zum Hauptinhalt
Klimaforschung für alle. Auf eine amüsante Reise durch die Erdgeschichte schickt seine Leserinnen und Leser der Wissenschaftscomic „Taming Time – A Golden Spike for the Anthropocene“

© Hamann, Leinfelder, Shimizu 2023

Das Anthropozän im Comic: Wie das Buch der Erdgeschichte ein neues Kapitel bekam

In der Science Graphic Novel „Taming Time – A Golden Spike for the Anthropocene“ überlässt Reinhold Leinfelder der Zeit selbst das Wort.

Von Catarina Pietschmann

Die Erde kam ganz gut ohne uns klar. Von allein hat sie in mehr als 4,5 Milliarden Jahren eine wohl einzigartige Entwicklung genommen. Aber seit einer „kurzen Weile“ sind wir Menschen da und überprägen ihr Werk so massiv, dass Geologen ein neues Erdzeitalter ausrufen wollen: Untrügliche Marker des neuen Kapitels, welches das Holozän ablöst, fanden Forschende in Sedimenten weltweit und exemplarisch im kanadischen Crawford Lake. Für den Geobiologen und Paläontologen Reinhold Leinfelder Anlass, die Zeit in einer Science Graphic Novel selbst erzählen zu lassen, wie es dazu kam.

Damit möchte er ein Verständnis für geologische Zeitskalen und die „große Beschleunigung“ wecken, in der wir derzeit leben. „Oft heißt es ja: ,Ist alles nicht so schlimm, denn das gab es ja früher auch schon einmal.‘ Etwa, dass die bunten Flachwasserkorallenriffe ausgestorben sind. Doch dass es einmal fünf, ein anderes Mal sogar 140 Millionen Jahre dauerte, bis sie zurückkamen, ist wenig bekannt“, sagt Reinhold Leinfelder, Mitglied der International Anthropocene Working Group (AWG) und Professor der Freien Universität Berlin im Ruhestand. Die Arbeitsgruppe berät das „Parlament der Zeit“, wie die Internationale Kommission für Stratigraphie im Comic heißt. Sie wurde quasi von dieser „UN der Geologen“ beauftragt herauszufinden, ob es Sinn ergibt, ein Anthropozän auszurufen. Und, wenn ja: wie es zu definieren sei.

Etliche wissenschaftliche Publikationen gab es dazu von der AWG. „Wir wollen unsere Ergebnisse und die mit ihnen verbundene Komplexität aber auch einem breiten Publikum in geeigneter Form darlegen“, sagt Reinhold Leinfelder. Er nutzt dafür nicht zum ersten Mal die Mittel der Graphic Novel. „Slow-Media-Formate wie diese sind Puzzles aus Bildern, Geschichten und informativen Texten.

Man muss sie sich selbst erarbeiten, kann etwas überspringen und wieder zurückgehen. Ähnlich wie bei einer gut konzipierten Ausstellung, in der man auch beim zweiten und dritten Besuch noch Neues entdeckt.“ Mit dabei waren wieder Alexandra Hamann mit Konzept und Storyboard, die Illustratorin Maki Shimizu und die Grafikdesignerin Ines Gomes Ferreira. Und so entstand in Kooperation mit weiteren Mitgliedern der AWG „Taming Time – A Golden Spike for the Anthropocene“.

Der Wissenschaftscomic „Taming Time – A Golden Spike for the Anthropocene“ klärt unterhaltsam über die Erdgeschichte auf.
Der Wissenschaftscomic „Taming Time – A Golden Spike for the Anthropocene“ klärt unterhaltsam über die Erdgeschichte auf.

© Hamann, Leinfelder, Shimizu 2023

Anfangs schlängelt sich die Zeit, ein verschmitztes, fluides Wesen, noch grau und ungebändigt durch die Erdgeschichte. Denn in der Geologie wurden diese erst später in Abschnitte und Unterkapitel mit weltweit einheitlichen Farben aufgeteilt. Die Anfänge der Geologie liegen im 17. Jahrhundert, als man erkannte, dass Sedimente, die höher liegen und andere überlagern, jünger sind. „Im 18. Jahrhundert legte William Smith erste geologische Karten an und stellte fest, dass sich in höheren Sedimenten andere Fossilien finden als weiter unten“, erklärt Reinhold Leinfelder. Sedimentschichten und Leitfossilien – zwei wesentliche Prinzipien, um die Zeit in Kapiteln zu fassen. Erst vom 20. Jahrhundert an konnte teilweise auch das absolute Alter von Gesteinen mithilfe radiometrischer Datierung bestimmt werden.

Die Zeit huscht nun vier Milliarden Jahre zurück an den Beginn des Lebens auf dem Planeten, als die wahren „Helden der Erdgeschichte“ auf den Plan traten. Allesamt Erdsystemveränderer, denn jeder ebnete dem nächsten den Weg und machte die Erde letztlich für den Menschen bewohnbar. „Sie zeigen, dass wir nicht die Ersten sind, die den Planeten komplett umgekrempelt haben“, betont Reinhold Leinfelder.

Über unglaublich detailreiche Wimmelbilder wabern da Methan absondernde Bakterien, die Wasserstoff und Kohlendioxid vertilgten, den die Vulkane der anfangs noch schwer rumorenden Erde ausspuckten. Damit riefen sie den ersten gigantischen Treibhauseffekt hervor. Ihnen folgen Cyanobakterien, die die Photosynthese erfanden und ersten Sauerstoff produzierten, sowie Eisenbakterien, die ihre Energie aus der Oxidation von Eisen und Schwefel zogen. „Dazu verbrauchten sie zwar Sauerstoff, den die Blaualgen erzeugt hatten. Aber es blieb genug übrig, sodass sich das Leben weiter entwickeln konnte“, erläutert Reinhold Leinfelder.

Nun betraten die Korallen die Bühne: sesshafte Nesseltiere, die den Ozeanen Kalzium entzogen und als Kalk abschieden, aus dem sie massive Riffe bauten. Letztere sollten bald zu Hotspots der Biodiversität unter Wasser werden. Derweil explodierte an Land die Flora, und durch Photosynthese entstand immer mehr Sauerstoff. Bäume wuchsen, starben ab, wurden später zu Kohlewäldern, aus denen bis heute Steinkohle abgebaut wird. In Süß- und Salzwasser lebte Plankton auf, ernährte größere Organismen, und was die nicht wegfraßen, sank samt jenen später auf den Grund und wurde teils zu Erdöl.

Der Wachstum von Gras war Grundlage für bedeutende Entwicklungen

„Mein persönlicher Superheld ist das Gras“, sagt Reinhold Leinfelder schmunzelnd. „Endlich einmal eine Pflanze, die man abfressen konnte und die trotzdem weiterwuchs!“ Sie erlaubte den Menschen, die Wälder zu verlassen. Das Klima änderte sich, Regenwälder gingen zurück, und Savannen wuchsen. Der moderne Mensch ließ sich nieder, züchtete aus Gras Getreide. Als Nahrung für sich und seine Nutztiere, aber auch als Wintervorrat, was nun die Besiedlung nördlicher Breiten erlaubte.

Der „Erdling“ ist der bislang letzte Superheld und ein recht ambivalenter. Denn es dauerte diesmal nicht Millionen von Jahren, sondern nur einen erdzeitlichen Wimpernschlag, um der Biosphäre eine Technosphäre hinzuzufügen, die massenmäßig alles Leben auf der Erde weit übersteigt. Zu den „Leitfossilien“ gehören nun Glas, Plastik, Aluminium und Beton.

Atomwaffenzündung als Startpunkt des Anthropozäns

Die AWG schlug kürzlich vor, den Beginn des Anthropozäns auf das Jahr 1950 zu datieren und den radioaktiven Fallout der damaligen Atomwaffenversuche als primären Marker festzulegen. Das Zeitwesen begleitet die Forschenden jetzt bei der Suche nach dem sogenannten Typusprofil: von den zwölf Kandidaten bis zum „Gewinner“, dem kanadischen See, an dessen Sedimentkern die Geologinnen und Geologen das neue Erdzeitalter exemplarisch dingfest machen wollen.

Hier wird wohl der goldene Nagel (Spike) einschlagen, der die Untergrenze des Anthropozäns markiert und der Teil des Titels der Graphic Novel ist. Wie wird es weitergehen mit Biosphäre, Technosphäre und den Erdlingen? Im Epilog springt die Zeit in das Jahr 2100 vor und beäugt drei mögliche Zukünfte. Welches Szenario es wohl werden wird? Die Zeit wird es zeigen. Natürlich hat sie hier das letzte Wort.

Mit der Graphic Novel ist dem Projektteam eine sehr amüsante Reise durch die Erdgeschichte gelungen, die vor skurrilen Figuren und leicht verdaulich präsentiertem Wissen nur so strotzt. Lesenswert nicht nur für Forschende, sondern für alle an Erd- und Klimageschichte Interessierte. „Taming Time“ lässt sich zunächst auf Englisch vom Refubium-Server der Freien Universität herunterladen (taming-time.de) und soll später auch als großformatiges Buch und in mehreren Sprachen erscheinen.

Studierende werden darin natürlich Teile der Vorlesungen zur Erdgeschichte, zu Riffen und zum Anthropozän von Reinhold Leinfelder wiedererkennen, der seiner Universität damit quasi ein Abschiedsgeschenk gemacht hat. Nicht zuletzt ist es aber auch eine Hommage an Nobelpreisträger Paul Crutzen (1933 – 2021), der im Jahr 2000 bei einer Tagung ausrief: „Wir leben nicht länger im Holozän. Wir leben im Anthropozän!“ und der damit ein neues Kapitel der Erdgeschichte aufgeschlagen hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false