
© Julia Leeb
Gesichter der Menschlichkeit: Bilder als Zeugen
Es gibt Krisengebiete, die von der Welt abgeschlossen sind. Sperrgebiete, die als zu gefährlich selbst für Kriegsreporter*innen gelten. Julia Leeb schafft es trotzdem, aus diesen Gebieten zu berichten.
Stand:
Seit fast 15 Jahren hat es sich die Fotojournalistin zur Aufgabe gemacht, Alltagsbilder von den dunkelsten Orten der Welt festzuhalten. Und die Welt am Leid der Menschen teilhaben zu lassen, die dort leben. Am Leid, aber auch an der Zuversicht und gegenseitigen Hilfe im Angesicht größter Not. Ihr Buch „Menschlichkeit in Zeiten der Angst“, eine Mischung aus Bildband, Reportagen und Autobiografie, schaffte es sofort auf die deutschen Bestsellerlisten und ist heute aktueller denn je.
Julia Leeb sucht nicht die Gefahr. Sie mag nicht das Adrenalin, das andere Kriegsreporter*innen oft bei ihrer Arbeit antreibt. Warum sie trotzdem immer wieder ihr Leben aufs Spiel setzt, erklärt sie ohne jedes Pathos: „Wenn ein Gebiet auf der Welt abgeschottet ist, sind auch die Menschen dort abgeschottet und ihre Machthaber können ohne Zeugen Unrecht begehen. Unrecht braucht Zeu- gen, sonst lebt es immer weiter.“
Unrecht braucht Zeugen, sonst lebt es immer weiter.
Julia Leeb
Ihre Bilder bezeugen schwer bewaffnete Kindersoldaten, am Wegrand gebärende Frauen und erschöpfte Lebensretter. Alltagsheld*innen, die in unseren Nachrichten meist fehlen. „Aber diese Menschen sind es, die das Leben am Laufen halten, nicht die Männer, die 3000 Kilometer weiter mit Krawatte am Verhandlungstisch sitzen. Menschen vor Ort schaffen es, dass Schulen nicht geschlossen werden. Und wenn sie geschlossen werden, schaffen sie, dass im Keller weiter unterrichtet wird. Sie zeigen den Kindern, dass es Hoffnung gibt.“
Sudan

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Oft sind es Frauen, die das meiste Leid ertragen, aber auch die meiste Zuversicht schenken. Etwa Mama Masika, die in einem Kriegsgebiet im Kongo schwerst misshandelt und vergewaltigt wurde und dann selbst ein Heim für Vergewaltigungsopfer und ihre Kinder baute. „Ich porträtiere oft Frauen, die keine Opfer mehr sein wollen. Manche geben sich Kampfnamen und schließen mit ihrem früheren Leben ab. Eine absurde Situation, wenn mir zum Beispiel eine stillende Mutter mit Kalaschnikow über der Schulter von ihren Morden erzählt.“
Kongo

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Julia Leeb lebt auf dem Sprung. Meist gibt es für sie nur ein sehr kleines Zeitfenster, um mit ihrer Kamera in ein Sperrgebiet zu gelangen. Manchmal im Laderaum einer Cargo-Maschine oder im Fußraum eines Autos. Es braucht viel Mut, sich dafür wildfremden Menschen anzuvertrauen. Sie sieht das anders: „Ich fühle mich privilegiert, weil ich reden darf, berichten darf, zwei Beine habe und zwei Augen. Wenn es an der Tür klingelt, weiß ich, dass es der Postbote ist. Und nicht die Polizei, die mich mitnimmt und foltert.“
Nordkorea

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Durch ihre Arbeiten ist sie in Ländern wie Syrien, Nordkorea, dem Sudan und selbst den USA auf der schwarzen Liste gelandet. Doch ein Einreiseverbot bringt die Fotojournalistin genauso wenig zum Schweigen wie die beiden Attentate, die sie nur knapp überlebte. „In dem Moment, in dem ich mittendrin stecke, fehlt mir die Außenperspektive. Dann habe ich einen Tunnelblick. Aber ich zahle für meine Arbeit natürlich einen Preis. Ich schlafe schlecht und erwarte nicht, achtzig Jahre alt zu werden.“

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Immer wieder erhält Julia Leeb für ihre Artikel, Bücher und Fernsehbeiträge internationale Auszeichnungen. Oft folgen Spenden, die sie etwa an eine Schule in Somalia weiterleitet, wo Frauen und Mädchen mitten im Kriegsgebiet eine Ausbildung bekommen. Sie nennt dies den Kreislauf des Guten. „Wir haben alle eine unglaubliche Kraft in uns und können entscheiden, sie für das Gute einzusetzen. Mir begegnen immer wieder Menschen, die dieses Gute verkörpern.“
Bewegende Einblicke
Julia Leebs Buch mit Reportagen aus den Krisengebieten der Welt. Suhrkamp, 235 Seiten, 18 Euro
julialeeb.com

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