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Prozess um dramatischen Unfall auf der A 100: Abgedrängt und mit dem Auto in die Tiefe gestürzt

Vor zweieinhalb Jahren verliert ein Jurastudent bei nasser Fahrbahn die Kontrolle über den elterlichen BMW - eine folgenschwerere Unfallkette wird ausgelöst. Eine heute 24-jährige Frau wird damals so schwer verletzt, dass sie immer noch eingeschränkt ist. Nun beginnt der Prozess.

Sie wollte Chirurgin werden. Doch seit dem schrecklichen Unfall im Januar 2012 ist alles anders. Die Studentin weiß nicht, ob sie stundenlang im Operationssaal wird stehen können, ob die Schmerzen nachlassen. Sieben Meter tief war sie mit ihrem Kleinwagen gestürzt. Der Smart wurde auf eine Betonbrüstung gehebelt und von der Stadtautobahn geschoben. So sieht es die Anklage. Nun saß Charlott H. im Gerichtssaal und sollte sagen, woran sie sich erinnert. Schräg vor ihr und nur zwei Meter entfernt sah sie den mutmaßlichen Verursacher des Unfalls. Er hält sich für unschuldig.

„Ich fuhr auf die A 100, fädelte mich ein, dann setzt die Erinnerung aus“, sagte die Medizinstudentin. Die Richterin las vor, was die 24-Jährige damals zu Protokoll gegeben hatte: „Da kam etwas von der Seite, etwas ratschte am Auto vorbei, ich drehte mich und drehte mich noch einmal.“ Die Studentin, die so gefasst wirkte, atmete tief durch. Sie wollte keine Tränen zulassen. „Ich hatte wahnsinnige Angst“, sagte sie schließlich.

Es war gegen 20 Uhr. Denis B., ein 23-jähriger Jurastudent, war in einem roten BMW unterwegs. Neben ihm seine Mutter. Sie wollten ohne Eile nach Hause fahren. Mit 90 Stundenkilometern soll er laut Anklage auf der linken von drei Spuren unterwegs gewesen sein – und damit zu schnell, ist der Ankläger überzeugt. Die Schalttafeln hätten Tempo 80 unter günstigen Bedingungen erlaubt. An jenem Abend aber seien die Straßen regennass gewesen.

Student verlor Kontrolle über BMW

Fest steht: Der Student verlor hinter dem Dreieck Funkturm in Richtung Norden die Kontrolle über den elterlichen BMW. „Aber ich habe die zulässige Geschwindigkeit nicht überschritten“, bestritt er die Vorwürfe. Er sei in der brückenartigen Kurve ins Rutschen gekommen. „Der Wagen brach aus. Ich lenkte dagegen, aber das hatte einen Pendeleffekt.“ Er sei zunächst mit dem Hinterrad gegen die Autobahnbegrenzung gestoßen, dann abgeprallt und „wie ein Gummiball“ gegen einen Ford gestoßen. „Das Touchieren nahm ich wahr.“ Danach stoppte er sofort.

Der Jurastudent sprach nicht über Gefühle. Er drehte sich auch nicht um, als die Studentin befragt wurde. Die Schuld sieht er nicht in seinem Fahrverhalten. „Ich glaube, dass es am Asphalt an der Stelle liegt“, sagte der junge Mann, der am ersten Tag im Prozess um fahrlässige Körperverletzung einen schwarzen Anzug trug. Er habe gehört, dass es in dem Unfallbereich bei „bestimmter Witterung besonders rutschig ist“. Er  habe sich darauf verlassen, dass man 80 km/h fahren kann, wenn die klappbaren Schaltflächen genau dieses Tempo anzeigen. „Dann ist das angepasst.“

Tatsächlich gab es vor dem Drama und nur kurz danach Unfälle an jener Stelle. Ein 59-jähriger Polizist sagte: „Da liegen reichlich Teile an der Mauer, das sieht wie ein Ersatzteillager aus.“ Er sei nach dem Sturz des Kleinwagens von einem Berufskraftfahrer darauf aufmerksam gemacht worden, „dass man an der Stelle bei bestimmter Witterung die Richtgeschwindigkeit nicht fahren kann, weil der Asphalt dann rutschig ist“. Er habe das mit seinen gummierten Schuhsohlen getestet. „Die sind gerutscht.“ Inzwischen liege die Richtgeschwindigkeit dort auch nicht mehr bei 80 km/h.

Die Studentin war langsam auf der rechten Spur unterwegs. Sie wollte nach dem Weihnachtsurlaub zurück nach Lübeck, wo sie studiert. Nachdem der rote BMW ins Schleudern gekommen und den Ford eines 61-jährigen Fahrers angestoßen hatte, ging der Dominoeffekt weiter in ihre Richtung: Der weiße Fort driftete nach rechts ab und traf den Smart. „Ich versuchte das meinen Wagen zu halten, wie der Smart über die Mauer flog, weiß ich nicht“, sagte der 61-jährige Schweriner.

Die Feuerwehr musste das Wrack zerschneiden

Der Kleinwagen wurde durch den Anstoß von links auf die mehr als einen Meter hohe Mauer gehebelt. Ein Zeuge sah: „Zwei Räder auf der Brüstung, zwei auf der Fahrbahn.“ Dann stürzte der Wagen in einen Kleingarten an der Charlottenburger Dernburgstraße. Überall lagen Trümmer. Das Auto lag auf dem Dach, die Scheiben zersplittert, eine Jacke und Stoff voller Blut. „Ich weiß noch, wie ich in dem Auto liege und begreife, dass ich mich nicht bewegen kann, Hilfe brauche“, schilderte die Studentin nun.

Die Feuerwehr musste das Wrack zerschneiden. Eine Polizistin und ein Notarzt sprachen der jungen Frau so lange Mut zu. Sie wurde lebensgefährlich verletzt ins Virchow-Krankenhaus in Wedding gebracht. Die Wirbelsäule war mehrfach gebrochen, Frakturen im Gesicht, ein Auge schwer getroffen, Hirnblutungen. „Im April habe ich mein Studium fortgesetzt, ich brauchte die Ablenkung“, sagte Charlott H. und sorgte für Erstaunen. Sie sprach ohne Groll, wirkte sehr tapfer. Der Angeklagte sagte kein Wort zu ihr.

Ein Kraftfahrer schätzte ein, dass der rote BMW vermutlich nicht schneller als erlaubt, aber doch schneller als die anderen Verkehrsteilnehmer unterwegs war. Nachdem das Gericht mehrere Zeugen befragt hatte, konterte der Ankläger in Richtung Verteidiger: „Dass Ihr Mandant für die Verhältnisse zu schnell war, ist doch offensichtlich.“

Doch noch ist kein Urteil gesprochen. Ein technischer Gutachter soll sich noch zu dem Geschehen äußern. Allerdings bahnt sich ein Disput an: Denn die Frage des Asphalts an der Unfallstelle spielte bei seiner Untersuchung wohl keine Rolle. Sie sei im Vorfeld „nicht so diskutiert worden“, sagte der Sachverständige. Er soll am 29. August befragt werden.

Still ging die zierliche Studentin aus dem Gerichtssaal. Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Vielleicht war es die Erleichterung, dass sie endlich die Aussage im Prozess hinter sich hatte. Mehr als zweieinhalb Jahre musste sie darauf warten – die Ermittlungen hätten eben „recht lange gedauert“, sagte der Staatsanwalt. Für die Frau, die bis heute in ihrer Bewegung eingeschränkt ist und oft Schmerzen aushalten muss, ist das kein Trost. Auch beim Schmerzensgeld hängt vieles vom Ausgang des Strafprozesses ab. „Sie will endlich abschließen“, sagte ihr Anwalt.

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