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Maryam H.

© privat/privat

Update

Mord an Maryam H.: Brüder von getöteter Afghanin in Berlin zu lebenslanger Haft verurteilt

Sie fuhren mit der Leiche ihrer Schwester in einem Koffer per ICE nach Bayern. Eineinhalb Jahre nach dem Tod der 34-Jährigen wurden ihre Brüder des Mordes schuldig gesprochen.

| Update:

Maryam H. aus Afghanistan wollte Schritt für Schritt ein selbstbewussteres Leben führen. „Sie hat mit ihrem Leben bezahlt“, sagte Richter Thomas Groß. „Dieses Recht, dieses Lebensrecht haben sie ihr abgesprochen.“ Wegen gemeinschaftlichen Mordes an ihrer Schwester wurden Sayed Yousuf H. und Seyed Mahdi H. am Donnerstag jeweils zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Brüder hätten sich bei der Tat von archaisch anmutenden Überlegungen leiten lassen. Sie hätten durch die Tötung einen weiteren „Macht- und Kontrollverlust“ verhindern, einen vermeintlichen „Schandfleck“ beseitigen wollen. 

Damit folgte das Berliner Landgericht am Donnerstag den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Die Verteidiger des älteren Angeklagten hatten auf maximal fünf Jahre Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge plädiert – es sei ein tragischer Unfall gewesen. Für den jüngeren Bruder wurde Freispruch beantragt. 

Maryam H., eine zweifache Mutter, verschwand am 13. Juli 2021. Drei Wochen später wurde ihre Leiche in einem Erdloch in Bayern gefunden. Spuren führten kurz zuvor zur Festnahme ihrer Brüder, ihren Angaben nach inzwischen 27 und 24 Jahre alt. Sie hätten ihre Schwester unter dem Vorwand, eine Wohnung für sie und ihre beiden Kinder gefunden zu haben, in einen Hinterhalt gelockt haben, so das Gericht. 

Hier verscharrten die Brüder Maryam H.
Hier verscharrten die Brüder Maryam H.

© Thomas Heckmann / BILD

Die Brüder hätten zunächst ein strenges Regime geführt, um ihre Vorstellungen umzusetzen. „Sie überwachten, kontrollierten, schikanierten ihre Schwester und auch deren Tochter“, sagte der Richter. Dennoch habe Maryam H. „peu à peu die Grenzen des Erlaubten ausgedehnt“, so der Vorsitzende. Das Fass zum Überlaufen habe gebracht, dass sich die geschiedene Frau verliebt hatte und ihre Beziehung auch offen leben wollte. Aus Sicht ihrer patriarchalisch geprägten Familie habe sie die herrschenden Grenzen des gesellschaftlich anerkannten Verhaltens überschritten, schon die Scheidung sei nicht akzeptiert worden. Maryam H. sei sich der Gefahr, die sie mit dem Wunsch nach einer offen ausgelebten und gleichberechtigten Beziehung einging, bewusst gewesen. „Die Liebe war stärker, die Liebe führte in den Tod.“ 

Die Liebe war stärker, die Liebe führte in den Tod.

Richter Thomas Groß

Entweder habe es einen Auftrag an die Brüder aus der Herkunftsfamilie gegeben oder sie hätten in vorauseilendem Gehorsam ihre „abtrünnige Schwester“ getötet, einen – aus Sicht der archaisch geprägten Familie – Schandfleck, der die Ehre befleckt habe, hieß es weiter im Urteil nach 42 Verhandlungstagen.  

Die Frau wurde erdrosselt oder erstickt, ihre Kehle bis zur Halswirbelsäule mit einem Messerschnitt durchtrennt. Die Leiche ihrer Schwester stopften die Brüder in einen kurz zuvor erworbenen Rollkoffer und fuhren mit einem Taxi zum Bahnhof Südkreuz. Bilder von Überwachungskameras zeigen, wie sie das ausgebeulte Gepäckstück zu den Gleisen schleppten, den Koffer um 17.52 Uhr in einen ICE hievten. Die Fahrt ging ins bayerische Donauwörth, wo Yousuf H. wohnte. „Niederträchtigst“ seien sie mit ihrer Schwester umgegangen.

Die Freundin von Yousuf H. – er hatte mit der verheirateten Frau ein Verhältnis – führte die Ermittler zu dem Ort, wo die Leiche verscharrt war. Yousuf H. hatte sie auf einem abgelegenen Hügel vergraben, einem Schuttabladeplatz 30 Kilometer von Donauwörth entfernt. Mund und Nase, Hände und Füße waren mit Klebeband umwickelt. Unter einem Tape wurde die abgerissene Fingerkuppe eines Gummihandschuhs entdeckt – mit DNA von Mahdy H.

Sie liebte ihre Brüder – und hatte Todesangst vor ihnen

Maryam H. war 2015 nach Deutschland gekommen. 2018 trennte sie sich gegen den Willen ihres Vaters von dem wesentlich älteren Mann, den sie als 16-Jährige in ihrer Heimat heiraten musste. Nach der Scheidung verliebte sie sich in einen anderen Mann – und hatte große Angst davor, dass ihre Brüder davon erfahren könnten. Einerseits liebte Maryam H. ihre Brüder, andererseits hatte sie Todesangst vor ihnen, schilderten Zeugen im Prozess. 

Die Brüder schwiegen zu Prozessbeginn. Yousuf H. gestand sechs Monate später überraschend die Tötung und schilderte sie als eine Art Unfall in einem Streit, für den er allein verantwortlich sei. 

Der Fall führte zu einer Debatte um den Begriff „Ehrenmord“ – und um gescheiterte Integration von Flüchtlingen. Yousuf und Mahdi H. waren als Jugendliche nach Deutschland eingereist, ohne je anzukommen. Sie seien den Moralvorstellungen ihrer erzkonservativen Familie aus Afghanistan verbunden geblieben. Gegen das Urteil können sie Rechtsmittel einlegen. Dann würde der Fall an den Bundesgerichtshof (BGH) gehen.

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