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Kunsthistorikerin Meike Hoffmann bei einer Pressekonferenz am 5. November 2013.

© picture alliance / REUTERS, Michael Dalder

Forschung zu Raubkunst: „Durch den Gurlitt-Skandal hat sich für die Provenienzforschung viel getan“

Vor fast zehn Jahren wurde der Schwabinger Kunstfund bekannt. Meike Hoffmann begutachtete die Werke. Im Gespräch blickt sie zurück – und nach vorn.

Von Anne Kostrzewa

Frau Hoffmann, vor zehn Jahren wurde der „Fall Gurlitt“ öffentlich gemacht. Mehr als 1200 verschollen geglaubte Kunstwerke waren in einer Münchner Wohnung gefunden worden. Sie wurden bereits vor dem Bekanntwerden von der Staatsanwaltschaft Augsburg als Expertin mit der Begutachtung eines Teiles der Werke betraut und haben danach in der von Regierungsseite einberufenen Taskforce mitgewirkt. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?
Das war eine der intensiven Erfahrungen in meinem Berufsleben. Ich hatte mich schon Jahre früher auf den NS-Kunsthandel spezialisiert. Es war also keine Frage, dass ich meine Expertise einbringe. So in der Öffentlichkeit stehen wollte ich aber nicht. Das war ein schwieriger Spagat.

Nach einer Pressekonferenz im Augsburger Strafjustizzentrum, bei der Sie sich als Expertin öffentlich zu den Kunstwerken geäußert hatten, waren Sie plötzlich die bekannteste Kunsthistorikerin Deutschlands. Bereuen Sie rückblickend Ihre Teilnahme an der Taskforce?
Nein, das nicht. Es war eine unheimlich gute Erfahrung, in der Taskforce mit so hochqualifizierten Fachleuten zusammenzuarbeiten. Diese Kontakte pflege ich bis heute, und wir haben ohne Zweifel alle von der Zusammenarbeit profitiert. Was mich aber bis heute desillusioniert, ist, wie die Zusammenarbeit mit der politischen Ebene abgelaufen ist.

Können Sie das erklären?
Wissenschaft und Politik verfolgen sehr unterschiedliche Ziele. Die für uns so wichtigen Detailfragen sind politisch kaum relevant. Wir bekamen immer wieder neue Direktiven, neue Anordnungen. Das hat sich angefühlt wie Sand im Getriebe, so funktioniert Forschung einfach nicht. Trotz aller Kritik muss ich aber auch sagen, dass sich durch den Skandal für die Provenienzforschung viel getan hat.

Sie haben vom Schwabinger Kunstfund also profitiert? Inwiefern?
Unser akademisches Ausbildungsprogramm zur Provenienzforschung lief seit 2011 als allererstes weltweit, und es lief gut, war aber in der Kunstgeschichte eher ein Nischenthema. Das plötzliche öffentliche Interesse an diesem Themengebiet hat die Nachfrage nach einer Ausbildung enorm gesteigert. Es wurden an vielen Orten neue Stellen geschaffen, und unser Fachgebiet ist gewachsen. Richtig davon profitieren können wir aber erst allmählich.

Wie meinen Sie das?
Es braucht sehr viel Erfahrung, um in diesem Themenfeld zu arbeiten. Alle neu eingestellten Mitarbeitenden waren Nachwuchskräfte, weil das Ausbildungsprogramm ja noch ganz neu war. Aus meiner Sicht ist es sehr gut, diese Stellen mit jungen Absolventinnen und Absolventen zu besetzen und ihnen diese praktische Lernphase zu ermöglichen. Da das öffentliche Interesse aber so groß war, gab es eine Diskrepanz zwischen dem, was wir leisten sollten und was wir leisten konnten.

Sie wurden von Aufträgen überrannt?
Ja, bevor entsprechende Ausbildungsmodule an anderen Unis geschaffen werden konnten, waren wir mit Anfragen extrem belastet. Deutschland ist ein Täterstaat, es reicht nicht, für eine bestimmte Zeit Stellen zu fördern. Das Thema Raubkunst aufzuarbeiten braucht Zeit und geht nicht nebenbei. Dafür ist es viel zu wichtig.

Warum, glauben Sie, hat es trotz seiner Relevanz so lange gedauert, bis das Thema im öffentlichen Interesse angekommen ist?
Die Gesellschaft brauchte Zeit, um sich diesem Thema neutral zuzuwenden. Wir haben es jetzt mit der Generation der Urenkel zu tun, die weniger emotional verwickelt und langsam bereit ist, diese Hürde zu überwinden. Statt die Verstrickung der eigenen Vorfahren in das NS-System zu verheimlichen oder zu verschweigen, wie es in den letzten Jahrzehnten oft vorkam, sagt die heutige Generation eher: Ja, wir wollen das jetzt wissen. Die Bereitschaft, Nachlässe anzuschauen und Dokumente zu teilen, ist groß.

In dem Projekt MARI, das seit 2017 läuft, erforschen Sie den Verbleib Tausender Werke aus dem früheren Besitz des deutsch-jüdischen Verlegers Rudolf Mosse und kooperieren dafür mit Museen, Archiven, anderen Universitäten und der Erbengemeinschaft der Familie Mosse. Welche Rolle spielen die Erben in Ihrer Forschung?
Die erste Förderphase des Projekts lief 2020 aus. Die Erben hatten durch ihre finanzielle Beteiligung bereits die Technik finanziert, mit der wir ein digitales Portal aufbauen konnten. Während der Corona-Pandemie haben die Erben uns sogar ganz allein gefördert. Ohne sie wäre das Projekt zum Erliegen gekommen. Mittlerweile sind wir in einer neuen Förderphase, sodass wir durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg und die Mosse Foundation in Berkeley bis Juli 2024 die Arbeit fortsetzen können. Zu den Unterstützern zählte auch die Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V.

Es geht dabei um Tausende Werke. Wie viele davon haben bereits zu ihren rechtmäßigen Besitzerinnen und Besitzern zurückgefunden?
Seit 2017 haben wir etwa 40 Werke bis zu ihrem heutigen Standort verfolgen können. Dazu kommen zahlreiche Bücher, die wir ebenfalls gefunden haben. Derzeit laufen für fünf Objekte Restitutionsgespräche. Wobei Restitution in vielen Fällen bedeutet, dass die Werke von den Museen zurückgekauft werden. Die Erlöse fließen in die Mosse Foundation, die andere Kunstprojekte und auch unsere Arbeit an der Freien Universität fördert.

Das Projekt MARI war zu Beginn weltweit das erste, in dem Nachfahren von Opfern der NS-Verfolgern mit deutschen Einrichtungen kooperierten. Hat das Modell Schule gemacht?
Das denke ich schon, und ich würde es mir wünschen. Mittlerweile gibt es mehrere solcher Projekte an verschiedenen Universitäten in Deutschland. Und auch ich plane gerade gemeinsam mit einer Erbenvertreterin ein neues Projekt, das hoffentlich genauso erfolgreich wie MARI läuft.

Dürfen Sie schon mehr verraten?
Es wird um die Kunstsammlung des Spirituosenfabrikanten Adolf Sultan gehen. Um wie viele Werke es sich handelt, das werden wir erst im Laufe unserer Forschung herausfinden, aber es könnte ein ähnlicher Umfang werden wie bei Rudolf Mosse.

Was brauchen Studierende, um in der Provenienzforschung erfolgreich zu sein?
Dieses Gefühl, etwas als Erstes zu entdecken, ist ein Stimulus, für den einige sehr empfänglich sind. Die meisten Studierenden kommen mit Neugier und einem großen Gerechtigkeitssinn zu uns. Das reicht aber nicht aus. Man muss vor allem lernen, mit Originalquellen zu arbeiten, was akribische Recherche und gutes Zeitmanagement erfordert.

Provenienzforschung ist für viele ein emotionales Thema. Wie viele Gefühle sind in der Wissenschaft erlaubt?
Natürlich muss ich als Wissenschaftlerin sachlich und unvoreingenommen arbeiten. Aber auch ich bin in meiner Forschung manchmal berührt. Kunst ist für Menschen, für die Gesellschaft da. Es sind nicht einfach nur Bilder, sie haben immer eine gesellschaftliche Relevanz. Kürzlich wurde ich von Erben zur Verlegung von acht Stolpersteinen nach Nikolassee eingeladen. Es war das allererste Zusammentreffen der größeren Familie und für alle, auch mich, ein sehr ergreifender Moment. Zu spüren, dass hinter all den Werken Menschen stehen, zu erfahren, was mit den Familien geschehen ist und wie sie mit ihren Kunstwerken zusammengelebt haben: Das ist es, was mich in meiner Arbeit immer wieder aufs Neue motiviert.

Foto: picture alliance / Reuters, Michael Dalder

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