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© Marie Staggat

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„Wir wollen an unserer Idee arbeiten, nicht an Steuern“ : Startup-Branche fordert beim Fachforum des Tagesspiegels weniger Bürokratie – und mehr Gestaltungsräume

Wie erleben Insider die Startup-Förderung der deutschen Bundesregierung? Welche Rolle spielen die politischen Rahmenbedingungen, institutionelle Anleger und der Faktor Kultur? Darum ging es beim Fachforum „Von Einhörnern und (geplatzten) Startup-Träumen“ beim Tagesspiegel. Gründer:innern, Vertreterinnen aus Bundestag, Bundesregierung und Wissenschaft sowie Unternehmen und Investoren teilten Erfahrungen und berichteten über Hürden und Hindernisse.

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In einer Keynote nahm Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK) Unternehmensgründungen in Deutschland in den Blick. Gerade im Gesundheitssystem gäbe es jede Menge „unerfüllte Bedürfnisse “, hier brauche es dringend innovative Ideen, insbesondere im Digitalbereich. Die TK arbeite intensiv mit Startups zusammen, Baas beklagte jedoch, dass die bestehende Sozialgesetzgebung es Krankenkassen quasi unmöglich mache, hier stärker zu investieren. „Wir haben einen Jahresumsatz von 55 Milliarden Euro – und ich würde gerne mehr in Startups investieren, die uns dabei helfen, Gesundheit zu fördern und die Versorgung zu verbessern. Aber: Das SGB V bietet uns hier kaum Spielräume.“

Im Gespräch mit Tina Klüwer, einstige Gründerin und jetzt Abteilungsleiterin im Bundesforschungsministerium, lotete Baas weitere Problemfelder aus: Die Chancen-Risiken-Abwägung im Datenschutz, die Bürokratie oder auch die Förderlandschaft, für die sich TK-Chef Baas „mehr Konsistenz“ wünscht, auch über Wahlzyklen hinweg. Klüwer entgegnete, dass die Bundesregierung die Startup-Förderung durchaus ernst nehme, verwies etwa auf die Agentur für Sprunginnovationen SPRIND oder ein neues Vorhaben, innerhalb von vier Monaten über beantragte Forschungsprojekte zu entscheiden. „Es gibt in Deutschland großes Potenzial, etwa im Quantencomputing , im neuromorphen Computing und der Mikroelektronik.“ 

Klüwer warb dafür, KI zu nutzen, um Wettbewerbsvorteile in Produktion und Robotik zu schöpfen: „Wenn wir es schaffen, vorhandene Daten aus der Fertigung zu nutzen, um KI zu trainieren, dann haben wir eine Ausgangslage, die sonst kein anderes Land hat.“

Best Practice: Von 3D-Druck bis Schlafqualität
Die deutsche Startup-Landschaft war nicht nur Thema der Debatten, sondern sie war auch direkt vor Ort zu erleben: Vier Unternehmen stellten sich im Rahmen des Fachforums vor, präsentierten ihre Idee und berichteten davon, was ihren Weg erschwert hat – und was sie sich von der Politik wünschen würden. „In Deutschland ein Unternehmen zu gründen, ist ein bürokratischer Spießrutenlauf“, berichtete Stephan Kühr, der als Physiker bereits mehrfach gegründet hat und aktuell als Chief Commercial Officer beim 3D-Druck-Anbieter Xolo tätig ist. „In den USA hingegen kostet eine Unternehmensgründung 250 Dollar und ist nach zwei Stunden erledigt. Wir wollen als Startups an unserer Idee arbeiten und nicht an Steuern.“ 

© Marie Staggat

Healthcare-Startups wie FEMNA Health und sleep2 zeigten auf, wie app-basierte Therapiebegleitung aussehen kann. sleep2-Co-Founder Thomas Winkler, der aus Österreich angereist war, lobte hier die Krankenkassen in Deutschland: „Auf uns sind Innovations-Scouts von verschiedenen deutschen Krankenkassen zugekommen.“ Hinderlich seien – da waren sich FEMNA Health und sleep2 einig, die Komplexität des deutschen Gesundheitswesens, etwa die Zulassung als Medizinprodukt, durch die die „time-to-market“ unnötig verzögert werde. Ludwig Ensthaler von 468 Capital gab Einblick in die Risikokapitalgeber-Perspektive – sein Fonds investiert unter anderem in die deutsche KI-Hoffnung Aleph Alpha: „Uns hilft, dass Deutschland eine wahnsinnig starke Forschungslandschaft hat.“ Gleichzeitig bedauerte er, dass späte Finanzierungsrunden nach wie vor fast ausschließlich über US-amerikanische Geldgeber laufen: „Wir müssen unabhängig werden von den USA – und das sind wir noch nicht.“

Unternehmerisches Mindset
Zu viel Bürokratie, zu streng ausgelegter Datenschutz, zu wenig Investorengelder – ist gründen in Deutschland überhaupt noch attraktiv? Investor Fabian von Trotha von DvH Ventures hob in einem Impuls hervor, was Gründer:innen ausmacht: „Ich treffe 150 bis 170 Gründerteams um Jahr – und das sind Menschen voller Visionen und Schaffenskraft.“ Menschen, die Jobsicherheit und ein festes Gehalt aufgeben, um einen Traum zu verwirklichen und dabei Verantwortung übernehmen für Mitarbeitende und deren Familien – „das ist ein Mindset, das für unsere Gesellschaft wichtig ist – und das sollten wir fördern, wo immer es möglich ist.“
Seine Gedanken vertiefte von Trotha in einer Paneldiskussion mit Verena Hubertz, MdB (SPD), Digitalisierungsforscherin Ariel Dora Stern (Professorin am Hasso-Plattner-Institut) sowie Kati Ernst vom Bundesverband Deutsche Startups. Thema hier waren unter anderem die Potenziale von KI – und die Frage, wie diese stärker als bislang in die Fläche gebracht werden können. „Ich mache mich stark für einen KI-Mittelstandsbooster“, erklärte die SPD-Bundestagsabgeordnete – und ehemalige Gründerin – Verena Hubertz, die zudem auch auf die Startup-Strategie der aktuellen Bundesregierung und das neue „EXIST-Women“-Programm hinwies. 

Viel Bürokratie, wenig Diversität
Kati Ernst vom Startup-Verband knüpfte an die Problematik der Bürokratie an: „88 Prozent der Gründer:innen geben an, dass Bürokratie eine Hürde ist – das hält viele davon ab, zu gründen, insbesondere Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund.“ Das unlängst verabschiedete Bürokratieentlastungsgesetz IV gehe „nicht annähernd weit genug“, so Ernst. 

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Schwierig sei zudem, dass Investoren zu sehr auf das „nächste Unicorn“ fokussiert seien. „Dabei fallen Unternehmen durchs Raster, die gute Mittelständler werden könnten.“ Und: Nur 20 Prozent aller Gründer sind weiblich. Es fehle, so Ernst, am Zugang zu Netzwerken, zu Geldgebern, aber auch zu Kinderbetreuung. Der Wunsch nach mehr Diversität gilt aber auch für die Investoren-Teams, hier diversere Teams aufzustellen, sollte künftig Maßgabe werden.

Innovation: Aus der Hochschule in die Umsetzung
Ariel Dora Stern, die jahrelang in Harvard geforscht hat, fällt auf, dass es in Deutschland eine gewisse Scheu seitens der Hochschulen im Umgang mit Geldgebern gäbe. „In Harvard und am Massachusetts Institute of Technology - MIT ist es völlig normal, Investoren einzuladen – in Deutschland hingegen werden die Unis nervös, wenn es ums Geld geht, beklagen aber gleichzeitig eine mangelnde Translation.“ Universitäten sollten Startups und Investoren als Möglichkeit sehen, gute Ideen aus der Hochschule in die Gesellschaft hinein zu tragen, so Stern.

Mehr Investitionen, weniger Bürokratie und mehr Vielfalt, sowohl bei den Gründer:innen selbst als auch auf Seiten der Geldgeber – so fasste Jens Baas von der TK die Forderungen abschließend zusammen. Es gäbe viel Potenzial, ausreichend Geld und es gäbe den Willen, diese Potenziale zu fördern – und darum gälte es nun, Hürden abzubauen. Gelingt das nicht, bleibt der Status quo: „Wir würden, wenn wir dürften.“

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