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Steinige Wege gewohnt

© Dr. Eltje Aderhold

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Humanitäre Hilfe: „Was im Leben wichtig ist“

Seit Jahrzehnten engagiert sich Eltje Aderhold für Menschen in Krisengebieten. Ob bei den Vereinten Nationen oder in den Straßen von Kabul, sie setzt auf vorausschauende Hilfe zur Selbsthilfe 

Stand:

Frau Dr. Aderhold, viele Menschen haben gerade das Gefühl, von humanitären Krisen überrollt zu werden. Geht es Ihnen auch so?

Wir sind heute besser informiert als früher und wissen genau, welches Unglück im letzten Winkel der Welt passiert. Aber ich glaube auch, dass es momentan eine große Zunahme an Krisen gibt – akute Krisen wie in der Ukraine, in Gaza, im Libanon und im Sudan, langanhaltende Krisen wie in Afghanistan und Syrien, aber auch fast vergessene Krisen wie im Kongo und Jemen.

Wie verhindern wir in dieser Welle schlechter Nachrichten, gegen das Leid abzustumpfen? 

Indem wir verstehen, wie unsere Hilfe Menschen unterstützt und Leben rettet. Ob bei einer Hungersnot oder einem Kriegsausbruch – die Vereinten Nationen ermitteln sofort, was an Hilfsmitteln gebraucht wird, ihre Mitgliedsländer melden sich, was sie von diesem Paket übernehmen können, um mit NGOs und Helfern vor Ort ihren Einsatz zu leisten: die Versorgung mit Wasser und sanitären Anlagen, ein Dach über dem Kopf, Nahrung, aber auch Schutz, besonders für Mädchen und Frauen. Das ist schnelle Hilfe zur Selbsthilfe, um die Menschen wieder auf die Beine zu stellen.

Wir Deutschen geben gern, heißt es oft. Stimmt dieses Bild?

Deutschland ist nach den USA und Japan das drittgrößte Geberland der Vereinten Nationen. Hinzu kommt die über die EU geleistete Hilfe. Laut des „Weltweiten Humanitären Überblicks“ sind derzeit 305 Millionen Menschen von humanitären Notlagen betroffen, 190 Millionen sollen mit den aktuellen Hilfsprogrammen für 2025 erreicht werden. Der finanzielle Bedarf dafür liegt bei über 47 Milliarden US Dollar.

Wie können wir als Einzelne den besten Beitrag leisten?

Leider nicht mit Wohlfühlaktionen, bei denen wir unsere abgelegten Mäntel sammeln und mit dem Bus in Krisenregionen fahren, um sie dort abzuwerfen, während ganz andere Dinge gebraucht werden. Auch nicht mit einer Spendenaktion für nur ein Dorf, während die anderen leer ausgehen.

Sondern?

Der beste Weg ist es, dauerhaft eine Hilfsorganisation zu unterstützen. Zum Beispiel das Rote Kreuz oder kirchliche Organisationen wie Caritas oder Diakonie. Wenn sich Menschen an eine NGO binden, dort regelmäßig einen Beitrag leisten und nicht erst abwarten, bis eine Katastrophe passiert, wissen sie, wenn die Bilder in den Nachrichten kommen: „Okay, meine Organisation ist vorbereitet und auf dem Weg. Gut, dass ich dabei bin.“ 

Sie kennen auch kleinere Eigeninitiativen, die wichtige Arbeit leisten

Die „action medeor“ wurde von einem Arzt ins Leben gerufen, zunächst um Medikamente, die bei uns nicht mehr gebraucht werden, in Länder zu liefern, in denen Bedarf besteht. Schnell erkannte er, dass dies nicht der richtige Ansatz ist, und hat umgekehrt geschaut, welche Medikamente vor Ort gebraucht werden. Die ganze Initiative ist in der kleinen Stadt Tönisvorst im Rheinland entstanden, hat viel regionalen Rückhalt und ist heute die „Notapotheke der Welt“.

Welche Geschichten haben Sie selbst in Ihren acht Jahren vor Ort gesammelt?

Da fällt mir sofort eine Polio-Impfinitiative in Afghanistan ein. Wir fuhren mit dem Impf-Team durch die zerstörten Straßen von Kabul. Aus einer der Häuserruinen kam ein bärtiger Mann mit Turban gerannt – ein Schreckmoment. Aber er war ein Vater, der seine Kinder im Arm hatte und uns anstrahlte, weil er so dankbar für ihre Impfung war. Im Jemen am Golf von Aden lernte ich die „Society for Humanitarian Solidarity“ kennen, die nicht nur Erste Hilfe für Flüchtlinge leistet, die aus Afrika übers Meer kommen, sondern auch für eine würdige Beerdigung derer sorgt, die es nicht schaffen und tot an Land gespült werden. Das hat mich sehr bewegt.

Sie schreiben ein Buch über Ihre Erfahrungen und die von 29 Frauen, die sich in der humanitären Hilfe engagieren. Warum nur Frauen?

In den meisten Ländern wird humanitäre Hilfe durch den Katastrophenschutz geleistet und ist militärisch geprägt, also oft männlich dominiert. Klassische Aufgaben sind Brückenbau, einen Brunnen graben, Wasser heranschaffen – harte Tätigkeiten. Mittlerweile sind aber auch immer mehr Soft Skills gefragt. Nach einem Erdbeben in Nepal etwa geht es nicht darum, einem Ortsvorsteher einen Brunnen zu übergeben, sondern eine Wasserversorgung sicherzustellen, die alle berücksichtigt, etwa auch Menschen mit Behinderung. Es geht um intelligente Lösungen, bei denen man den Menschen zuhören muss. Ich habe viele tolle Frauen kennengelernt, die hier die Weichen umstellen.  

Unter Katastrophen-Bedingungen zu arbeiten, ist auch für die Hilfeleistenden eine große Belastung

Aber auch eine Bereicherung, denn man lernt viel über sich selbst. Wenn Sie über längeren Zeitraum von Ihrer gewohnten Kommunikation abgeschnitten sind, keine eigenen vier Wände und keine Privatsphäre haben, sind Sie auf sich selbst geworfen. Beim ersten Einsatz ist das nicht einfach. Dann begreift man, was im Leben eigentlich wichtig ist.  

Was raten Sie Menschen, die über das Spenden hinaus selbst aktiv werden wollen?

Es geht immer in erster Linie um professionelle Hilfe. Darum macht es Sinn, sich etwa beim DRK als Freiwillige*r zu melden oder in einem Sozialkaufhaus auszuhelfen, dessen Erlös an eine NGO geht. Junge Menschen können ein Praktikum bei „Ärzte ohne Grenzen machen“. Dazu braucht es keinen medizinischen Hintergrund. Das Auswärtige Amt finanziert außerdem Programme als beigeordnete Sachverständige für ein Jahr bei der UNO.

Warum sind Sie selbst schon so lange dabei?

Humanitäre Hilfe ist ein Bereich, der einen nicht mehr loslässt. In Situationen, in denen es Menschen sehr schlecht geht, macht die Hilfe sofort einen Unterschied. Aber humanitäre Hilfe ist oft auch dreckige Arbeit. Etwa in Kriegsgebieten, wo man mit Warlords verhandeln muss, die den eigenen Werten zutiefst widersprechen. Manche Menschen sagen: Lasst uns nur denen helfen, die auf der richtigen Seite stehen. Aber das ist keine humanitäre Hilfe. Die muss neutral sein und überall passieren, wo sie gebraucht wird. Davon haben auch wir Deutschen während zweier Weltkriege profitiert.

Humanitäre Hilfe muss neutral sein und überall passieren, wo sie gebraucht wird. Davon haben auch wir Deutschen profitiert.

Eltje Aderhold zu den wichtigsten Grundsätzen der humanitären Hilfe

Eltje Aderhold hat in Bonn in internationalem Recht promoviert, bevor sie für das Auswärtige Amt in der ganzen Welt tätig wurde, u. a. bei den Vereinten Nationen, auf dem Balkan und in Afghanistan – immer wieder mit dem Themenschwerpunkt der humanitären Hilfe. Heute ist Eltje Aderhold die Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in Djidda. 

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