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„Hyper 2, N°36“ (2010) von Denis Darzacq.

© Museum der Moderne Salzburg

Ausstellungen zu Frauenkörpern: Wahnsinn, Luftballons und Eierschalen

Zwei Ausstellungen im Salzburger Museum der Moderne zeigen zeitgleich zu den Festspielen geballte Frauenkunst und ekstatische Körper.

Salzburg von oben während der Festspiele: Allein für den Ausblick vom Mönchsberg auf die barocke Stadt lohnt sich ein Besuch im Museum der Moderne – allerdings auch für zwei exzellente Sommerausstellungen. Die gesamte dritte Etage füllt die große Themenschau „Arch of Hysteria: Zwischen Wahnsinn und Ekstase“ mit Werken etwa von Auguste Rodin, Gustav Klimt, Max Ernst, Louise Bourgeois, Valie Export und Robert Longo.

Sie folgt der Körperhaltung der Rückbeuge durch die moderne Kulturgeschichte und fördert dabei Verblüffendes zutage. Ob Tanz, Psychose oder Performance: Eine einzige Körperhaltung offenbart hier ungeahnte Perspektiven auf Machtstrukturen und Geschlechterrollen.

Aufgeplatzte Früchte, anschwellende Geschlechtsteile

Eine Etage tiefer entführt die Werkschau von Mária Bartuszová in die experimentierfreudigen 1960er- und 1970er-Jahre. Die gebürtige Prager Bildhauerin, die 1996 mit nur 60 Jahren starb, war eine der bekanntesten Künstlerinnen der ehemaligen Tschechoslowakei. Auf der Documenta 2007 wiederentdeckt, gehörte sie auf der letzten Biennale 2022 in Venedig zu den weiblichen Stars.

Rund, weich, verletzlich und zerbrechlich wirken ihre Skulpturen. Bartuszová übergoss schon mal Luftballons mit Gips, blies diese auf und ließ sie dann platzen. Auch Kondome nutzte sie für ihre Kunst. Die aufgebrochenen Gipsschalen erinnern an Eier, aus denen gerade Dinosaurier geschlüpft sind. Einige erkennen darin aufgeplatzte Früchte oder anschwellende Geschlechtsteile. Eingeschnürt mit Draht und Fäden, spiegeln sie aber auch das Leben im totalitären Regime der ehemaligen Tschechoslowakei wider.

Als Keramikerin ausgebildet, stand die Künstlerin lange im Schatten ihres Mannes, des Bildhauers Juraj Bartusz. Zeitlebens experimentierte sie mit Gusstechniken. Früh setzte sie sich dafür ein, Kunst und Natur mit allen Sinnen wahrzunehmen. Ihre Skulpturen zum Erfühlen, ursprünglich für blinde oder sehbeeinträchtigte Kinder erschaffen, hat das Museum in Faksimiles wieder herstellen lassen.

Erika Giovanna „Klien, Kinetische Figur“ von 1927 in der Ausstellung „Arch of Hysteria: Zwischen Wahnsinn und Ekstase“.
Erika Giovanna „Klien, Kinetische Figur“ von 1927 in der Ausstellung „Arch of Hysteria: Zwischen Wahnsinn und Ekstase“.

© Privatsammlung, Wien

Dass die exzellente Ausstellung nach ihrem Start in London nun in Salzburg zu sehen ist, verdankt sie dem neuen Direktor des Museums der Moderne. Harald Krejci hat die Schau zusammen mit der Tate Modern konzipiert und wollte sie ursprünglich als Chefkurator am Belvedere in Wien zeigen. Dann kam Corona, die Station in Wien platzte, und das Salzburger Museum konnte einspringen.

Hommage an den ekstatischen Körper

Einen Coup hat das Haus auch mit der zeitgleich eröffneten Ausstellung „Arch of Hysteria“ gelandet. Klug durchdacht, durchleuchten die Kuratorinnen Kerstin Stremmel und Lena Nievers die Kulturbedeutung einer einzigen Körperfigur, des „Arc de Cercle“ oder „Arch of Hysteria“. So nannte der französische Arzt Jean Martin Charcot das Phänomen im 19. Jahrhundert.

Für den Neurologen war die Verrenkung eine Krankheit der Frauen. Die hysterischen Anfälle seiner Patientinnen führte er in öffentlichen Vorlesungen an der Pariser Klinik Salpêtrière vor Augen. Animiert durch Hypnose und Rauschmitteln wie Äther zuckten die Damen ekstatisch bis zur Ohnmacht. Im Saal saßen der Mediziner Sigmund Freud, die Schauspielerin Sarah Bernhardt und der Künstler Auguste Rodin, die sich alle davon beeindrucken ließen.

In der Medizin war die vieldeutige Verrenkung schnell wieder passé, in der Kunst fanden sich viele Interpreten. Als Zeichen neuen weiblichen Selbstbewusstseins trat Anita Berber im Wien der 1920er-Jahre nackt auf, die Künstlerin Erika Giovanna Klien hielt ihre Tanzbewegungen damals in einem großen Gemälde fest. Valie Export zeigte in den 1970ern in Performances, wie Frauen sich in der Gesellschaft verbiegen müssen, und Robert Longo zeichnete in den 1990ern ekstatisch verrenkte Yuppies.

Seit 2014 stellt Valerie Schmidt die vermeintlich hysterischen Zuckungen, die Charcot einst diagnostizierte, mit einer Matratze nach. Sie ist erst eingerollt und springt dann auf. Dazu treten Tänzer auf. Eine Rückbeuge soll das Herz öffnen, sagt man heute beim Yoga. Wer will, kann das in einem Mitmach-Video in der Ausstellung sogar selbst testen.

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