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Ohne Innovation ist unser Wohlstand nicht zu halten: von Semjon Rens, Public Policy Director DACH bei Meta

Die deutsche Sprache bietet die Möglichkeit, komplexe Sachverhalte durch kreative Wortkombinationen auf den Punkt zu bringen. “Leidensdruck” ist so eine Kreation, die den Umstand beschreibt, mit einer misslichen Situation klarzukommen. Der Leidensdruck kann aber auch so groß werden, dass dieser ein Antrieb für schwierige, aber notwendige Veränderungen wird. In der Politik muss der Leidensdruck manchmal anwachsen, dass es für herausfordernde und strukturelle Veränderungen politische Mehrheiten gibt, um weniger populäre, aber richtige Veränderungen anzugehen. Sind wir an diesem Punkt angekommen?

Stand:

Deutschlands wirtschaftliche Schwäche und Europas mangelnde globale Wettbewerbsfähigkeit manifestieren sich weiter. Das BIP in Deutschland sank in Deutschland im zweiten Quartal 2024 um 0.2% und die Aussichten sind nicht erbaulich. Ein von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebener Bericht vom ehemaligen Italienischen Premierminister und EZB-Präsidenten Mario Draghi zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit Europas zeichnet ebenfalls ein drastisches Bild. Um Europa wieder so aufzustellen, dass es im globalen Vergleich mithalten könne, seien größere Investitionen nötig als mit dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg. Das BIP pro Kopf ist in den USA in den vergangenen 20 Jahren doppelt so stark gewachsen wie in der EU. Wer seine liebsten europäischen Urlaubsorte mit amerikanischen Touristen teilt, spürt die gestiegenen Preise bereits deutlich im Geldbeutel.

Die derzeit düsteren Aussichten dürfen uns aber nicht resignieren lassen, denn es gibt auch Grund für Optimismus und große Potenziale, auf die sich aufbauen ließe. Dies belegt eine aktuelle Studie “What if? Eine Betrachtung von Wachstumspotenzialen für Deutschland” von IW Consult im Auftrag von Meta. Wenn die richtigen Maßnahmen ergriffen werden und man die wirtschaftlichen Potenzialräume voll ausschöpft, könnte die deutsche Wirtschaft um mehr als 410 Milliarden Euro wachsen. Die Studie führt drei Bereiche auf, die ein besonders großes Wachstumspotenzial aufweisen und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit stärken würden: Innovation, digitale und datengetriebene Geschäftsmodelle sowie Bildung.

Innerhalb dieser Wachstumsfelder könnte Deutschland von den jeweiligen Spitzenreitern USA, Südkorea, Israel, Australien, Estland und Island lernen. Würde es Deutschland gelingen, das Niveau japanischer Patentaktivitäten (pro Kopf) zu erreichen, könnte das BIP um 8.5% höher liegen. Deutschland hat hier eine gute Ausgangsbasis, aber gerade im Bereich der neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz liegt Deutschland deutlich zurück. Patente sind ein relevanter Gradmesser für Innovationsgeschehen, allerdings müssen diese auch von schlauen Köpfen und innovativen Unternehmen entwickelt werden. Dementsprechend könnte Deutschland das BIP um weitere 5.9% steigern, wenn es das Niveau der neu finanzierten KI-Unternehmen in Israel erreichen würde. Weitere 10% BIP-Wachstum ließen sich realisieren, wenn es uns besser gelänge, Menschen, die im Ausland geboren wurden, in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Hier ließe sich von Island lernen. Diese Handlungs- und Potenzialräume bergen Grund zur Hoffnung, aber erfordern umfassendes und engagiertes politisches Handeln.

Klar ist, Innovation und Digitalisierung sind das Rückgrat des zukünftigen Wirtschaftswachstums und Wohlstands. Zu diesem Schluss kommt auch der erwähnte Bericht der Europäischen Kommission. Europa hat die digitale Revolution weitestgehend verpasst und Innovation wird nun aber umso dringlicher, um die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents zu steigern.

Hierfür ist es jedoch unerlässlich, dass der EU Binnenmarkt endlich vollendet und Regeln innerhalb dessen vereinfacht und konsistent angewendet werden. Nur so kann innerhalb der EU eine Skalierbarkeit für Ideen und Technologien geschaffen werden, die den größten Binnenmarkt der Welt auch im Bereich digitaler und datenbasierter Geschäftsmodelle zum Leben erweckt. Laut Mario Draghi hat die EU seit 2019 insgesamt 13.000 Gesetzgebungsverfahren erlassen, während die USA im gleichen Zeitraum nur 3.000 Gesetze verabschiedet haben. Aber es ist sicherlich nicht nur die schiere Menge an Gesetzen, sondern insbesondere die Tatsache, dass EU Gesetze selten eine Vollharmonisierung im Binnenmarkt schaffen, sondern regelmäßig eine Vielzahl von nationalen Aufsichtsbehörden für die Durchsetzung und Auslegung von EU Gesetzgebung verantwortlich sind. Im Datenschutz sind das in Deutschland sogar 18 Behörden auf Bundes- und Landesebene. So entsteht ein Flickenteppich der Regulierung - also ein 4-dimensionaler Raum europäischer Gesetzgebung, aber kein echter Binnenmarkt, der Europa wettbewerbsfähig machen und grenzüberschreitende Innovation ermöglichen und Startup-Gründer in der EU halten würde. Tatsache ist, dass bereits 30% der führenden europäischen Startups ihren Sitz aus der EU hinaus verlegt haben. Um diesen Trend zu stoppen, müsste die aktuelle Regulierungslandschaft geändert und Bürokratie abgebaut werden. Dafür müssten Bundesländer und EU-Mitgliedstaaten aber bereit sein, Kompetenzen abzugeben und auch die ein oder andere Eitelkeit überwinden.

Die Eingangsfrage bleibt: Ist der Leidensdruck aktuell bereits groß genug, um die notwendigen Veränderungen und Reformen mutig anzugehen? Ich weiß es nicht, aber die zweite Hälfte dieser Dekade wird es zeigen. Mario Draghi zieht in seinem Bericht für die EU Kommission das Resümee, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem wir ohne aktives Handeln unseren Wohlstand nicht erhalten können und unsere Umwelt sowie unsere Freiheit einbüßen werden. Eine deutsche Politik, welche eine freie und soziale Marktwirtschaft in Deutschland wie Europa erhalten will, sollte diese Warnungen nicht ignorieren und mutig handeln.

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