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© dpa

Archäologie: Umstrittenes Inka-Erbe

Ein Mythos, viele Entdecker: Hiram Bingham war nicht der erste Forscher auf dem Machu Picchu.

„Dutzende von Gebäuden, Tempel, Inka-Paläste! Niemals habe ich so auserlesen gebaute Mauern gesehen, so prachtvoll behauene Monolithe.“ So notierte Hiram Bingham am 24. Juni 1911 eine der größten archäologischen Entdeckungen in sein Expeditionstagebuch: Der Archäologieprofessor der nordamerikanischen Yale-Universität war an der Hand eines Indio-Jungen in die Ruinen von Machu Picchu gestolpert. Seitdem gilt er als Entdecker der „verlorenen Stadt“. Jetzt wird an seinem Renommee gekratzt.

Seit 1968 steht die grandiose Stätte in 2500 Meter Höhe auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes. Das Ensemble aus dachlosen Steinhäusern, Ackerbau-Terrassen, endlosen Treppen, glatten Granitblöcken und einer ausgefeilten Drainage mitten in der Wolken- und Nebelwelt der umgebenden Dreitausender übt eine Faszination aus, der sich kaum ein Besucher entziehen kann.

Nach 400 Jahren Dornröschenschlaf, so der Mythos, hatte Bingham ein Mysterium aus Perus Vorzeit ins Heute geholt. Nach dem ersten Besuch folgten zwei weitere Expeditionen. Dann versiegte das wissenschaftliche Interesse an der Stadt, umso mehr gedieh der Mythos: Machu Picchu wurde zur letzten Zuflucht des Inka – wie der Titel des Königs in der gleichnamigen Kultur lautete – vor den spanischen Eroberern stilisiert. Dabei ist nicht einmal sicher, ob der gottgleiche Sohn der Sonne jemals seinen Fuß in das Bergnest gesetzt hat. Heute wird Machu Picchu als einer von mehreren Landsitzen des Inka angesehen.

Hiram Bingham wirkte fleißig mit an der Legende von der verlorenen Stadt. Immerhin so erfolgreich, dass er als Vorbild für den Hollywood-Archäologen Indiana Jones gilt, dessen Abenteuer kürzlich wieder Kinosäle füllten. Jetzt kochte in der amerikanischen Presse eine Kampagne hoch, die dem Yale-Professor die Ent decker-Lorbeeren absprechen will.

Natürlich kannten die Hirten des Rio-Urubamba-Tales den verwunschenen Ort hoch in den Bergen immer – sie führten Bingham schließlich dorthin. Nach einigen Berichten lebten dort oben in den Anden sogar einzelne Familien. Spanische Verwaltungsakten belegen zudem, dass das Gebiet um den Berg Machu Picchu schon kurz nach der Eroberung des Inka-Imperiums mehrfach gekauft und wieder verkauft wurde.

Nach einem Notarprotokoll von 1776 wurden die Ländereien um den Machu-Picchu „von Doña Manuela Almirón y Villegas, Witwe des Don Mendo y Valdes, den Brüdern Don Pedro und Don Antonio Ochoa ohne Geräte, Tiere und ohne Häuser frei von Gebühr, Bürgschaft, Hypothek“ für 350 Pesos verkauft. Die Besitzer werden das Gelände nie besichtigt haben. Der lächerliche Preis verrät zudem, dass die Grundstücke landwirtschaftlich unattraktiv waren.

Aber Bingham hatte auch archäologisch interessierte Vorgänger: 1875 erkundete der Abenteuerreisende Charles Wiener im Auftrag des französischen Unterrichts ministeriums zwei Jahre lang das ehemalige Inka-Reich, verschleppte 4000 archäologische Fundstücke nach Paris und erwähnte in seinen Berichten auch den Machu Picchu. Seine Karten von der Gegend dürften Bingham bekannt gewesen sein. 1894 ließ sich der peruanische Forscher Bejar Ugarte von einem Einheimischen durch die Bergwildnis der Machu Picchu-Region führen. Machu Picchu war zwar eine verlassene, aber nie eine verlorene Stadt.

Die „International Herald Tribune“ brachte jetzt einen neuen Namen in die Diskussion um den Erstentdecker: Der deutsche Ingenieur und Abenteurer Augusto Berns soll bereits in den Jahren um 1860 Ländereien am Machu Picchu erworben und dort ein Sägewerk errichtet haben. Die peruanische Historikerin Marina Mould de Pease fand ausgerechnet im Archiv der Yale-Universität amtliche Dokumente aus dem Jahr 1887, nach denen Berns Funde aus der Region ausführen durfte. Der Holzreichtum wird es dabei nicht gewesen sein, der Berns interessierte. Die Zeitung zitiert den Geografen Paolo Greer, der Details über Berns Wirken beisteuert. Demnach suchte der nach Investoren für angebliche Gold- und Silberminen in der Gegend. Seine Claims waren wertlos, so Greer, „aber er verbrachte Jahre damit, die Inka-Stätten zu durchforschen.“ Dass er dabei die vorkolumbianischen Ruinenorte auch ausplünderte, steht für die Herald Tribune außer Frage.

Die Arbeiten des amerikanischen Forschers Hiram Bingham dagegen sind dokumentiert und zu besichtigen. Sie rufen unterschiedliche Reaktionen hervor: Während Wohlwollende ihm uneingeschränkt das Verdienst zuweisen, Machu Picchu für die Wissenschaft entdeckt zu haben, schmähen andere ihn als Räuber und Zerstörer. Tatsächlich besitzt kein Museum in Peru auch nur ein einziges archäologisches Stück aus Machu Picchu. Bingham hat alles, was er 1911 bis 1913 in der mythischen Stätte auf dem Berg fand, kistenweise in die USA verfrachtet. Der peruanische Archäologe Luis E. Valcárel: „Wenn es den Spaniern nicht gelang, Machu Picchu zu schleifen, so taten das die Nordamerikaner an ihrer Stelle. Bingham vergaß nicht einen einzigen Schädel.“ Im Peabody Museum der Yale-Universität ist das Inventar von Machu Picchu zu besichtigen. Die Peruaner fordern seit Jahren die Rückgabe – bislang vergeblich.

Der wissenschaftliche Ertrag der Funde ist somit gering, da keine Zusammenhänge hergestellt werden können. Außer einigen bauforscherischen Aktivitäten hat eine wissenschaftliche Ergründung des Ortes nicht stattgefunden. Nicht einmal das Baujahr ist eindeutig bestimmt. Heute beschränkt man sich auf Erhalt und Restaurierung, damit der einzigartige Ort nicht durch den Ansturm der Touristen untergeht, die den Mythos der „verlorenen Stadt“ erleben wollen.

Machu Picchu war für Hiram Bingham ohnehin nur ein Nebenprodukt, er suchte etwas anderes. Er wollte die aus den schriftlichen Quellen namentlich bekannten, aber verschwundenen Inka-Orte Vilcabamba la Vieja und Viticos finden. Vilcabamba sollte die alles überragende heilige Stadt der Inka gewesen sein. Bingham fand sie nich. Sie wurde 1964 entdeckt und erwies sich als unbedeutender als Machu Picchu. Viticos war nach den Berichten die letzte Verteidigungsbastion des Inka – sie wurde bis heute nicht entdeckt.

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