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Schuljahr 2010/2011: Große Reformen, marode Klassenräume, Mobbing im Netz

Das zurückliegende Schuljahr 2010/2011 war anstrengend. Ein Überblick über die größten Veränderungen – und andere Themen, die Schüler, Eltern und Lehrer bewegten.

SEKUNDAR- STATT HAUPTSCHULEN

Mit großen Erwartungen, aber auch Bedenken, starteten die aus Haupt- und Realschulen fusionierten Sekundarschulen in das Schuljahr. Die Strukturreform war eines der größten Projekte von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD). Dass die Hauptschulen keine Zukunft mehr hatten, darüber waren sich Bildungspolitiker aller Parteien einig. Doch bald schon zeichnete sich ab, dass es trotz Auflösung der Hauptschulen weiter sogenannte Restschulen geben wird – Schulen, auf die vor allem gut ausgebildete Eltern ihre Kinder nicht schicken wollen. Schlagzeilen machten etliche Sekundarschule in sozialen Brennpunkten, als bekannt wurde, dass dort deutsche Schüler beschimpft und beleidigt werden. Mit Beginn des Anmeldeverfahrens für die Oberschulen zeigte sich aber noch ein anderer Effekt: Viele Sekundarschulen mit gymnasialer Oberstufe sind zu einer noch stärkeren Alternative zum Gymnasium geworden – unter anderem deshalb, weil die Kinder dort in kleineren Klassen und betreut von Sozialarbeitern 13 Jahre Zeit bis zum Abitur bekommen.

OHNE PROTESTE GEHT GAR NICHTS

Kein Schuljahr ohne Proteste – das galt auch in 2010/11. Am stärksten in Erinnerung ist die gemeinsame Demonstration von Eltern, Schülern und Gewerkschaften. Es ging um mehr Geld und die Forderung nach „besseren Schulen“, aber die Resonanz war dann doch nur gering – vielleicht, weil die Forderungen zu allgemein waren, vielleicht, weil die Eltern sich nicht von den Gewerkschaften instrumentalisieren lassen wollten. Denn denen ging es in erster Linie darum, für ihre Mitglieder Arbeitsentlastung zu erstreiten. Vor allem die Altersermäßigung ist eine zentrale Forderung, für die es schon im Frühjahr einen Warnstreik mit rund 4500 Lehrern gegeben hatte. Das war aber noch lange nicht alles: Die Initiative Grundschulen im sozialen Brennpunkt machte viel von sich reden und forderte vom Bildungssenator unter anderem, dass die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten nicht veröffentlicht werden sollen. Damit hatten sie Erfolg: Zöllner strich diesen Punkt aus dem Qualitätspaket. Und dann waren da noch unzählige Eltern, die mit offenen Briefen protestierten: gegen Unterrichtsausfall, gegen häufige Lehrerwechsel, gegen asbestverseuchte Gebäude oder gegen das jahrgangsübergreifende Lernen. Fortsetzung folgt: Mitte September soll ein Sternmarsch alle Unzufriedenen auf die Straße führen.

SCHULPLATZLOTTERIE

Bis zum Beginn des Schuljahres 2010/2011 galt: Die besten Chancen auf einen Oberschulplatz haben die Schüler, die nahe an der gewünschten Schule wohnen. Diese sogenannte BVG-Regelung entfiel mit diesem Schuljahr und wurde durch das neue Aufnahmeverfahren ersetzt – das nicht nur wegen des praktizierten Losverfahrens immer wieder als „Klassenlotterie“ bezeichnet wurde. In manchen Bezirken klappte die Vergabe der Oberschulplätze gut, in anderen standen viele Sechstklässler nach den Osterferien ohne Schulplatz da – oder sie müssen nun in einem anderen Bezirk zur Schule gehen. Immerhin: Die erwartete Klageflut ist bis zuletzt ausgeblieben.

BAUMÄNGEL UND BAUNÖTE

Den mit Abstand schlechtesten Start in das Schuljahr 2010/11 hatte die neue Sekundarschule im Graefekiez. Erst am ersten Schultag war klar, dass an der Graefestraße kein Unterricht stattfinden konnte. In der Folge wurden die Schüler auf drei Standorte verteilt. Die Suche nach Schuldigen führte ins Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg: Sowohl die Schul- als auch die Baustadträtin waren wochenlang in den Urlaub gegangen, obwohl in der Ferienzeit noch große Beträge von den Mitteln aus dem Konjunkturpaket II verbaut werden mussten. Dass da jede Menge Aufsicht nötig gewesen wäre, hätte eigentlich allen klar sein müssen, zumal sich auch noch die Bauleiter in den Urlaub verabschiedet hatten. Das Desaster ausbaden mussten Lehrer und Schüler. Inzwischen ist das allerdings Vergangenheit: Mit einem großen Schulhoffest wurde das Ende der ersten Bauphase mit viel Bezirksprominenz gefeiert. Dort kamen auch die neuen Werkstattklassen zum Einsatz: Die Tischlerklasse baute Fußballtore und eine Torwand, die Gastronomieklasse sorgte für die Beköstigung, die Medienwerkstatt filmte alles. „Wir fühlen uns wohl“, sagt Schulleiterin Dagmar Jenssen, auch wenn sie zugibt, dass manche Kollegen noch an dem schlechten Beginn zu knabbern haben, zumal zwei weitere Bauphasen noch anstehen – irgendwann.

Aber damit steht die Schule ja nicht allein da: Der Sanierungsrückstand wird trotz der vielen KII-Mittel noch immer auf 700 Millionen Euro geschätzt – wovon vor allem die Eliteschule des Sports, die Charlottenburger Poelchau-Schule ein Lied zu singen weiß. Hier drohen die Eltern dem Land mit Klage, weil die Kinder in verrotteten Räumen lernen müssen.

Zu leiden haben aber auch etliche Sekundarschulen, die noch auf Kantinen warten. Vor allem in Tempelhof-Schöneberg gab es da jede Menge Probleme. Die Schulen sind deshalb nicht unfroh darüber, dass Bildungsstadtrat Dieter Hapel (CDU) mangels Unterstützung seiner Partei nach den Wahlen im Herbst nicht erneut antreten wird.

MOBBINGATTACKEN IM INTERNET

Beschimpfung, Erniedrigung, Lästerei: Diskutiert wurde über die „größte Schlampe“ und den „hässlichsten Mitschüler“ der Klasse. Ein Jugendlicher wurde bewusstlos geprügelt, Amokdrohungen führten zur Schließung Berliner Schulen. Der Mobbingterror auf der Webseite „Isharegossip“, zu Deutsch: „Ich verbreite Tratsch“ beherrschte wochenlang viele Schulen. Wochenlang wurde diskutiert, wie Schülern mehr Verantwortung im Netz beigebracht werden könnte. Aufklären statt Verbieten lautete die einstimmige Antwort. Im März wurde das Mobbingportal als jugendgefährdend auf den Index gesetzt, blieb aber zugänglich im Netz. Mitte Juni wurde die Seite nun von unbekannten Hackern gekapert – mit einem Ultimatum an die Betreiber, sich der Polizei zu stellen. Als Antwort riefen diese auf einer Ausweichseite ihre Nutzer dazu auf, darüber abzustimmen. Ein Aufruf zur Selbstjustiz oder alles nur ein Werbegag? Fest steht: „Cybermobbing ist ein Phänomen, das sich ausdehnt“, sagt Ruth Festl von der Universität Hohenheim, die eine aktuelle Pilotstudie zum Thema Cybermobbing leitet. Deshalb sollen Berliner Schüler nun besser auf die Risiken des Internets vorbereitet werden. Und auch die Eltern sollen geschult werden: Im Mai startete ein neues Elternseminar, finanziert von der Bildungsverwaltung. Die ersten Termine waren sofort ausgebucht.

GEFRAGTE QUALITÄTSBEAUFTRAGTE

„Sogar viele Lehrer melden sich bei mir zur Beratung“, sagt Ruby Mattig-Krone. Sie wirkt selbst ein bisschen überrascht, wenn sie von den vergangenen Monaten erzählt. Seit November ist die langjährige Elternvertreterin Qualitätsbeauftragte von Bildungssenator Jürgen Zöllner – ehrenamtlich und „mit keinerlei Vorgaben“, wie sie betont. Sie ist alles in einem: Infopunkt, Kummerkasten, Streitschlichterin. Zu ihr kommen Schüler, Eltern und Lehrer, etwa 30 Anfragen erhalte sie pro Woche. Mal informiert sie über die Anerkennung eines ausländischen Zeugnisses, mal vermittelt sie, wenn eine Note von Schülern und Eltern als nicht gerecht empfunden wird. Es sei sehr wertvoll, „jemanden im System zu haben, der selbst nicht Teil des Systems ist“, lobt Zöllner seine Beauftragte und deren Funktion, die er selbst eingerichtet hat. Seinem Nachfolger empfehle er, diese Position beizubehalten. An Ruby Mattig-Krone wird es jedenfalls nicht scheitern. „Ich würde es mit einem neuen Bildungssenator gerne wieder versuchen“, sagt sie.

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