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Digitalisierung im Gesundheitswesen: : Von der Sackgasse auf den Health-Tech-Highway?
Es ist beinahe schon eine Tradition: Bereits zum dritten Mal lud der Tagesspiegel in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse zum „Fachforum Gesundheit“ ein. Verantwortliche aus Politik, Praxis und Forschung, von Kostenträgern, Fachverbänden und der Unternehmenswelt stecken einen Nachmittag lang die Köpfe zusammen. Eines war dieses Jahr allerdings anders: Die elektronische Patientenakte (ePA) ist da! Was vielleicht trivial klingt, ist für die Gesundheitsversorgung in Deutschland ein echter Meilenstein. „Wir haben in den letzten Monaten ePA-Akten für über 70 Millionen Versicherte angelegt – das ist eines der größten IT-Projekte in ganz Europa“, so Gematik-Geschäftsführerin Brenya Adjei.
Stand:
Grund zum Feiern also? Thomas Ballast aus dem Vorstand der Techniker Krankenkasse ist zwiegespalten – die digitale Gesundheitsversorgung in Deutschland bleibe „fragmentiert“. Es ist ein Flickenteppich – hier blitzt etwas digitaler Fortschritt auf, dazwischen aber nach wie vor: Faxe, Briefe, Papier. Das bestätigt auch der Krankenhausarzt Dr. Nibras Naami: „Es kommt immer noch vor, dass Therapiepläne für krebskranke Kinder nur auf dem Papier existieren. Wenn die weg sind, sind sie weg.“
Weitere Themen, Trends und Meinungen, die beim Tagesspiegel diskutiert wurden, finden Sie hier:
Thomas Ballast
stellvertretender Vorsitzender des Vorstands, Techniker Krankenkasse:
„Wir stecken mitten in einer technologischen Revolution: Generative KI und Large-Language-Modelle eröffnen uns ganz neue Möglichkeiten. Wenn die ePA in der breiten Bevölkerung ankommt, dann bietet sich hier ein enormes Potenzial. Aber: Nur wenn wir viele, strukturierte und aktuelle Daten haben, können wir einen Mehrwert für Patientinnen und Patienten schaffen – dann etwa, wenn wir per Datenanalyse Frühwarnzeichen für kommende Erkrankungen identifizieren und unsere Versicherten entsprechend informieren und unterstützen können.“
Sebastian Zilch
Unterabteilungsleiter „Digitale Versorgung, Gematik“, Bundesministerium für Gesundheit:
„Die ePA ist das Herzstück eines digitalen Gesundheitsökosystems. Das Vertrauen der Patienten in die ePA ist groß: Nur 5 Prozent wollen sie nicht nutzen. Jetzt gilt es, ihre Nutzbarkeit zu verbessern. Und: Wir müssen Daten sicher nutzbar machen, um Erkenntnisse für die Versorgung zu erlangen und den Forschungsstandort Deutschland attraktiv zu halten. Wir haben ein gutes Stück aufgeholt, sind aber noch nicht am Ziel und haben auch keine Zeit, uns auszuruhen.“

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Valentina Busik
Assistenzärztin, Dermatologie, Uniklinik Gießen und frisch gekürte Miss Germany:
„Ich würde mir wünschen, mit KI-Avataren zu arbeiten, etwa bei der routinemäßigen Aufklärung vor einer OP. So bliebe mir mehr Zeit für die individuellen Fragen meiner Patientinnen und Patienten. Dazu bräuchte es allerdings erst einmal die technische Infrastruktur. Ich habe beispielsweise im letzten Sommer Tablets bestellt – und sie sind leider immer noch nicht da!“
Dr. Sören Schulz
Hartmannbund, Arzt in Weiterbildung, Klinik im Theodor-Wenzel-Werk Berlin:
„Ich verbringe immer noch 40 Prozent meiner Arbeitszeit vor dem PC. Das ist eindeutig zu viel. Im Hinblick auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens brauchen wir einen echten Mentalitätswandel. Mein Eindruck ist, dass wir hier jetzt endlich an Fahrt aufnehmen.“
Simon Blaschke
Gerontologe, Leiter des Berliner Landeskompetenzzentrums Pflege 4.0:
„Ein Drittel der Pflegekräfte scheiden in den kommenden Jahren altersbedingt aus, der Nachwuchs- und Fachkräftemangel schlägt dann voll durch. Digitale Helfer, etwa Roboter, die Wäsche wegfahren, oder Exoskelette, die das Personal beim Heben unterstützen, sind daher unglaublich wichtig. Ebenso die Unterstützung der pflegenden Angehörigen, denn je länger Pflegebedürftige in ihrem häuslichen Umfeld bleiben können, desto eher bekommen wir den Fachkräftemangel gestemmt.“

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Dr. Sophia Neisinger
Assistenzärztin, Charité:
„Wir haben eine App für Hauterkrankungen entwickelt, die mittlerweile in 38 Ländern verwendet wird. Aber: Wer digitale Tools im Klinikalltag einsetzt, sollte bedenken, dass die Mitarbeitenden nicht alle Digital Natives sind – und daher braucht es entsprechende Schulungen.“
PD Dr. Maike Henningsen
Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Frauenmedizin am Bundesplatz, Berlin:
„Ich überlege, für meine Praxis einen Self-Check-In-Terminal anzuschaffen, damit bei den Sprechstundenhilfen mehr Zeit für die Patientinnen bleibt. Leider sind die vorhandenen Lösungen noch nicht überzeugend. Ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam mit der Industrie Prototypen entwickeln könnten.“
Dr. Nibras Naami
Oberarzt Kinder-Hämatologie & -Onkologie, Leiter des Westdeutschen Kinderhämatologischen Zentrums Witten-Herdecke und Influencer („Hand, Fuß, Mund“):
„Ich bin nicht nur Arzt, sondern auch Influencer. Mich bestürzt, wie viele Falschinformationen in den sozialen Medien kursieren. Wir sollten stärker darauf achten, wie Informationen zu Gesundheitsthemen distribuiert werden.“

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Dr. Theresa Ahrens
Leiterin der Abteilung Digital Health Engineering, Fraunhofer IESE:
„Bei digitalen Anwendungen muss die User Experience von Anfang an mitgedacht werden. Das kostet viel Geld, ist aber der Startpunkt dafür, die Technik richtig aufzubauen!“
Michaela Schröder
Leiterin, Geschäftsbereich Verbraucherpolitik beim Verbraucherzentrale Bundesverband:
„Zum e-Rezept bekommen wir als Verbraucherschützer keinerlei Beschwerden – das ist beeindruckend! Mit Blick auf die ePA begrüßen wir die Idee, dass Nutzende auch selbst Daten eintragen können, etwa über eine Smartwatch.“
Brenya Adjei
Geschäftsführerin, Gematik:
„Als gematik haben wir natürlich auch mit Herausforderungen zu tun: Die ePA soll sicher sein, sie soll datenschutzkonform sein und es sollen alle gut mit ihr arbeiten können. Das zusammenzubringen ist wichtig und unsere Rolle als gematik. Lösungen dafür entwickeln wir gemeinsam mit allen Beteiligten. Die gematik hat dafür ein gutes SetUp – und das brauchen wir auch, um die anstehenden Digitalisierungsthemen anzugehen und auch unsere Anwendungen wie bspw. aktuell die ePA in die Versorgung zu bringen.“