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„Neben der Stromwende: brauchen wir jetzt auch eine Molekülwende“

Die Stromwende braucht dringend eine Ergänzung, um Klimaschutz und Wohlstand erfolgreich gewährleisten zu können. Das fordert Prof. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer beim en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie. Ohne Molekülwende könne es keine umfassende und erfolgreiche Energiewende geben. Doch für viele der notwendigen Investitionen fehlen noch wichtige Voraussetzungen. Das muss sich ändern, denn die Klimaziele lassen kaum noch Zeit. 

Stand:

Herr Küchen, en2X fordert neben der Strom- auch eine Molekülwende. Was genau ist damit gemeint?

Küchen: Es wird zwar, gerade auch in der politischen Diskussion, immer von einer Energiewende gesprochen. Gemeint wurde damit bislang jedoch fast immer nur die Stromwende. Strom macht derzeit jedoch nur wenig mehr als 20 Prozent des Endenergiebedarfs in Deutschland aus, den Rest tragen Moleküle zur Kraft- und Brennstoffversorgung bei. Fossile Energieträger wie Erdgas und Mineralöl machen heute noch den überwiegenden Anteil aus. Darüber hinaus brauchen wir auch CO₂-neutrale Kohlenwasserstoffe für die Chemieindustrie. Eine Stromwende allein reicht darum nicht. Zusätzlich ist eine Molekülwende erforderlich und das bedeutet: CO₂-neutraler Wasserstoff, nachhaltige biogene und synthetische Energieträger müssen verstärkt in den Fokus der Energiewende rücken. 

Wird aber die Elektrifizierung nicht weiter zunehmen? Batteriebetriebene Pkw und Strom-Wärmepumpen könnten den Bedarf an Molekülen doch beispielsweise deutlich reduzieren?

Küchen: Das stimmt. Grüne Moleküle stehen auch nicht in Konkurrenz zum Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung und einer sinnvollen Elektrifizierung in den verschiedenen Sektoren. Es geht vielmehr darum, ergänzend fossile Energieträger und Rohstoffe dort zu ersetzen, wo strombasierte Anwendungen technisch an ihre Grenzen stoßen oder wirtschaftlich nicht sinnvoll sind. Und es zeichnet sich ab, dass auch der Fahrzeugbestand mit Verbrennungsmotoren länger als vielleicht gewünscht vergleichsweise hoch bleibt. Durch höhere Effizienz, zunehmende Elektrifizierung des Straßenverkehrs und eine fortschreitende Wärmewende wird zwar der Bedarf an gasförmigen und flüssigen Energieträgern künftig sinken, er bleibt dennoch signifikant. Dazu kommt noch die stoffliche Nutzung von Kohlenwasserstoffen für die Herstellung beispielsweise von Kunststoffen, Schmierölen oder Bitumen. Mehr als 40 Prozent des heutigen Absatzes von Mineralölprodukten werden auch 2045 noch in Form von Molekülen benötigt. Es könnten auch mehr als 50 Prozent sein, wenn der Umstieg auf E-Antriebe und Wärmepumpen nicht im politisch angestrebten Umfang erfolgt. Das bedeutet in jedem Fall, dass CO2-neutrale Moleküle in sehr großen Mengen benötigt werden.

In welchen Bereichen sehen sie den Bedarf an Kohlenwasserstoffen?

Küchen: Die Luftfahrt und die Schifffahrt sind Verkehrsbereiche, die größtenteils auf flüssige oder gasförmige Energieträger angewiesen bleiben. Es ist nicht absehbar, dass Flugzeuge für die Mittel­ und Langstrecke oder große Container­ und Passagierschiffe batterieelektrisch betrieben werden. Das gilt auch für die Bereiche Landwirtschaft, Feuerwehr, Katastrophenschutz oder das Militär. Landmaschinen, Lösch­ und Bergungsfahrzeuge oder auch Notstromaggregate werden weiterhin flexible und speicherbare Energieträger benötigen. Energiereiche Moleküle werden darüber hinaus für den großen Bestand an Fahrzeugen und Heizungen gebraucht. Trotz fortschreitender Elektrifizierung wird es 2030 bundesweit voraussichtlich noch mehr als 40 Millionen Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor und auch weiterhin mehrere Millionen Heizungen für flüssige oder gasförmige Brennstoffe geben. Auch dort sind Klimaschutzoptionen notwendig. Aber lassen Sie mich bitte noch weitere Aspekt ergänzen, die in der Diskussion leider häufig vergessen werden:

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Welche weiteren Aspekte haben Sie im Blick?

Ich möchte noch Versorgungssicherheit und Resilienz ansprechen – Themen, die erst jetzt wieder mit den Auswirkungen der zunehmenden militärischen Konflikte ins Bewusstsein gerückt sind.

Notwendig sind einfach transport- und speicherfähige flüssige Energieträger für eine resiliente und möglichst flexible Energieversorgung zur Vermeidung von Engpässen und Abhängigkeiten in Krisensituationen. Mit Elektronen ist eine nationale Energiereserve im Umfang von 90 Verbrauchstagen, wie sie heute das Erdölbevorratungsgesetz (ErdölBevG) für Rohöl und Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin verpflichtend vorsieht, nicht realisierbar. Auch deshalb ist zusätzlich zur Stromwende eine Molekülwende erforderlich.

Darüber hinaus gilt: Für ein Stromerzeugungssystem, das zunehmend auf fluktuierenden erneuerbaren Energien wie Sonnenenergie oder Windenergie basiert, sind Wasserstoff und seine Derivate als chemischen Energiespeicher zur Abdeckung von Spitzenlasten und bei nicht ausreichendem Grünstromangebot unverzichtbar. Sie werden bei Bedarf rückverstromt, stabilisieren so das Stromnetz und stärken die Resilienz der Energieversorgung insgesamt.

Und sollte die Elektrifizierung in der Mobilität und der Wärmeversorgung nicht in der gewünschten Geschwindigkeit vorankommen, könnte die mögliche Nutzung erneuerbarer Kraft- und Brennstoffe das Erreichen der Klimaziele absichern.

Gibt es noch weiteren Bedarf neben der Nutzung als Energieträger?

Küchen: Für die chemische Industrie und weitere Industriezweige bleibt die stoffliche Nutzung von Molekülen – insbesondere Kohlenwasserstoffen – auch künftig unverzichtbar. Sie werden als Ein­satzstoffe für die Herstellung einer Vielzahl von Produkten bzw. Vorprodukten benötigt. Wichtige chemische Einsatzstoffe sind beispielsweise Naphtha, Ethylen oder Flüssiggas, die u. a. für die Erzeugung von Kunst­, Schaum­ und Dämmstoffen benötigt werden. Aber auch hochwertiger Schmierstoffe z. B. für Windkraftanlagen oder Elektromotoren bis hin zu Bitumen für den Straßenbau oder für die Abdichtung von Gebäuden werden bislang vor allem aus Erdöl hergestellt und müssen mittel - bis langfristig CO₂-neutral zur Verfügung stehen. 

Stehen dafür denn überhaupt ausreichend grüne Moleküle zur Verfügung? Wo und wie sollen die hergestellt werden?

Küchen: Der Aufbau eines globalen Marktes für Moleküle, speziell für Kohlenwasserstoffe, kann dazu beitragen, eine wettbewerbsfähige Rohstoffversorgung für Wirtschaft und Verbraucher zu gewährleisten. Welche Anteile der benötigten Moleküle letztendlich in Deutschland z. B. aus Biomasse oder erneuerbarem Strom hergestellt und welche Anteile importiert werden, lässt sich derzeit nicht genau vorhersagen. Klar ist jedoch: Deutschland importiert derzeit rund 70 Prozent der genutzten Energie. Das lässt sich durch erneuerbaren Strom aus heimischen Wind- und Solaranlagen bei weitem nicht ersetzen. Wir werden also weiterhin ein Energieimportland bleiben – und auch das spricht für grüne Moleküle. Der Leitungstransport von elektrischer Energie über große Entfernungen ist technisch begrenzt. Darum erfordert der Transport erneuerbarer Energie aus dem Sonnen- und Windgürtel der Erde die Umwandlung und Speicherung in Wasserstoff, aber auch dessen Weiterverarbeitung zu Ammoniak, Methanol oder synthetischem Rohöl. 

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Was steht der Molekülwende denn derzeit noch im Wege?

Küchen: Um die Molekülwende zum Erfolg zu führen, sind noch enorme Investitionen erforderlich. Hier stehen wir noch am Anfang. Nehmen wir den Luftverkehr als Beispiel. Hier hat die Politik zwar die Notwenigkeit erkannt und die EU schreibt künftig den Einsatz von Sustainable Aviation Fuels, kurz: SAF, aus biogenen Rohstoffen sowie Power-to-Liquid (PtL)-Treibstoffen verpflichtend in schnell ansteigenden Anteilen vor. Jedoch reichen solche verpflichtenden Beimischquoten offensichtlich allein nicht, um die jetzt notwendigen Investitionen in die Produktion auszulösen. Das gilt insbesondere für den Aufbau hochkomplexer, innovativer Produktionstechnologien mit hohen Anfangsinvestitionen, die üblicherweise über mindestens 20 Jahre abgeschrieben werden. Dazu gehören auch PtL-Anlagen zur Herstellung von strombasiertem Kerosin, kurz E-SAF. Obwohl die E-SAF-Quote der EU 2035 bereits auf fünf Prozent angestiegen sein wird, ist es derzeit nicht zu erkennen, dass die dafür erforderlichen Anlagen zeitgerecht zur Verfügung stehen werden.

Warum?

Küchen: Erfahrungsgemäß sind bei der Skalierung neuer Technologien die ersten Anlagen teurer als später getätigte Investitionen, die auf den Erfahrungen und auch den Fehlern der ersten Projekte aufbauen können. Dadurch ist eine Kostendegression zu erwarten. Das führt dazu, dass sich die hohen Investitionen in die ersten Anlagen nicht rentieren, da sich die hohen Abschreibungen nicht durch ein langfristig hohes Preisniveau für die erzeugten Produkte verdienen lassen.  Diesem First-Mover-Disadvantage muss entgegengewirkt werden. Ein langfristiger Abnahmevertrag für die Produkte, der sowohl Abnahmemenge als auch Preis garantiert, ist daher in der Regel Voraussetzung für eine Realisierung solcher Projekte. Quoten reichen als alleiniges Instrument offensichtlich nicht aus. Sie können zwar eine Nachfrage erzeugen, aber es liegt in der Natur der Quote, dass diese so günstig wie möglich erfüllt wird. Eine Quote kann damit ein erforderliches Preisniveau nicht absichern.

Erschwerend kommt hinzu, dass Investoren die Erfahrung gemacht haben, dass Quoten und die Bedingungen, wie diese erfüllt werden können, seitens des Gesetzgebers in der Vergangenheit vergleichsweise häufig geändert worden sind. Das kann zusätzlich zu den zuvor genannten Gründen die Wirtschaftlichkeit von Investitionen massiv beeinträchtigen.  

Welche Rahmenbedingungen sollten gegeben sein, damit die Molekülwende zum Erfolg wird?

Küchen: Es ist offensichtlich, dass Quoten als alleiniges Instrument nicht ausreichen, um Investitionen in neue Technologien wie grünen Wasserstoff und daraus hergestellte Folgeprodukte auszulösen. Eine mögliche Lösung sind langfristig orientierte öffentliche Ausschreibungen zur Produktion von z. B. E-SAF, die aus einem sektorspezifischen zweckgebundenem Umlagesystem finanziert werden. Zu den zusätzlich sinnvollen Maßnahmen, die jetzt nötig sind, zählt aus unserer Sicht eine verlässliche und ausreichend hohe Bepreisung fossiler CO2-Emissionen​ im Straßenverkehr. Wichtig ist auch, dass die Politik keine Anwendungsbereiche für grüne Moleküle vorschreibt, sondern eine breite Nachfragebasis für erneuerbare Produkte​ ermöglicht. Technisch ist der Anschluss der Raffinerien in Deutschland an die Netze für Hochspannungsstrom, Wasserstoff und CO2​ wichtig. Darüber hinaus benötigen wir eine rasche Entwicklung internationaler Märkte und Energiepartnerschaften mit entsprechenden Importinfrastrukturen​ und eine umfassende Kohlenstoffstrategie​. Über all das wollen und müssen wir jetzt einen konstruktiven Dialog führen, um die Klimaziele zu schaffen und den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht nur zu erhalten, sondern zugleich neue Impulse zu geben, um im globalen Innovationswettbewerb erfolgreich zu sein.

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