

Bundesumweltministerium erarbeitet nationale Strategie

„Die Circular Economy stärkt langfristig den Wirtschaftsstandort Deutschland und ist der tragende Baustein für das Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen“, sagt Kreislaufwirtschaftsexpertin Rebecca Tauer. Zum einen brauche es mehr Förderinstrumente für zirkuläre Maßnahmen. Zum anderen aber insgesamt mehr verbindliche Maßnahmen. Klaus Jacobs, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, bringt dafür eine Governance-Struktur für ein Ressourcenschutzgesetz analog zum Klimaschutzgesetz ins Spiel.

In der Bundesregierung ist das Querschnittsthema Kreislaufwirtschaft vor allem beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) aufgehangen. Das BMUV hat den Prozess für Erarbeitung einer nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) im April gestartet. Auf Tagesspiegel-Anfrage sagte ein Ministeriumssprecher, auch die Ergebnisse der heute veröffentlichten WWF-Studie würden dafür geprüft werden.

Zum Auftakt der Strategieerstellung führte Bundesumweltministerin Steffi Lemke im April bereits erste Gespräche mit Verbänden. Dazu wurden Runde Tische zu prioritären Handlungsfeldern (unter anderem für die Bereiche Fahrzeuge, Gebäude und Bekleidung) eingesetzt, die bereits alle im Mai einmal getagt haben und im September erneut zusammenkommen sollen. „Der Kabinettsbeschluss zur NKWS ist für das zweite Quartal 2024 vorgesehen“, so das BMUV auf Anfrage.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false