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Zukunftsspiele: Kannst Du eine Kreislaufwirtschaft für Handys aufbauen?

© FOTO DAVID VON BECKER

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Berlin Science Week 2024: Mentales Zeitreisen in die Welt von morgen

Was würden wir nicht alles geben für einen Blick in die Zukunft. Wie leben wir in 20 Jahren? Was wird aus meinen Ideen und Träumen? Über Zukunftsbilder und Zukünfte

Von Reinhold Popp

Stand:

Die einzigartige Fähigkeit der Gattung Mensch zum Rückblick auf die Vergangenheit sowie zur Vorausschau auf die Zukunft wird in den Neurowissenschaften sehr treffend als „mentales Zeitreisen“ bezeichnet. Es geht dabei um Zukunftsbilder (images of the future) und Zukünfte (futures). Der Begriff „Zukunftsbild“ kann dabei leicht missverstanden werden. Denn das deutsche Wort „Bild“ kann sich sowohl auf Fotos, Gemälde oder Grafiken als auch auf Ideen, Meinungen oder Vorstellungen beziehen. In der englischen Sprache wird dagegen zwischen „picture“ und „image“ klar unterschieden. 

Missverständlich ist auch der Begriff „Zukunft“. Wörtlich genommen suggeriert dieser Begriff nämlich, dass die Lebensbedingungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte alternativlos auf uns „zu-kommen“. Moderne Zukunftsbilder gehen jedoch davon aus, dass wir vorausschauend, vorausplanend und vorsorgend auf die Zukunft zugehen. Zu diesem gestaltungsorientierten Zukunftsbild passt der vom lateinischen Wort „futurum“ (= das Werdende) abgeleitete englische Begriff „future“ viel besser. 

Viele Kinder sorgen sich um ihre Zukunft. Im Futurium Berlin finden sie Räume zum Ausprobieren.

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Mit Blick auf die Vielfalt der zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten wird in der englischen Sprache häufig der Plural „futures“ verwendet. In der deutschen Sprache ist der vergleichbare Begriff „Zukünfte“ leider unüblich.  

Meinungsbilder über Zukünfte sind selten einheitlich, sondern häufig kontrovers

Seit Jahrtausenden ist die Zukunft eine Projektionsfläche für Ängste, Hoffnungen und Pläne. Zur Verringerung der Ängste, zur Bekräftigung der Hoffnungen und zur Optimierung der Planungskompetenz wurde in der Menschheitsgeschichte eine beachtliche Menge von Methoden entwickelt. Man denke etwa an Orakel, Prophetie, Utopie oder politische, wirtschaftliche und militärische Strategieentwicklung.

Auch im heutigen Alltagsleben spielen Zukunftsbilder bei fast allen persönlichen Entscheidungen eine wichtige Rolle. So muss etwa bei der Partnerwahl geklärt werden, ob und wie sich zwei Menschen eine gemeinsam gestaltete Zukunft vorstellen können. Auch die Frage, wo und wie wir wohnen wollen, erfordert eine Vielzahl von zukunftsbezogenen Überlegungen. Ebenso denken die meisten Menschen bei der Planung der Berufs- und Bildungslaufbahn über die zukünftig erforderlichen Kompetenzen nach. Immer wichtiger wird auch die Vorsorge für die finanziellen Rahmenbedingungen im Alter. 

Ein Bild von übermorgen: Die Science Week ist ein Treffpunkt für alle, die sich inspirieren lassen wollen.

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Diese individuelle Vorausschau wird durch die von Medien, Bildungsinstitutionen, politischen Parteien und Verbänden sowie von Familien und Freunden vermittelte Vielfalt der kollektiven Zukunftsbilder maßgeblich beeinflusst. Diese Meinungsbilder über die Zukünfte der Arbeitswelt, der Digitalisierung, der Mobilität, der Demografie, der Migration, des Klimawandels und des sozialen Zusammenhalts sind selten einheitlich, sondern häufig kontrovers. Besonders konfliktträchtig sind die von sehr viel Zukunftsangst durchdrungenen Debatten in den Spannungsfeldern zwischen Ökologie, Ökonomie und sozialem Zusammenhalt sowie zwischen Freiheit und Sicherheit. Beeinflusst von dieser bunten Mischung aus Meinungen über morgen und übermorgen sowie geprägt von den Wegen und Irrwegen der eigenen Lebensgeschichte checkt jedes Individuum seine Entwicklungspotenziale und konstruiert jeweils lebensstiltypische Zukunftsbilder.

Bei diesen schwierigen Prozessen der Vorausschau, Vorsorge und Vorausplanung verbinden sich rationale Analysen und Prognosen mit der Dynamik des menschlichen Gefühlslebens, also mit Zukunftsängsten, unbewussten Motiven, moralischen Haltungen, Wünschen, Sehnsüchten, Hoffnungen und Zukunftsträumen. In diesem Mix aus Informationen und Emotionen zeigt sich, dass Gestaltungswille, Vertrauen und Zuversicht die Entwicklung innovativer Zukunftsbilder fördern, während zu viel Angst die Innovationsfähigkeit blockiert.

Für die Vielfalt des Zukunftsdenkens gibt es keine Grenzen. Die Kreativität des zukunftsbezogenen Handelns sollte sich nur durch die Regeln des Rechtsstaats bremsen lassen.

Reinhold Popp

Aber nicht nur im individuellen Leben, sondern auch im institutionellen Alltag der Politik und der Wirtschaft ist das Zukunftsdenken fest verankert, nämlich in den Leitbildern, Plänen und Programmen von Unternehmen, politischen Parteien und Regierungen.

In unserer Multioptionsgesellschaft gibt es keine Instanz für die verbindliche Definition der absoluten Wahrheit und den daraus ableitbaren einzig richtigen Weg in die Zukunft. Für die Vielfalt des Zukunftsdenkens gibt es keine Grenzen. Denn Gedanken sind frei. Bei der öffentlichen Kommunikation von Zukunftsbildern sollten wir uns über die demokratische Vielfalt der Sichtweisen und Sichtweiten freuen. Und die Kreativität des zukunftsbezogenen Handelns sollte sich nur durch die Regeln des Rechtsstaats bremsen lassen.

Plausible Zukunftsbilder statt Prognosen über künftige Entwicklungen

Im allergrößten Teil der Menschheitsgeschichte dominierte der Glaube an eine von göttlichen Mächten gesteuerte Zukunft. Im Zusammenhang mit den vielfältigen Innovationen der Neuzeit trat die Vorstellung in den Vordergrund, dass die Zukunft planbar und gestaltbar ist. In diesem Kontext wurden die rationale Wissenschaft sowie die Produktion von Prognosen immer wichtiger. Präzise Prognosen sind jedoch nur dann möglich, wenn man bei einem Forschungsgegenstand alle Faktoren und deren Wechselwirkungen kennt. Deshalb lassen sich etwa die Konstellationen der Planeten langfristig vorhersagen. Wetterprognosen treffen dagegen nur kurzfristig zu, weil mehrere Wechselwirkungen nicht genau genug bekannt sind.

Dr. Reinhold Popp ist Professor für human- und sozialwissenschaftliche Zukunfts- und Innovationsforschung an der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien, Gastwissenschaftler am Institut Futur der FU Berlin, Autor sowie Co-Herausgeber der Fachzeitschrift „European Journal of Futures Research“.

© FOTO REINHOLD POPP;

Das Wetter ist ein sehr komplexes und dynamisches System, aber die Systeme der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik sind um ein Vielfaches komplexer und dynamischer. Deshalb kann die Wissenschaft im Hinblick auf gesellschaftliche, ökonomische, technische und politische Entwicklungen niemals prognostizieren, wie die Zukunft wirklich wird. Aber aus dem interdisziplinären Rückblick auf historische Entwicklungen, aus der Analyse der gegenwärtigen Ausprägung dieser Prozesse sowie aus der wissenschaftlich fundierten Zusammenschau einer Vielzahl von Trends und Gegentrends lassen sich plausible Zukunftsbilder ableiten. Da es bei dieser futurologischen Vorausschau meist mehrere unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten gibt, werden die Ergebnisse prospektiver Forschungsprojekte häufig in Form von Szenarien zusammengefasst. 

Die seriöse Wissenschaft distanziert sich selbstverständlich sowohl vom radikalen Pessimismus der zeitgeistigen Weltuntergangs-Propheten als auch vom undifferenzierten alles-wird-gut-Optimismus der wissenschaftsfernen Zukunftsgurus.

Die seriöse Wissenschaft distanziert sich selbstverständlich sowohl vom radikalen Pessimismus als auch vom undifferenzierten alles-wird-gut-Optimismus.

Reinhold Popp

Die Vorausschau auf zukünftige Entwicklungen spielt in nahezu allen wissenschaftlichen Disziplinen eine große Rolle. Einige Forschungsrichtungen widmen sich sogar ausschließlich beziehungsweise überwiegend der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen, etwa die Innovationsforschung, die Risikoforschung, die Technikfolgenforschung, die Trendforschung oder die Zukunftsforschung (Futures Research).

Wissenschaftlich fundierte Zukunftsbilder erleichtern den Individuen und Institutionen die Orientierung im Gewirr der komplexen Wandlungsprozesse, schärfen den Blick auf zukünftige Chancen und Risiken und können Gestaltungsoptionen für das zukünftige Spiel des Lebens aufzeigen.

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