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Was von der Viehzucht übrigbleibt: Tierknochen aus einer Steppensiedlung der Bronzezeit.

© Maaike Groot

Hauptvieh war meistens das Rind: So lebten die Viehzüchter der Bronzezeit

Mit traditioneller Archäologie und moderner Isotopenanalyse blickt Prähistorikerin Elke Kaiser zurück in die eurasische Steppe vor fünf Jahrtausenden.

Von Catarina Pietschmann

Ackerbau und Viehzucht war ihr Metier, und ihr Speiseplan wenig abwechslungsreich: Getreidebrei, Wurzeln, ein paar wilde Beeren und Kräuter, dazu sehr viel Fleisch. Meist von Rind, Schaf oder Ziege. Die Sommer waren heiß und trocken, die Winter klirrend kalt und schneereich. Man weiß nicht viel über den Alltag von Viehzüchtern in der Bronzezeit im osteuropäischen Steppenraum. Elke Kaiser, Professorin für Prähistorische Archäologie an der Freien Universität, hat eine Ausgrabung am oberen Don, rund 600 Kilometer südlich von Moskau, geleitet. Sie sucht nach Belegen in der Frage, ob es sich bei den Überbleibseln mittelbronzezeitlicher Siedlungen um feste oder lediglich saisonale Quartiere handelte.

Reste von Behausungen gibt es nicht. Sie wurden bei Überflutungen vom Don längst abgetragen. Aber die Forschenden stoßen immer wieder auf große Mengen von Tierknochen, oft um die zehntausend pro Fundstelle, in etwa zwei Metern Tiefe. Schlachtabfälle, aus denen sich viele Rückschlüsse ziehen lassen. „Meist untersuchen wir alle Fragmente, um statistisch arbeiten zu können“, sagt Maaike Groot. Die promovierte Archäologin ist Spezialistin für Tierknochen am Institut und war mit Elke Kaiser in der Republik Moldau. „Stammen 6000 von 10.000 Fragmenten vom Rind, ist das aussagekräftiger, als wenn wir nur 100 hätten.“

Aus dem Knochenverhältnis lässt sich auf das Hauptvieh schließen – meist ein Rind. „Aber wir sehen auch, ob wilde Tiere gejagt wurden, und was man mit den Tieren gemacht hat.“ Letzteres lässt sich aus dem Schlacht­alter ablesen. So finden sich mehr junge Rinder im Knochenabfall, wenn die Tiere vor allem wegen ihres Fleisches geschlachtet wurden. Zugtiere waren deutlich älter.

© privat

„Über die Zeit gehen bis zu 90 Prozent der Knochen verloren. Was wir finden, ist also immer nur ein kleiner Teil“, betont Elke Kaiser. Über die Siedlungsgröße sagen die Schlachtabfälle demnach nichts aus. Aber mit speziellen Verfahren lässt sich feststellen, ob die Tiere immer an einem Ort waren oder zu unterschiedlichen Jahreszeiten auf unterschiedlichen Weiden grasten. Hier kommt die Isotopenanalyse ins Spiel, denn Außentemperaturen und Futter hinterlassen charakteristische Spuren im Körper.

Das Spannende ist: Jeder Fundplatz ist anders und wirft ganz neue Fragen auf.

Elke Kaiser, Professorin für Prähistorische Archäologie an der Freien Universität

Besonders gut zu sehen sei dies an den Backenzähnen, sagt Jana Eger, die mittels der Isotopenanalysen über prähistorische Mensch-Tier-Verhältnisse an der Freien Universität Berlin promoviert hat. „Wir schauen uns vorwiegend die Isotopen-Verteilung der Elemente Sauerstoff (O), Kohlenstoff (C) und Strontium (Sr) an, die über Wasser, Nahrung und Atmung in den Körper aufgenommen und eingebaut werden.“ An mehreren Zähnen eines Tieres werden dazu einige Proben vom Zahnschmelz entlang der Zahnkrone genommen und im Massenspektrometer analysiert.

Die Isotopenverteilung eines Elements ist fast wie ein Fingerabdruck. „Daran können wir den jahreszeitlichen Temperaturverlauf ablesen: Im Sommer sind die Sauerstoffwerte höher als im Winter“, erläutert Jana Eger. Kohlenstoffisotope wieder­um sind charakteristisch für die Ernährung der Tiere. Was daran liegt, dass Pflanzen verschiedene Wege der Photosynthese einschlagen: In gemäßigten Zonen wachsen überwiegend Weizen und Gerste. Sie gehören zu den C3-Pflanzen, die einen anderen Stoffwechsel als C4-Pflanzen haben. Wird es heiß und trocken, schließen sie ihre Spaltöffnungen, und die Photosynthese-Leistung sinkt. Bei solcher Witterung sind C4-Pflanzen, zu denen die meisten Gräser, Hirse und Mais gehören, im Vorteil. „Hat ein Tier über das Jahr mehr C4-Pflanzen gefressen, sehen wir das an mehr positiven Kohlenstoffisotopen.“

„Für die Viehzüchter der eurasischen Steppe wird angenommen, dass sie recht mobil lebten. Das ist für einige Gebiete und Zeitabschnitte historisch belegt – für andere nicht. Man nahm an, das sei schon seit Jahrtausenden so gewesen. Das wollen wir mit unseren Studien überprüfen, und es ist anscheinend tatsächlich so“, sagt Elke Kaiser. Was die Mobilität angeht, ist Strontium der perfekte Marker. Vorausgesetzt, die Geologie der Böden auf Sommer- und Winterweideplätzen unterscheidet sich. „Wenn die Herden auf ihren Wanderungen weit genug unterwegs waren, variieren die Strontiumwerte bei den Tieren“, erklärt Maaike Groot. „Manchmal ist das so – manchmal nicht.“ Ein wenig Glück ist eben auch immer dabei.

Das nächste Forschungsziel liegt in Südosteuropa

Neben Tierknochen finden sich oft Scherben von Tongefäßen. Da sich das Körperfett von Wiederkäuern, Schweinen und Fischen unterscheidet, lässt sich anhand organischer Rückstandsanalysen sagen, was in den Gefäßen zubereitet oder aufbewahrt worden ist und ob sich Milch darin befunden hat. Und wenn ja: von Wiederkäuern oder gar vom Pferd?

Aufgrund der geopolitischen Lage ist die Grabung am Don für das Team nicht mehr zugänglich, und Elke Kaiser muss sich räumlich umorientieren. „Ich werde nun bald in Südosteuropa arbeiten und mich erneut mit bronzezeitlichen Siedlungen auseinandersetzen.“ Auch dort werden wieder Tierknochen zum Vorschein kommen. „Das Spannende ist ja: Jeder Fundplatz ist anders und wirft ganz neue Fragen auf.“

Welche Bedeutung Isotopenanalysen inzwischen haben, zeigte auch die Konferenz, die die drei Wissenschaftlerinnen zusammen mit Rosalind Gillis vom Deutschen Archäologischen Institut im März organisierten. Zwei Tage lang diskutierten Fachleute aus der ganzen Welt an der Freien Universität über das Potenzial dieser chemischen Verfahren.

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