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Rätselhafte Kreise. 3-D-Rekonstruktion der Steinstrukturen.

© Xavier Muth, Pascal Mora

Planvolle Konstruktion: Die Baumeister unter den Neandertalern

Bereits vor 176 000 Jahren errichteten Neandertaler in einer Tropfsteinhöhle Steinkreise. Wozu sie dienten, bleibt allerdings ein Rätsel.

Mehr als zwei Tonnen wiegen die etwa 400 Tropfsteine, aus denen Neandertaler vor Jahrtausenden in der Bruniquel-Höhle im Südwesten des heutigen Frankreich ringförmige Strukturen gebaut haben. Das 6,7 Meter lange und 4,5 Meter breite Oval und mehrere kleinere Kreise tief im Inneren der Höhle bieten einen seltenen Einblick in ihre Welt. Denn von diesen engen Verwandten des modernen Menschen ist sonst nicht viel mehr übrig als Knochen, Werkzeuge und Klingen.

Bei der Hälfte der Tropfsteine hatten die Neandertaler Spitzen und Enden abgebrochen, nicht einmal jeder zwanzigste Tropfstein war komplett, berichtet ein Team um Jacques Jaubert von der Universität in Bordeaux im Fachblatt „Nature“. Offenbar hatten die Konstrukteure Wert auf einheitliche Bausteine mit einer Länge von rund 30 Zentimetern gelegt. Bei den kleineren Strukturen stapelten sie bis zu vier Lagen übereinander. 123 Tropfsteine sind von Feuern geschwärzt oder gerötet, ein Bärenknochen ist stark verkohlt.

Die Kalkschichten verraten das Alter der Konstruktion

Die Fundstätte wird seit 1990 untersucht, damals hatten Forscher einen Zugang zur Höhle gegraben. Sie erkannten bald, dass Steinzeit- oder Frühmenschen die planvolle Konstruktion im stockdunklen Teil der Höhle errichtet hatten. Doch wer genau? Das Alter der verkohlten Knochen betrug laut Radiokarbon-Methode mehr als 47 600 Jahre. Ein höheres Alter kann diese Methode kaum bestimmen. Die Angabe reichte jedoch als Hinweis auf die Neandertaler. Anders als Homo sapiens hatten sie damals in Westeuropa bereits Spuren hinterlassen.

Die nun veröffentlichte Analyse beruht auf einer anderen Methode: Als die Neandertaler die Höhle verließen, tropfte von der Decke weiterhin Kalkwasser und überzog die Strukturen und verbrannten Knochen langsam mit einer Kalkschicht. Das Alter der Schichten direkt darunter und darüber ermittelten Jacques Jaubert und seine Kollegen nun mit der Uran-Thorium-Datierung. Demnach hatten sich die Baumeister vor rund 176 000 Jahren ans Werk gemacht – mitten in einer Eiszeit, allerdings in einer milderen Epoche.

Dienten die Kreise rituellen Zwecken?

Der Zweck der Konstruktionen bleibt dennoch im Dunkeln. Vielleicht hatten die Neandertaler mit den Tropfsteinen verschiedene Bereiche für Kochen, Schlafen und Werkstatt voneinander abgetrennt und mit den Feuern für Licht und Wärme gesorgt? Oder die Strukturen dienten rituellen Zwecken? „Wenn sie eine symbolische Bedeutung hatten, ist es eine echte Herausforderung, den Zweck zu klären“, meint Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Er erläutert die Schwierigkeiten mit einem Beispiel: Hierzulande weiß jedes Kind, dass ein rundes, rotes Schild mit einem weißen Querbalken „Einfahrt verboten“ bedeutet. Ein Neandertaler könnte mit dem Verbotsschild vermutlich wenig anfangen. Genauso geht es uns vermutlich mit ihren Bauwerken.

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