zum Hauptinhalt
Bote aus vorislamischer Zeit. In 2800 Metern Höhe, 130 Kilometer von Jemens Hauptstadt Sanaa entfernt, entdeckte Paul Yule das Basaltrelief eines kronetragenden Mannes mit Pflanze und Stab in den Händen und Schwert auf dem Rücken. Der Ausgräber erkennt darin einen König – und die „einzige erhaltene christliche Statue“.

© Universität Heidelberg/Michael Zick

Archäologie: Ein christlicher König im alten Jemen

In unwegsamem Bergland hat ein Heidelberger Archäologe seit 1998 nach vorislamischen Spuren gesucht. Jetzt zieht er sich aus der Unruheregion zurück.

Der archäologische Lageplan enthält viele rote Punkte und Linien, die antike Gebäude und anderes Menschenwerk dokumentieren. Doch sie geben selbst dem interessierten Laien kaum eine Chance, darin planmäßige Strukturen zu erkennen. Vor Ort, im südwestlichen Bergland des Jemen, ist es nicht viel besser – eine unruhige Terrassenlandschaft, erodierte Steinansammlungen, die Häuser eines modernen Dorfes. „Dort sehen Sie die Reste des Staudamms“, sagt Paul Yule, „die Steinhaufen dort könnten ein Palast oder Tempel gewesen sein, sehen Sie es?“ Beide Male muss der Besucher passen.

Paul Yule kämpft nicht nur mit dem beschränkten Einsichtsvermögen der Gäste am Grabungsort. Der Archäologieprofessor von der Universität Heidelberg muss sich mit 1500 Jahren historischem Dunkel, mangelhaften Textquellen und jahrhundertelangem Steinraub herumschlagen. 130 Kilometer südöstlich von der jemenitischen Hauptstadt Sanaa in 2800 Metern Höhe versucht er Zafar, der Hauptstadt des spätantiken Königreichs Himyar, wieder ein Gesicht zu geben. Nach zwölf Jahren zieht er sich jetzt vorerst aus dem Land zurück. „Unsere Arbeitsbedingungen waren zu spartanisch“, klagt Yule. Die labile innenpolitische Lage des Landes erschwerte die Arbeit zusätzlich: „Man ist völlig auf sich selbst angewiesen.“

Dennoch: Als der Ausgräber 1998 in Zafar begann, war das Reich von Himyar im besten Fall ein Thema für die Philologen. Aber die vorislamischen Texte sagten nichts aus über die Städte und die Kultur des Himyar-Reichs. Seitdem hat Yule „eine blühende Kunstindustrie aufgedeckt, von der niemand zuvor etwas geahnt hatte“. Er entdeckte die frühesten Beweise für Juden in Altsüdarabien und die einzige erhaltene christliche Statue.

Himyar lag immer im Schatten des sabäischen Reichs, das mit seiner „Königin von Saba“ im geschichtlichen Bewusstsein Fuß fasste. Die Königin hat wohl nie existiert, wurde aber durch Erwähnungen in Bibel und Koran nachhaltig lebendig.

Die ersten Spuren der Himyar-Stämme reichen bis ins zweite Jahrhundert v. Chr. zurück. Die isolierte Lage, harte Lebensbedingungen und die zerklüftete Landschaft behinderten lange den Zusammenschluss zu einem Reich. Nach langwierigen Kämpfen gegen das Reich von Saba und andere rivalisierende Stämme etablierte sich das Himyar-Reich. Von etwa 270 bis 525 n. Chr. wird die „Reichszeit“ angesetzt. Auf dem Höhepunkt seiner Macht dominierte Himyar den Großteil der arabischen Halbinsel. Es kontrollierte den Handel mit dem sündhaft teuren, weil hoch begehrten Weihrauch ins Mittelmeergebiet und die Seeverbindungen von dort über das Rote Meer Richtung Indien.

Himyar wurde reich, die Könige befestigten ihre Residenzstadt Zafar und bauten mehrere offenbar prunkvolle Paläste und Tempel. Weiträumige Terrassierungen der Berghänge optimierten die Landwirtschaft. Zwei Staudämme sicherten bei Zafar die Bewässerung zwischen den Monsunregen. Im Staudammbau waren die alten Südaraber Meister, der Staudamm nahe der sabäischen Hauptstadt Marib ist weltbekannt, sein Zerfall wird sogar im Koran erwähnt. Paul Yule nennt das Himyar-Reich eine „Weltmacht“.

Das mag ein wenig hoch gegriffen sein, aber Himyar war überraschend eng in die machtpolitischen Ränke der damaligen Welt – Persien, Vorderer Orient, Ägypten, Rom – eingebunden. Zwei Dinge stechen besonders hervor: Himyars kriegerische Auseinandersetzungen mit Äthiopien und die heftigen Wirren beim Vormarsch der monotheistischen Religionen, speziell des Juden- und Christentums. Dabei gab es religionswissenschaftlich hochinteressante Mischformen – später auch mit dem Islam. Spätestens um etwa 350 n. Chr. hat die jüdische Religion in Himyar den Polytheismus abgelöst. Zwei Auslöser werden in der Wissenschaft diskutiert: Die herrschende Schicht wollte sich dadurch von ihrer Umgebung absetzen oder jüdische Flüchtlinge hatten in Südarabien eine neue Heimat gefunden, nachdem die Römer ihren Tempel in Jerusalem endgültig zerstört hatten.

Jedenfalls war die Annahme jüdischer Lebensart eine Reaktion auf die Christianisierung Äthiopiens. Was zunächst abwegig erscheint, beleuchten zwei wenig bekannte Tatsachen: Schon das Reich von Saba unterhielt florierende Kontakte zu Äthiopien, eventuell sogar in Form einer Kolonie. Und das äthiopische „Reich von Aksum“ war das erste Land, in dem das Christentum Staatsreligion wurde. Über die Gründe der sabäisch-äthiopischen Allianz über das Rote Meer hinweg ist wenig bekannt. Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) geht dieser Frage seit drei Jahren mit Grabungen in Äthiopien nach.

Im „jüdischen“ Himyar gab es eine starke christliche Minderheit, im „christlichen“ Aksum eine jüdische. Die Gegensätze wurden in beiden Ländern intern wie außenpolitisch mit großer Heftigkeit ausgefochten. 518 n. Chr. marschierten die Aksumiter zum ersten Mal in Himyar ein, der Krieg von 523 bis 525 n. Chr. besiegelte das Schicksal des arabischen Reichs, 531 wurde der erste christliche – und äthiopische – König in Zafar inthronisiert. Himyar hatte als eigenständiger arabischer Staat aufgehört zu existieren. Südarabien aber weckte die Begehrlichkeiten der Mächte weit im Norden: Das christliche Ostrom und die persische Sassaniden-Dynastie wollten die Pforte für die Seefahrt nach Indien gern unter ihrer Kontrolle haben. Fazit: 597 n.Chr. wird Südarabien sassanidische Provinz und versinkt in der Geschichtslosigkeit.

Erst 1970 öffnete sich der heutige Jemen für Archäologen. Das DAI unterhält als einzige ausländische Institution eine feste Dependance im Jemen, die maßgeblich an Erforschung und Restaurierung altarabischer Stätten beteiligt ist. Die Universität Heidelberg startete ihr Engagement in der Region in den achtziger Jahren und Paul Yule gräbt sich nun seit 1998 durch die Steinwüste von Zafar. Er deckte rund 400 Gebäudereste auf und verfolgte den Verlauf der vier Kilometer langen Stadtmauer, die mit rund 1,5 Metern Tiefe erstaunlich schwach war.

Die vielen Relieffragmente in den Ruinen deuten auf eine elaborierte Architektur hin: Zusammen mit den zahlreichen Gräbern, Brunnen und den beiden Staudammanlagen belegen die Ausgrabungen ein pulsierendes Zentrum mit geschätzten 25 000 Einwohnern. Die Grabungskampagne 2008 brachte den spektakulärsten Fund: Beim Freilegen einer Großarchitektur kamen Wandfriese von Sphingen, Löwen und Steinböcken zum Vorschein – und ein Basaltrelief. Das porträtiert einen Mann mit Pflanze und Stab in den Händen und einem Schultergurt mit Schwert auf dem Rücken. Der Mann trägt eine aufwendige Krone und ein Brokatgewand. Yule interpretiert die 1,70 Meter hohe Halbplastik als König und „einzige erhaltene christliche Statue“.

Neben den bekannten schriftlichen Belegen für eine jüdische Kultur fand Yule mögliche jüdische Taufbecken und einen Siegelring mit aramäischer Inschrift. Die datieren jüdische Präsenz in Arabien deutlich früher, als bislang angenommen.

Die Dokumentation der Reliefbruchstücke wird Zeit brauchen, über 200 kürzlich entdeckte Inschriften harren noch der Entzifferung. Arbeit genug für etliche Jahre am Schreibtisch. Als letztes ausländisches Archäologenteam haben die Heidelberger jetzt den Jemen aus Sicherheitsgründen verlassen. Nur das DAI ist weiter in der unruhigen Region präsent.

Zur Startseite