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Ein Mann (M), der zu einer Gruppe von Menschen gehört, die nach Ausschreitungen bei einer Eritrea-Veranstaltung von Polizeikräften eingekesselt wurden, wird von Polizisten abgeführt.

© dpa/Jason Tschepljakow

Update

227 der 228 Festgenommenen wieder auf freiem Fuß: Krawallmacher in Stuttgart reisten auch aus der Schweiz an

Mehr als 200 Personen haben in Stuttgart Teilnehmende einer Eritrea-Veranstaltung und die Polizei mit Steinen, Flaschen und Holzlatten angegriffen. Die Stadt will nun Konsequenzen ziehen.

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Nach den Ausschreitungen im Zusammenhang mit einem Eritrea-Festival in Stuttgart hat es 228 Festnahmen gegeben. Den Tatverdächtigen werde unter anderem schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen, teilte die Polizei in Stuttgart am Sonntag mit. 227 der 228 von ihnen seien jedoch wieder frei. Das teilte der Stuttgarter Polizeivizepräsident Carsten Höfler am Sonntag in Stuttgart mit. Ein mutmaßlicher Täter werde am Sonntag dem Haftrichter vorgeführt, weil er schon häufiger polizeilich in Erscheinung getreten sei.

Nach eigenen Angaben seien die Personalien fast aller Tatverdächtigen abgeklärt. Überwiegend kämen die Verdächtigen aus um dem Umland von Stuttgart, sagte der Stuttgarter Polizeivizepräsident Carsten Höfler am Sonntag in Stuttgart. Nur wenige seien aus Stuttgart selbst. 63 mutmaßliche Gegner des Regimes in Eritrea seien aus der Schweiz angereist.

„Das hat uns überrascht“, sagte Höfler. Teils seien auch Personen aus dem hessischen Gießen angereist. 212 der Verdächtigen hätten die eritreische Staatsbürgerschaft, sieben Verdächtige seien deutsch mit eritreischen Wurzeln. Vereinzelt müssten Identitäten noch geklärt werden. Insgesamt gibt es 228 Verdächtige.

Zwischen die Fronten geraten

Die Polizei ist aus eigener Sicht bei den Ausschreitungen in Stuttgart zwischen die Fronten von Anhängern und Gegnern des eritreischen Regimes geraten. „Wir waren heute der Prellbock für einen eritreischen Konflikt, der auf Stuttgarter Straßen mit massiver Gewalt ausgetragen wurde“, teilte der Stuttgarter Polizeivizepräsident Carsten Höfler in der Nacht zum Sonntag mit Blick auf die Ausschreitungen vom Samstag mit.

26 Polizeibeamte seien verletzt worden, zudem vier Teilnehmer der regimenahen Eritrea-Veranstaltung und zwei Oppositionelle. Sechs Beamte wurden im Krankenhaus behandelt. Fünf Polizisten konnten ihren Dienst den Angaben zufolge nicht weiter ausführen. 300 Beamte seien insgesamt am Samstag im Einsatz gewesen.

In Stuttgart war es im Zusammenhang mit einer Eritrea-Veranstaltung zu Ausschreitungen gekommen. Die Polizei kesselte am Abend 200 Personen ein. Sie würden des schweren Landfriedensbruchs beschuldigt, sagte der Sprecher. Auf Videos in sozialen Medien ist zu sehen, wie Männer mit Holzlatten und Flaschen auf Polizisten losgehen.

Konflikt zwischen Oppositionellen und Regimebefürwortern

Zu einer Veranstaltung des Verbands eritreischer Vereine in Stuttgart und Umgebung waren 200 Menschen zusammengekommen. Die Vereine sympathisierten mit der Regierung in Eritrea, sagte ein Sprecher der Polizei.

Oppositionelle und Regimegegner hätten sich versammelt und seien am Stuttgarter Römerkastell auf die Beamten und Teilnehmer des Treffens losgegangen. Die Polizei wehrte sich mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die Angreifer. Kräfte wurden aus umliegenden Polizeipräsidien und der Bundespolizei beordert. Auch mit dem Hubschrauber wurden Polizisten eingeflogen.

Von welcher der beiden Gruppen wie viel Gewalt ausging, war zunächst unklar. Wer den ersten Stein geworfen hat, müsse noch ermittelt werden, aber der Anziehungspunkt sei die Veranstaltung gewesen, sagte der Sprecher. Die Polizei will am Sonntag (12.00 Uhr) vor Ort Presse-Statements abgeben.

Stadt sucht Gespräch mit Eritrea-Vereinen

Die Stadt will zeitnah mit den betroffenen Gruppierungen Kontakt aufnehmen. „Wir werden nächste Woche sofort mit den in Stuttgart ansässigen Vereinen das Gespräch suchen“, teilte der städtische Integrationsbeauftragte Gari Pavkovic am späten Samstagabend mit.

„Unsere Linie in den regelmäßigen Gesprächen mit den verschiedenen Migrantenorganisationen ist, dass wir in Stuttgart keine Auseinandersetzungen und Ausschreitungen zu den Konflikten in den Herkunftsländern dulden.“

Für das Eritrea-Treffen gab es nach Ansicht der Stadt keine Gründe für ein Verbot. „Versammlungen im geschlossenen Raum sind nicht anmeldepflichtig“, teilte die Landeshauptstadt am Samstagabend mit. „Es lagen keine Gründe für ein Verbot der heutigen Eritrea-Veranstaltung vor.“ Die Stadt Stuttgart werde Konsequenzen aus den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft ziehen.

Politiker fordern Konsequenzen

Bundesagrarminister Cem Ödzemir (Grüne) schrieb auf der Plattform X, dass die Gewalttäter schnell zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Der CDU-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, Manuel Hagel, sprach von „Gewaltausbrüchen“, die „ungeheuerlich“ seien.

„Das können wir auf unseren Straßen nicht akzeptieren! Diese Leute, die so brutal gegen andere Menschen, gegen unsere Polizistinnen und Polizisten vorgehen, haben ihr Recht, bei uns Schutz und Zuflucht zu finden, verwirkt.“ Hagel forderte sofortige Ausweisungen. Notfalls müsse dafür das Aufenthaltsgesetz verschärft werden.

Der Landesvorsitzende der Jungen Union Baden-Württemberg, Florian Hummel, sagte, die Ausschreitungen seien Ausdruck staatlichen Kontrollverlusts. „Diesen Kontrollverlust dürfen wir nicht weiter hinnehmen und müssen uns vor allem in der Migrationspolitik ehrlich machen: es kann nicht sein, dass importierte Konflikte auf deutschen Straßen ausgetragen werden.“ 

Innenpolitiker äußern Unverständnis

„Es ist völlig unverständlich, warum diese Veranstaltung nicht gestoppt und damit die Verbreitung der Propaganda dieses Terrorstaates ermöglicht wurde“, sagte der Obmann der Grünen-Fraktion im Innenausschuss des Bundestages, Marcel Emmerich, am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Im Vorfeld hätte man zudem versuchen können, vor Gericht ein Verbot zu erwirken, „um zumindest ein deutliches Zeichen zu setzen“, fügte er hinzu.

Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), sagte, schon bei früheren ähnlichen Veranstaltungen von Menschen aus Eritrea sei zu beobachten gewesen, dass das Etikett „Festival“ ganz offensichtlich genutzt werde, um Auseinandersetzungen verschiedener Gruppen aus Eritrea in Deutschland zu führen. „Das muss der deutsche Staat sich nicht gefallen lassen“, führte Lindholz aus. Eine Genehmigung könne auch im Vorfeld versagt werden, wenn der Charakter eines Festivals offensichtlich missbraucht wurde, „wenn das absehbar ist und wenn es nicht möglich ist, durch geeignete Auflagen Ausschreitungen zu verhindern“.

Ausschreitungen auch bei anderen Eritrea-Veranstaltungen

Im Juli war es im hessischen Gießen zu Ausschreitungen bei einem Eritrea-Festival mit mindestens 26 verletzten Polizisten gekommen, als Gegner der Veranstaltung Sicherheitskräfte mit Stein- und Flaschenwürfen attackierten und Rauchbomben zündeten. Die Beamten hatten unter anderem Schlagstöcke gegen sie eingesetzt.

Die Organisatoren des Events in Gießen standen der umstrittenen Führung des ostafrikanischen Landes nahe. In Stockholm kam es im August bei einem Eritrea-Festival zu gewalttätigen Ausschreitungen mit mehr als 50 Verletzten.

Eritrea mit seinen gut drei Millionen Einwohnern liegt im Nordosten Afrikas am Roten Meer und ist international weitgehend abgeschottet. Seit einer in einem jahrzehntelangen Krieg erkämpften Unabhängigkeit von Äthiopien vor 30 Jahren regiert Präsident Isaias Afewerki in einer Ein-Parteien-Diktatur das Land.

Andere Parteien sind verboten, die Meinungs- und Pressefreiheit ist stark eingeschränkt. Es gibt weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Zudem herrscht ein strenges Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem, vor dem viele Menschen ins Ausland fliehen.

International geriet Afewerki zuletzt in die Kritik, da die eritreische Armee mehreren UN-Berichten zufolge im äthiopischen Bürgerkrieg bis November 2022 an der Seite der äthiopischen Zentralregierung schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben soll. (dpa, AFP)

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