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Schülerinnen und Schüler in Steglitz-Zehlendorf zeigen Haltung und demonstrieren gegen Rechtsextremismus: Am Mittwoch, 28. Februar, rufen die Schüler der Fichtenberg-Oberschule zur Demo auf.

© Boris Buchholz

„Es reicht nicht mehr, nicht faschistisch zu sein“: Berliner Schüler demonstrieren gegen rechts

Für Mittwoch rufen Schülerinnen und Schüler der Fichtenberg-Oberschule zum Protest gegen Rechtsextremismus auf. Vier Aktive erklären, warum sich möglichst viele Schulen daran beteiligen sollten.

Jetzt gehen die Schülerinnen und Schüler auf die Straße: Die „Remigrations“-Konferenz in Potsdam, bei der Rechtsextreme, AfD- und CDU-Parteimitglieder über Ausweisungen und Deportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland beraten haben, hat die Schülerinnen und Schüler der Fichtenberg-Oberschule in Steglitz zum Handeln getrieben. „Durch die Potsdam-Konferenz haben immer mehr Schüler Angst bekommen, sie machen sich Sorgen“, sagt Elia Mai. Die 16-Jährige geht in die elfte Klasse der Fichte, gemeinsam mit Mitschülerinnen und Mitschülern organisiert sie am kommenden Mittwochmorgen die Demonstration „Schule gegen rechts – 1933 soll im Geschichtsbuch bleiben“.

Vier der Organisierenden haben sich per Videogespräch mit dem Tagesspiegel verabredet. „Trotzdem viele bei uns noch nicht wahlberechtigt sind, wollen wir etwas machen“, sagt Elia. „Wir wollen nicht einfach nur still da sitzen und gucken, dass die Erwachsenen irgendwas machen.“

Geschockt hat die vier die Ankündigung der Rechtsextremen, Menschen mit Migrationsgeschichte, deutscher Pass hin oder her, ausweisen zu wollen. „Bei mir hat fast die Hälfte der Klasse Migrationshintergrund, auch viele Freundinnen“, sagt Lia Thorun aus der Achten. „Die Vorstellung, dass die dann alle nicht mehr da sind, ist einfach gruselig und schlimm.“ Elia ergänzt: „Und wir haben auch viele Trans-Schüler, nicht-binäre Schüler, queere Schüler, und da ist die AfD auch kein großer Fan von.“

Laut Statistischem Bundesamt lebten 2022 etwa 23,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, das sind 28,7 Prozent der Bevölkerung. „Ein Viertel der Menschen in Deutschland würde abgeschoben werden, ein Viertel unserer Freunde, ein Viertel unserer Familie, ein Viertel von uns“, schreiben die Schülerinnen und Schüler der Arbeitsgemeinschaft „Fichte ohne Rassismus“, kurz FioRa, in ihrem Aufruf zum Protest. „Dass wir das nicht zulassen dürfen, erklärt sich eigentlich von selbst, doch wir müssen laut werden.“ Und um das zu tun, rufen sie alle Schulen im Bezirk auf, für Vielfalt und Demokratie zu demonstrieren.

Eine Partei, die ganz offen und ohne Scham menschenfeindlich ist, kann nicht demokratisch sein.

Elia Mai, 16

„Schule soll ein Ort der Demokratie sein und das, was die AfD tut, gefährdet definitiv unsere Lebensrealität und die Demokratie“, sagt Jonathan Walker, 17. „Ein Merkmal von Demokratie ist natürlich Pluralität, die AfD bedroht das – und die Meinungsfreiheit“, ergänzt Sebastian Schirm, 18, beide sind in der Zwölften. „Eine Partei, die ganz offen und ohne Scham menschenfeindlich ist, kann nicht demokratisch sein“, findet Elia.

Bei der Videokonferenz: Sebastian, Elia, Jonathan, Lia und der Tagesspiegel-Reporter.
Bei der Videokonferenz: Sebastian, Elia, Jonathan, Lia und der Tagesspiegel-Reporter.

© Boris Buchholz

Es reiche nicht mehr, „nicht faschistisch zu sein“, heißt es in dem Aufruf der Schülerinnen und Schüler. Es sei höchste Zeit, eine aktiv antifaschistische Haltung zu zeigen. „Laut und präsent.“

Ich verstehe eine Teilnahme an dieser Demonstration als Unterricht an anderem Ort.

Schulleiter Andreas Golus-Steiner

Die Schüler-Gruppe beruft sich auf Paragraf 1 des Schulgesetzes: „Ziel muss die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten sowie das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens, der Freiheit, der Menschenwürde […] zu gestalten“, lautet er.

„Sorry für die Störung, wir versuchen die Welt zu ändern.“ Plakat einer jungen Demonstrantin, gesehen in Steglitz-Zehlendorf.
„Sorry für die Störung, wir versuchen die Welt zu ändern.“ Plakat einer jungen Demonstrantin, gesehen in Steglitz-Zehlendorf.

© Boris Buchholz

Der Schulleiter der Fichtenberg-Oberschule, Andreas Golus-Steiner, unterstützt seine Schülerinnen und Schüler ausdrücklich. „Ich verstehe eine Teilnahme an dieser Demonstration als Unterricht an anderem Ort“, schreibt er in einem Brief an die Schulgemeinschaft.

Das Datum der Demonstration haben die Schüler mit Bedacht gewählt. Am Tag nach dem Reichstagsbrand erließ das Hitlerregime am 28. Februar die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, in der Freiheitsrechte massiv eingeschränkt wurden. Aufgrund der Verordnung wurden Tausende politischer Gegner der Nazis festgenommen, die Todesstrafe wurde ausgeweitet. Auch wenn die heutige Situation weit davon entfernt ist, die Ankündigungen der AfD treffen bei den Schülern auf ein kritisches Geschichtsbewusstsein: „Wir glauben, dass die AfD gerade wieder Muster aufgreift, die es damals auch gegeben hat“, sagt Sebastian. „So etwas darf sich nicht wiederholen.“

Schülerinnen und Schüler in Steglitz-Zehlendorf zeigen Haltung und demonstrieren gegen Rechtsextremismus.
Schülerinnen und Schüler in Steglitz-Zehlendorf zeigen Haltung und demonstrieren gegen Rechtsextremismus.

© Boris Buchholz

Für Jonathan ist der Protest gegen Demokratiefeinde keine Frage der Generationen – für viele junge Menschen sei das Thema „super wichtig“. Vielmehr sei der Rechtsextremismus „ein Problem der gesellschaftlichen Mitte, das uns alle betrifft und uns alle angeht – und deshalb stehen auch alle auf den Straßen“. Trotzdem sei klar, die Aktion am Mittwochmorgen „ist eine Demonstration von Schüler:innen für Schüler:innen“. „Wir laden aber keinen Erwachsenen aus“, ergänzt Elia. Und Lia sagt: „Wir wollen Zeichen gegen rechts setzen, das ist dann halt auch jetzt mal wichtiger als unser Unterricht.“

Wir wollen wirklich grundlegende, moralische und auch vernünftige Dinge wie eben Demokratie, wie Menschenrechte, wie ein Ende des Hasses.

Schüler Sebastian Schirm

200 Menschen haben die Schülerinnen und Schüler für den Demozug über die Schloßstraße angemeldet. „Wir hoffen natürlich auf viel, viel mehr“, sagt Sebastian. Er betont, dass der Protest politisch „barrierefrei“ sei: Weder würden spezifische politische Forderungen erhoben noch Parteien unterstützt. „Wir wollen wirklich grundlegende, moralische und auch vernünftige Dinge, wie eben Demokratie, wie Menschenrechte, wie ein Ende des Hasses.“

Nach der Demonstration am Mittwoch gehen die vier Fichtenberger wieder in die Schule: Für die Oberstufe stehen Klausuren an, für Lia geht der reguläre Unterricht weiter. Und der Einsatz für Demokratie und Menschenrechte.

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