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Traumpaar: in „Superman: Dean Cain und Teri Hatcher in "Die Abenteuer von Lois & Clark".

© Promo

75 Jahre Superman: Auf Augenhöhe

75 Jahre „Action Comics # 1“ – ein persönliches Essay über Lois Lane, Superman – und die Liebe zur Karriere. 

Nie fand mich Freundin Stephi dümmer, hässlicher, mieser als Ende 2006, im Auto durch Hildesheim, in unserem dritten Jahr Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus.
„Stefan. Hör dich reden.“
„Ich...“
„So kannst du das nicht sagen!“
„Doch.“
„Du willst keine Frau treffen, die aus Hannover kommt...?“
„Und keine Männer, nein.“
„...weil dich nur Schreiber, Journalisten interessieren? Hier? An der Uni?“

Sie sah mich an wie einen Rassisten.

Für neun Semester, bis 2008, lebten wir in einer trüben, leeren Kleinstadt, deren Uni Autoren, Filme-, Theatermacher lockt, zerkaut und (mit zerstörtem Selbstbild oder trotzigem, neuen Ego) in die Welt spuckt. Kein schlechter Ort, um Demut, Disziplin zu lernen. Zum Leben aber fehlte es dort an allem: 12, 15 neue Schreiber kamen jeden Herbst; dazu knapp 80 Kulturwissenschaftler. Wir schrieben Übungs-Texte über Bockbier-Kneipen, Industrieruinen. Standen zwischen Matratzen-Centern, Rentnern und verkniffenen, unzufriedenen Passanten. Lebten im Grundgefühl ständigen Mangels.

„Fahr nach Hannover: Da leben auch Studenten. Richtige Städter!“ „Aber keine Schreibschüler! Keine Kulturjournalisten!“ „Wahrscheinlich nicht. Aber…“ „Ich will Leute auf Augenhöhe: Schreiber – die meine Ziele verstehen!“

Die Frau an seiner Seite: Cover von "Superman 700".
Die Frau an seiner Seite: Cover von "Superman 700".

© DC

Vielen Helden – und: Heldinnen! – meiner Kindheit hatten Berufe. Keine „Jobs“, sondern Ehrgeiz, Expertise, Talent, Verantwortung. Eine Leidenschaft: Onkel Dagobert, Han Solo, Willy Fogg, Lady Oscar oder Yayoi, die Königin der 1000 Jahre, waren keine umgänglichen, sonnigen Personen – doch sehr, sehr gut in dem, wofür sie lebten. Vor eine Wahl gestellt, ob sie stattdessen mit Obelix, Balu, Fred Feuerstein im Schatten dösen wollten, hätten alle nur gelacht.

Mit zwölf, 1996, schienen mir TV-Serien und reale Darsteller zum ersten Mal spannender als Zeichentrick: Agent Scully, Emma Peel, Dr. Crusher, Dr. Bashir, der Holo-Doc, Botschafterin Delenn… und Lois Lane, Reporterin beim „Daily Planet“, Heldin von „Superman: Die Abenteuer von Lois & Clark“.

Noch heute bin ich dreimal pro Woche verwirrt, enttäuscht, untröstlich, dass in den „Superman“-Comics (die ich erst 2008, mit Mitte 20, ernst nahm / für mich entdeckte) Clark Kent und Lois Lane kein Hauptfiguren-Duo sind, gleich wichtig, gleich beliebt und gleichberechtigt, die Redaktion des „Daily Planet“ kein ständiger Handlungs-Mittelpunkt. Schreiben, Recherchieren, investigativer Journalismus kein Grundbaustein jeder „Superman“-Geschichte. Clark ist neben Lois Lane eine bessere Figur.

Von wem ich rede, wenn ich von Lois rede? Von einer stolzen, ehrgeizigen, schroff-verspielten Großstadt-Journalistin – Ende 20? Mitte 30? –, Tochter eines Army-Generals, aufgewachsen auf Militärstützpunkten, die – mit harschen Fragen, Spaß am Risiko – Politiker, Banker, Superhelden ins Schwitzen bringt. Seit Ausgabe 1 von „Action Comics“, erschienen im April 1938, wird Lois als Frau gezeigt, die ihren Beruf, ihre Berufung lebt – mit Schwung, Lust, zwangloser Integrität.

Das Rollen-, Frauenbild, das sie verkörpert, hat heute noch Besonderheit und Biss. Das Menschen- und „Bürgerbild“ dagegen trägt fast alle Figuren des DC-Verlags, ganz selbstverständlich: Clark Kent liebt seinen Schreib- und seinen Heldenberuf gleichermaßen. Batman kämpft nachts gegen die Auswüchse einer kaputten, korrupten Stadt – und tagsüber, als Unternehmer / Philantrop, gegen die Ursachen. Barry Allen, The Flash, ist ein motivierter, sorgfältiger Polizist, Wonder Woman und Aquaman sind Diplomaten und Aktivisten (für Frauenrechte, Tiere, Umwelt).

Alle Rollen – viele: selbst gewählt; selten: fremdbestimmt –, die diese Figuren einnehmen, stehen sehr bewusst in einem größeren, gesellschaftlichen Kontext. Die Konkurrenz bei Marvel Comics – Hulk, Spider-Man, Iron Man usw. – hat oft Erfolg mit „frischen“, ungebundenen Figuren, die als Mutanten, Außenseiter, Monster, Freaks in (tragische, traurige) Positionen schlittern, mit ihren Rollen zweifeln, hadern. Viele Marvel-Helden wollen einfach „Spaß haben“, „normal sein“ oder „bewundert werden“, „dazu gehören“ als glanzvoller Held oder gewöhnlicher, unwichtiger Typ.

DC-Figuren sind bürgerlicher, mit Festanstellung, Steuererklärung, Zivil- und Heldenberuf, monogamer Beziehung und dem Willen, zum öffentlichen Leben ihrer Stadt, ihrer Gesellschaft beizutragen, wo sie können. Alle meine Schul- und Heimatfreunde, Ende 20, leben so – mit kleinem Neuwagen, einer „Greenpeace“-Mitgliedschaft und einem „Lovefilm“-Abo, Bio-Produkten und Terminen im Kindergarten, Sportverein, der Volkshochschule und Kirche. Nur ein Ziel, das DC-Helden – und ich – teilen, fehlt: Meine Freunde verwirklichen sich privat. Leben für den Feierabend, das Wochenende, die nächsten Ferien, die Freizeit. Sie pflegen ihre Körper, ihr Zuhause, treffen alte Kumpels statt neuer Kollegen. Alle haben Ambitionen und Träume von Reisen, Kindern, Hausbau, WG-Bauernhof-Kommunen – nicht aber: von Karrieren.

Im 1995er-Weihnachtsheft von „Superman“ tobt ein Schneesturm durch Metropolis, und eine Schwangere, die es nicht mehr zum Kreissaal schafft, braucht Supermans Hilfe bei der Entbindung. „Sie wären ein brillanter Chirurg“, lobt die Ärztin, als Superman das Kind entbunden hat. Doch seine Antwort fasst die DC-Philosophie und Clarks persönliches Rollenverständnis toll zusammen: Er wäre ein guter Chirurg, keine Frage. Aber: „Ich will meine Fähigkeiten lieber dort einsetzen, wo nur meine Fähigkeiten helfen können.“

Meine Bauspar-Freunde machen mich nervös, weil sie so ausschließlich und unbedingt alles Lebensglück daheim finden wollen, mit einem „Schatz“ und ein, zwei Kindern. Ich mache sie nervös mit meiner Hektik und Getriebenheit, dem Schlingerkurs aus Freelance-Jobs, Romankapiteln, Essays, Blogposts, Schreiber-Kram, der sich so richtig anfühlt, aber so wenig Geld und Sicherheiten bringt. Sie investieren alle Energie in ihre privaten Netze. Ich investiere alle Energie in mein Berufs- und Lebensziel. Sehr hoch gepokert, in beiden Fällen. Sehr einseitig, riskant gelebt.

Reporterin, Ehefrau: Eine Szene mit Lois Lane und Clark Kent im "Daily Planet".
Reporterin, Ehefrau: Eine Szene mit Lois Lane und Clark Kent im "Daily Planet".

© DC

Popkultur – schrieb ich vergangenen Sommer, zum 74. „Geburtstag“ Lois Lanes – hat kaum Interesse an Langzeit-Partnerschaften oder der Dynamik reifer, erwachsener Beziehungen. Wir sehen tausend Figuren in der Balz- und Turtel-Phase. Wir sehen Konkurrenz und „Love Triangles“. Wir sehen sexuelle Spannung, „Knistern“, jahrelanges Tun-sie's-oder-tun-sie-es-nicht.

Mit zwölf, dreizehn, vierzehn zeigte mir Lois Lane, wie ein Leben als Journalist, Reporter und urbaner / kosmopolitischer Autor aussehen kann. Sie gab abstrakten Ideen, Stärken, Lebenszielen wie „in der Großstadt leben“, „für seine Werte einstehen“ und „Erfüllung finden im Beruf“ ein Gesicht – und bis heute hat mein idealer Kollege und / oder Partner und / oder bester Freund Lois' Leidenschaft. Lois' Biss. Lois' Humor. Lois' Energie.

Alle Menschen, deren Freundschaft ich suchte, sind heute Beatme, Realschullehrer, Erzieherinnen, Bankberater. Die Menschen, von denen ich schwärmte, in die ich verliebt war, wurden Ärztin, Chemikerin, Religionswissenschaftler in Harvard, Psychologin, Mittelalter-Musiker, Weinhändlerin / Bühnentechnikerin, Animator und Kultur- / Modejournalist.

Einer der ältesten „Superman“-Slogans lautet: „You will believe a man can fly“.

Lois Lane – als Partner, Kollegin, Ehe- und Karrierefrau – machte MICH glauben, gemeinsame Arbeit, gemeinsamer Alltag und gemeinsame Leidenschaften, Ziele mit einem Menschen auf Augenhöhe seien ein erfüllendes, plausibles Ideal. Nicht jeder muss die Erde retten. Aber die Welt verändern und bereichern, mit Schwung, Lust, zwangloser Integrität, das wirkt bei Lois, Clark und vielen anderen DC-Figuren, auch ohne alle Superkräfte… möglich. Die Ansprüche, die diese beiden Journalisten / Bürger an sich stellen, machen Clark und Lois attraktiv. Beide wachsen über sich hinaus. Beide stacheln sich an. Beide wollen – füreinander, für ihre Stadt und für sich selbst – die beste Version ihrer selbst sein.

Stefan Mesch, geboren 1983 in Sinsheim (Baden), schreibt für ZEIT Online und den Tagesspiegel. Er veröffentlichte Erzählungen in u.a. Edit, Macondo und BELLA triste und arbeitet an „Zimmer voller Freunde“, seinem ersten Roman. Seine Empfehlungen für die Superman-Lektüre finden sich hier. Im Winter / Frühling lebt er als freier Übersetzer in Toronto, im Sommer und Herbst in der Provinz bei Heidelberg, im Haus seiner toten Großeltern.

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