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Eduard Bernstein, 1895.

© not credited, Public domain, via Wikimedia Commons

Erinnerung an Eduard Bernstein im Bayerischen Viertel: Gedenktafel gestohlen, Metalldiebe im Verdacht

Eduard Bernstein war ein streitbarerer SPD-Politiker. Seit den Achtzigerjahren erinnerte eine bronzene Gedenktafel an ihn in der Bozener Straße. Bis sie verschwand. Die Bezirksbürgermeisterin will eine neue aufhängen - aber keine wertvolle.

Die Bronze ist weg. Eduard Bernstein, geboren 1850, ein sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter und streitbarer SPD-Theoretiker, war auf Initiative des Bezirks Schöneberg im April 1981 durch eine Gedenktafel an seinem letzten Wohnort in der Bozener Straße im Bayerischen Viertel geehrt worden. Bernstein stammte aus einer jüdischen Familie in Schöneberg, hatte die Synagoge nach dem Tod seiner Mutter verlassen, sich aber für die Rechte der Juden und später auch für den Zionismus eingesetzt. In der „Revisionismusdebatte“ der SPD vertrat er die Position, seine Partei solle nicht mehr streng marxistisch die Abschaffung des Kapitalismus betreiben, sondern Verbesserungen für die Arbeiter durch Reformen erreichen.

Gestorben 1932, war er in einem Urnengrab auf dem Schöneberger Friedhof I an der Eisackstraße, nahe dem Innsbrucker Platz, bestattet und von 1952 bis 2010 eines Ehrengrabes des Landes Berlin gewürdigt worden. Zu seinem 75. Todestag hatten ihm die Sozialdemokraten im Jahr 2007 sogar einen neuen Grabstein errichtet: um auf seine Bedeutung für ihre Parteihistorie hinzuweisen.

Zu diesem Zeitpunkt sah die Vorgartenbepflanzung, von der seine Gedenktafel im Kiez umgeben war, längst nicht mehr so schön und gepflegt aus wie 1981, im Jahr ihrer Hängung. Die Flora wucherte an der Bozener Straße 18 so prächtig vor sich hin, dass Bernsteins Tafel auf dem Privatgelände schließlich nicht mehr zu sehen und fast vergessen war.

Die gestohlene Gedenktafel für Eduard Bernstein.

© OTFW/Wikimedia Commons

Im Herbst 2012 kümmerten sich Genossen und Geschichtsinteressierte um den Rückschnitt des Bewuchses, jetzt war die Bronzetafel endlich wieder zu erkennen und zu lesen. Doch gerade diese gutgemeinte Umfeld-Pflege wurde ihr offenbar zum Schicksal: Irgendwann im Jahr 2014, vermutlich im Herbst, hat das schöne Stück Edelmetall Begehrlichkeit geweckt, es verschwand und ist nicht wieder aufgetaucht.

Öffentlich bekannt wurde der Verlust zuletzt durch einen Tweet des Anwohners Christof Biggeleben, der in seiner Twitterserie "Nachbarn in Schöneberg" Gedenktafeln und Gedenkorte vor allem auch des Bayerischen Viertels fotografiert und twittert. Dabei fiel ihm auf, dass Eduard Bernsteins Tafel in der Bozener Straße nicht mehr zu finden war. Auf den Tweet, den auch der Tagesspiegel weiterverbreitete, gab es dann gleich Resonanz von den Schöneberger SPD-Politikern Lars Oberg und Mechthild Rawert.

Dass mit der Zunahme von Metallklauerei auf Friedhöfen und Bahnterrain auch Gedenktafeln ins Visier der darauf spezialisierten Banden geraten, kann die Polizeistatistik allerdings nicht bestätigen. Die vorliegenden Daten lassen, so eine Sprecherin des Polizeipräsidenten, keine Rückschlüsse zu: weil einerseits solche kleineren Diebstähle nicht immer gemeldet werden und weil es andererseits im Ermessen der protokollierenden Beamten liegt, ob da nun „Gedenktafel“ oder „kleiner Metallgegenstand“ in der Anzeige steht. Es gebe insofern zu diesem Thema keine „verlässlich recherchierbaren Zahlen“.

Johannes Tuchel, dem als Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand das Berliner Gedenktafelwesen am Herzen liegt, meint sogar, nach seinem Wissen sei die verschwundene Bernstein-Tafel bislang der einzige Fall, wo ein Diebstahl aus materiellen Gründen angenommen werden könne. Als Anwohner der Bozener Straße sei dieser neueste Verlust ihm allerdings seit längerem schon aufgefallen. Auf der durch seine Gedenkstätte betreuten Homepage www.gedenktafeln-in-berlin.de werden 2999 Tafeln aufgeführt, von denen 246 abhanden gekommen sind – die meisten durch politischen Wandel, in der Nachwendezeit oder auch durch Eigentümerwechsel. 2014 sei ihm beispielsweise nur ein einziger solcher Fall bekannt geworden: als eine Tafel bei der Hausrenovierung durch Schlamperei oder Unwillen auf der Strecke blieb.

Angelika Schöttler, Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, hat im Fall der Bernstein-Tafel die Ersatz-Beschaffung zu ihrer Sache gemacht. Der Bezirk fühle sich in diesem Fall verpflichtet, da von ihm 1981 die Anbringungs-Initiative ausgegangen sei. Damals verhinderte der Hausbesitzer die Befestigung der Tafel an der Hauswand. Jetzt verhandele man mit der aktuellen Hausverwaltung über einen besseren Platz. Die künftige Tafel für Eduard Bernstein solle außerdem aus einem Material bestehen, das für Diebe nicht attraktiv sei. Man denke also weder an Bronze noch an Kupfer, aber auch nicht an eine weißblaue KPM-Tafel, jenes Modell, das von der Historischen Kommission zu Berlin seit Jahren an vielen Orten der Stadt angebracht wird. Es sei ihr wichtig, die Lücke wieder zu füllen, sagt die Bezirksbürgermeisterin, da bei Stadtführungen eine solche Markierung unterstützend wirke und auf diese Weise „Geschichte ins tägliche Leben getragen wird“.

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